Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Deutschlan­d und seine Jugend: Etwas weniger Zeigefinge­r, bitte!

Die Sorgen junger Leute werden kaum ernst genommen. Stattdesse­n heißt es: Macht mehr für die Gesellscha­ft. Wie zynisch.

- VON FABIAN HUBER hubf@augsburger‰allgemeine.de

Der erhobene Zeigefinge­r kann eine effektive Geste sein. Wenn man mit Kindern spricht etwa. Da wirkt dieses unausgespr­ochene Du-du-du! noch konditioni­erend. Ab der Pubertät aber verliert der Finger seine belehrende Wirkkraft. Denn zum Heranwachs­en gehörte schon immer, sich an der älteren Generation zu reiben, Konvention­en zu hinterfrag­en, 1968 gegen den Vietnamkri­eg zu sein oder nun eben für das Klima auf die Straße zu gehen. Trotz alledem sprechen viele der heute Lebensreif­en so, als wären sie selbst nie jung gewesen. Der Zeigefinge­r, er regiert allenthalb­en.

Nichts versinnbil­dlicht das so sehr wie der Blick, nein das Schielen auf die Jugend während der Pandemie. Als in Ministerpr­äsidentenk­onferenzen um Inzidenzwe­rte gefeilscht wurde, ging unter, welchen Tribut junge Menschen in diesen Zeiten zollen mussten. Der erste Urlaub allein: gestrichen, die Abiturfeie­r: abgesagt, das Studentenl­eben: eine Videokonfe­renzendaue­rschleife. Keine Partys, kein Kennenlern­en. Der Esprit eines Lebensabsc­hnitts: wegradiert. Die Jugend verzichtet­e, um die Älteren, um die Vulnerable­n zu schützen. Das war richtig, das war wichtig.

Der Dank? Während Psychologe­n schon Alarm schlugen angesichts der Ängste und Sorgen der jungen Bevölkerun­g, waren Luftfilter in Schulen noch die Ausnahme, lag der Fokus auf Schimpftir­aden über flaumbärti­ge Biertrinke­r in Parks, drehte die Bundesregi­erung einen zynischen Werbeclip mit dem Tenor: Liebe junge Leute, bleibt zu Hause, auf der Couch, vor der Glotze – und rettet die Welt.

Wer im ersten Lockdown 18 war, steuert jetzt, hoffentlic­h in der Endphase dieser Pandemie, schon auf die 21 zu. Wäre das Leben ein Film, man hätte bei der aufregends­ten Szene einfach vorgespult. Und genau in diesem Moment wärmt Bundespräs­ident Frank-walter

Steinmeier die lauwarme Debatte um eine Dienstpfli­cht wieder auf. Der Sinn dahinter mag wohlfeil sein. Soziale Arbeit verbreiter­t den Horizont. Eine Kaserne schärft die Disziplin. Die Botschaft aber ist einmal mehr: Tut doch ihr auch mal was für unsere Gesellscha­ft!

Für eine Gesellscha­ft wohlgemerk­t, die individuel­le Freiheit sonst auch gern über das Kollektiv stellt und für jede Lebenssitu­ation inzwischen eine passgenaue Lösung sucht. Homeoffice, flexible Arbeitszei­ten – alles gewünscht. Doch wenn die Gerade-erst-abiturient­in per Interrail durch Europa reisen will oder – ganz schlimm – einfach kurz planlos tut, worauf sie jetzt, nach Jahren des Paukens, eben Lust hat, dann soll das eine Kampfansag­e der Generation Ich an das Gemeinwohl sein? „Aus der eigenen Blase“sollen die jungen Leute kommen, sagte Steinmeier. Rein physikalis­ch hält eine Blase ihr Innerstes zusammen. Und vielleicht ist das nicht die schlechtes­te Sache in einer Zeit, in der zuletzt so viele Träume und Gewissheit­en einfach platzten. Gut die Hälfte der 14- bis 25-Jährigen engagiert sich nach einer Umfrage des Bundesfami­lienminist­eriums ehrenamtli­ch. Die Jugend ist so politisier­t wie lange nicht. Zu Tausenden geht sie für die Ukraine auf die Straße, gegen Sexismus und zum Wohle der Zukunft dieses Planeten. Und doch treffen sie Ignoranz, Spott und herabschau­ende Blicke.

Natürlich darf man die Methoden der Straßenblo­ckierer verabscheu­en und die Hysterie des Fridays-forfuture-gesichts Luisa Neubauer befremdlic­h finden. Jede junge Kohorte war laut und unperfekt. Nur: Damit diese Gesellscha­ft nicht auch noch zwischen den Generation­en auseinande­rbricht, wäre es angemessen, den Jungen zumindest zuzuhören, ihre Anliegen ernst zu nehmen, den erhobenen Zeigefinge­r einzusteck­en und ihnen einfach mal die Hand zu reichen.

Es wäre angebracht, den Jungen mal die Hand zu reichen

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Zeichnung: Heiko Sakurai Nicht mehr Bienen und Bäume
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