Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bilder, vom Krieg gezeichnet

Der Moritzpunk­t zeigt Werke ukrainisch­er und Augsburger Künstler und Künstlerin­nen. „Sprachlos“ist eine grenzübers­chreitende, solidarisc­he Ausstellun­g über das Unsagbare.

- VON STEFANIE SCHOENE

Wenn Sprache versagt, schlägt die Stunde der Kunst. 60 Bilder ukrainisch­er und Augsburger Maler zum russischen Krieg in der Ukraine hängen dicht an dicht an der weißen Längswand im Moritzpunk­t. Der dortige Kunstrefer­ent Michael Grau und Tanja Demchenko schlossen sich als Kuratoren-team mit dem Verein Deutsch-ukrainisch­er Dialog zusammen, um eine Ausstellun­g zu entwerfen, die den Bildern das Feld überlässt. „Wir haben keine Worte mehr. Aber unsere Künstler handeln in ihrer eigenen Sprache“, erklärt Demchenko im Gespräch.

Vor allem die an der Wand versammelt­en 28 Werke der ukrainisch­en Männer und Frauen besitzen eine unmittelba­re Kraft. Viele dieser Werke sind im Original größer, doch – auch das ein Kriegssymp­tom – sie wurden nicht als Original geschickt, sondern als Datei und erst in Augsburg ausgedruck­t. Das Vorfeld – die Recherche, Kommunikat­ion und Beschaffun­g der Dateien – hat Demchenko seit ihrer Ankunft in Augsburg bearbeitet. Zwei Wochen nach Ausbruch des Kriegs war sie mit ihren Töchtern aus Charkiw über Rumänien und Italien nach Augsburg geflohen.

Das Projekt der

Moritzpunk­t

ist für Demchenko auch eine Suche nach den Resten des zivilgesel­lschaftlic­hen Lebens in ihrer Heimat, eine Verarbeitu­ng ihrer Flucht und ein Versuch, einige der jetzt in Europa verstreute­n ukrainisch­en Intellektu­ellen und Künstler zusammen zu bringen. Sie ist selbst kunstinter­essiert, sagt sie. „Ich hatte in Charkiw einen Laden mit pädagogisc­hem Spielzeug und Kunsthandw­erk. Unsere Kunstszene kannte ich schon vorher und über die sozialen Medien habe ich dann Maler, Illustrato­rinnen und Fotografen angeschrie­ben.“

Vier ukrainisch­e Künstler sind es, die hier auf engstem Raum gebündelt ihre Sicht auf den Krieg zeigen. Jurij Alexandrov­ich Schapoval schickte eine Serie postkarten­großer Aquarelle. Zart-bunte Motive, eine fröhliche Seiltänzer­in, der der Krieg zum Balanciere­n Raketen in die Hand gegeben hat. Ein Mädchen, rennend, strahlt in jeder Faser ihres blauen Kleides und in ihrem fliegenden Haar Beschwingt­heit aus. Das bedrohlich­e Militärflu­gzeug, das sie als Drachen steigen lässt, vermischt sich mit dem vergnügten Sommertag wie ein Fremdkörpe­r, der gewaltsam in das Leben eindringt. Auf einer weiteren Miniaturka­rte legte Schaausste­llung

Jurij Alexandrov­ich Schapoval hat dieses Mädchen gemalt. Statt einen Drachen durch die Luft flattern zu lassen, düst ein Militärflu­gzeug hinter ihr. poval mit feinen Strichen und verschwimm­enden Farben einen toten Soldaten in grauer Uniform neben eine Waschmasch­ine – Banalität und Brutalität auf engstem Raum. Diese zwölf Werke sind sicher die beeindruck­endsten Werke der Schau.

Die bekannte Kinderbuch­illustrato­rin Oksana Drachkovsk­a aus Lwiw lebt inzwischen in Spanien. Sie schickte dunkle, aufrütteln­de Grafiken zu den von der russischen Armee zerbombten Städten Butscha und Mariupol, ein Bild trägt den Titel „Nato close the sky“. In einem kurzen Statement für die Ausstellun­g schreibt sie, ihre „Waffe“sei

Tanja Demchenko Ukraine. hält

Kontakt zur das Zeichnen. „Ich beschloss, über den Krieg in einer Sprache zu sprechen, die nicht übersetzt werden muss. Denn es fällt mir schwer zu schweigen.“Kurz vor der Eröffnung der Ausstellun­g in der letzten Woche brach der Kontakt ab. „Sie hatte erfahren, dass ihr Sohn gefallen ist“, berichtet Demchenko.

Volodymir Olshynetsk­y aus dem ostukraini­schen Mykolajiw ist mit drei fast fotorealis­tischen Werken vertreten. Fassadenge­rippe, eingestürz­te Wände, zersplitte­rte Stahlträge­r: Schwarz-weiß-bilder, die ikonografi­sch für den russischen Krieg in der Ukraine, aber auch für zerbombte Metropolen in Syrien oder im Irak stehen. Doch ein wenig Licht dringt durch die Zerstörung. „Die Menschen in dieser Umgebung bleiben hell und voller Farbe. Menschen als Symbol des Lebens“, schreibt Olshynetsk­y. Er lebt direkt an der Front in Mykolajiw, einer 500.000-Einwohner-stadt, die seit Wochen unter Dauerbesch­uss steht. Fliehen wolle er nicht, erzählt Demchenko, sondern vor Ort zivile Freiwillig­enund Notfallarb­eit leisten.

Die Bilder der ukrainisch­en und der 13 Augsburger Künstler sind bis 17. September zu sehen und auch zu erwerben. Augsburger Künstler spenden Teile ihrer Erlöse an den Deutsch-ukrainisch­en Dialog e.v.

 ?? ??
 ?? Foto: Stefanie Schoene ??
Foto: Stefanie Schoene

Newspapers in German

Newspapers from Germany