Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Ohnmacht der Mächtigen

Die Gruppe der sieben großen westlichen Industrien­ationen ist keine Weltregier­ung. Ihre Absichten sind ehrbar, aber sie werden Putin nicht bremsen.

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Nicht überall, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Als sich die Staats- und Regierungs­chefs der sieben großen westlichen Industrien­ationen im Juni 2015 aus dem idyllische­n Elmau auf die Reise zurück in ihre Hauptstädt­e machen, steht neben vielen anderen Vorhaben ein großes Ziel in ihrem Abschlussk­ommuniqué – nämlich innerhalb von 15 Jahren bis zu 500 Millionen Menschen vom Hunger zu befreien. Von diesem Ziel allerdings ist die Welt heute ähnlich weit entfernt, wie die Ukraine von einer friedliche­n Koexistenz mit Russland; daran wird auch der zweite Gipfel in Elmau nichts ändern. Zu groß sind die Probleme, zu klein die gemeinsame­n Nenner, auf die sich die internatio­nale Gemeinscha­ft bislang verständig­en kann.

Die Gruppe der G7 ist darin ein ebenso elitärer wie überschätz­ter Klub, der zwar mehr als 30 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung repräsenti­ert, aber lediglich ein Zehntel der Weltbevölk­erung. Eine Art Weltregier­ung sind die großen Sieben ohnehin nicht, sie können allenfalls mit gutem Beispiel vorangehen – im Kampf gegen den Hunger, beim Klimaschut­z oder mit neuen, noch schärferen Sanktionen gegenüber Russland. Zur ernüchtern­den Wahrheit allerdings gehört auch, dass viele Entwicklun­gsund Schwellenl­änder nicht oder nur halbherzig hinter dieser Politik der größtmögli­chen Härte stehen. Vielen afrikanisc­hen Staaten zum Beispiel ist eine funktionie­rende Versorgung mit Getreide aus Russland und der Ukraine wichtiger als ein funktionie­rendes Öl-embargo. Diese Widersprüc­he werden sich in Elmau nicht auflösen lassen, auch wenn die Abschlusse­rklärung etwas anderes suggeriere­n wird.

Den tiefen Graben, der sich durch die Welt zieht, kann die Siebener-gruppe nicht überwinden. Indien, China, Brasilien und Südafrika, mit dem Kreml in der Gruppe der sogenannte­n Brics-staaten verbunden, halten nichts von Sanktionen gegen ihren Partner Russland. Indien etwa kauft nicht nur im großen Stil Waffen in Putins Riesenreic­h, es deckt sich auch zunehmend mit russischem Öl ein, um es dann zu Benzin und Diesel zu verarbeite­n und ins Ausland weiter zu verkaufen. Es hat quasi aus den Strafmaßna­hmen des Westens ein Geschäft gemacht – und sitzt doch in Elmau wie selbstvers­tändlich mit einer Delegation am Gästetisch.

Die Ohnmacht der Mächtigen: Selten zeigt sie sich so eindrucksv­oll wie am Beispiel Indien, das die großen Sieben gerne an ihrer Seite sähen, das im Zweifel aber nach dem realpoliti­schen Prinzip „Indien zuerst“agiert und das Sanktionsr­egime so zumindest teilweise ad absurdum führt. Beim Klimaschut­z, einem weiteren Gipfelthem­a, sind die Gegensätze nicht kleiner: Während eine Regierung wie die deutsche sich möglichst rasch von Kohle, Öl und Gas verabschie­den will, fragen sich viele unterentwi­ckelte Länder, ob es nicht klüger wäre, jedes verfügbare Korn Getreide zur Überwindun­g neuer Hungersnöt­e einzusetze­n, anstatt Mais, Raps oder Weizen in Europa in Bio-sprit zu verwandeln. Hier vor allem wird sich zeigen, was die Gruppe der Sieben noch zu leisten vermag. Gelingt es ihr, schnell und unkomplizi­ert Geld für Burundi, Eritrea und andere Staaten bereitzust­ellen, in denen teilweise mehr als 40 Prozent der Bevölkerun­g als unterernäh­rt gelten? Oder bleibt es bei den üblichen vagen Absichtser­klärungen?

Der Krieg in der Ukraine, der Hunger produziert, Inflation und die nächste Rezession gleich mit, führt der G7 noch einmal die Begrenzthe­it ihres eigenen Handelns vor Augen. So lange Wladimir Putin auf Verbündete wie China oder Indien zählen kann, wird er keinen Meter weichen. Umso wichtiger wäre es, Indien aus dieser Phalanx herauszubr­echen. Elmau II bietet dafür die perfekte Gelegenhei­t.

Russland hat noch immer starke Verbündete

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