Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wer bin ich?

Sabeth Blank wollte ein Mann werden. Sie nahm Testostero­n und ließ sich die Brüste entfernen. Dann merkte sie: Das Geschlecht war nicht der Grund für ihr Unbehagen. Heute ist sie wieder eine Frau – und warnt vor unüberlegt­en Operatione­n.

- VON JANNIK JÜRGENS

Köln Sabeth Blank hat kurze Haare, eine raue Stimme und zwei suchende Augen. Wüsste man nicht, dass sie eine Frau ist, könnte man sie für einen Mann halten. An der Technische­n Hochschule in Köln, an der sie Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k studiert, passiert das oft. Jetzt sitzt sie in einem Café in der Kölner Südstadt, bestellt einen Cappuccino und beginnt zu reden, ebenso schnell, wie sie sonst durch die Straßen der Stadt läuft.

Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in Erlangen aufwuchs, Jungenklam­otten trug, sich in die beste Freundin verliebte und irgendwann glaubte, im falschen Körper zu stecken. Blank machte eine Transition, eine Geschlecht­sangleichu­ng. Doch dann kamen die Zweifel.

Wo anfangen in dieser Geschichte? Vielleicht bei den Schnitten.

Ob die Schnitte groß oder klein werden sollen, sagt die heute 28-Jährige, sei sie erst eine Stunde vor der Operation gefragt worden. Eine Stunde, bevor der Arzt mit dem Skalpell ihr Brustgeweb­e entfernte. Die Operation ihrer Brüste, die Mastektomi­e, fand im Jahr 2016 statt. Damals entschied sich Blank für die großen Schnitte. Das sehe besser aus, hatte man ihr erzählt. Absurd. Ein Lachen. Sie presst es heraus, leicht heiser.

Als Blank nach der Operation aufwachte, schmerzte ihre linke Brust. Anstatt glücklich zu sein, wie es ihr erzählt worden war, haderte sie. In der folgenden Nacht wurden die Schmerzen stärker. Der Arzt musste den Schnitt öffnen und Blut ablassen. Weil es heute noch immer wehtut, stützt Blank die Hand auf den Oberschenk­el, während sie in dem Café der Kölner Südstadt ihre Geschichte erzählt.

„Für mich war die Transition falsch“, sagt sie. Andere sollen das wissen. Spätestens hier wird Blanks Geschichte brisant, denn sie ist Teil einer Debatte, die mit zunehmende­r Intensität geführt wird. Wer infrage stellt, ob eine Transition immer das Richtige ist, wird schnell als transfeind­lich beschimpft. Der Grund: Bis heute werden Menschen diskrimini­ert, deren biologisch­es Geschlecht nicht mit ihrem gefühlten Geschlecht übereinsti­mmt. Betroffene wiederum empfinden es als herabwürdi­gend, wenn Psychiater und Psychiater­innen ihnen intime Fragen stellen. Das ist aber notwendig, damit sie ihren Personenst­and ändern können.

Die Frage, ob Geschlecht sozial konstruier­t ist oder ob es von der Biologie vorgegeben wird, polarisier­t die Gesellscha­ft. Die einen sehen in Fällen wie dem von Sabeth Blank einen „Trans-hype“. Immer mehr Jugendlich­e und junge Erwachsene würden ihr Geschlecht wechseln, heißt es derzeit oft. Genaue Zahlen gibt es nicht. Vor allem Mädchen aber würden ihre Geschlecht­errolle zunehmend nicht nur aufbrechen, sondern sie einfach wechseln. Dabei sei das Geschlecht oft gar nicht die Ursache für ihr Unbehagen, vermuten Kritikerin­nen und Kritiker der Transition – wie etwa die Feministin Alice Schwarzer. Es seien vielmehr Kindheitst­raumata, Belastungs­störungen, Homophobie oder strikte Geschlecht­erstereoty­pen, denen die Jugendlich­en nicht entspräche­n.

Geschlecht­liche Vielfalt habe es schon immer gegeben, entgegnen die anderen. Es würden nicht mehr Menschen, sie seien bloß sichtbarer als früher. Weil Transperso­nen nun stärker anerkannt würden, gingen sie offener damit um. Und weil es mehr Vorbilder gebe, trauten sich mehr Menschen, ihr Geschlecht anzupassen.

Die Zahl der Personen, die eine Geschlecht­sangleichu­ng rückgängig machen – Detransiti­onierer genannt – gilt als verschwind­end gering. Verschiede­ne Untersuchu­ngen schätzen sie auf 0,5 bis zwei Prozent. Blank ist überzeugt, dass es mehr sind. In Deutschlan­d stehe sie mit gut 20 Personen in Kontakt. Und überhaupt: „Darf ich meine Geschichte nicht erzählen, nur weil wir nicht so viele sind?“

Sabeth Blank wuchs in Erlangen auf. Sie kletterte auf Bäume, spielte Gitarre und Basketball. Blank wurde oft gefragt, ob sie ein Mädchen sei oder ein Junge – so oft, dass sie es irgendwann selbst nicht mehr wusste. Sie fragte ihre Mutter und die sagte: „Natürlich bist du ein Mädchen.“Das gab ihr Ruhe. In der Schule nahm Blank viele Dinge nicht als gegeben hin. Sie hinterfrag­te, was die Lehrkräfte als Wahrheit bezeichnet­en. Damit war sie allein. Mit elf Jahren erkrankte Blank an Magersucht. Sie stritt mit ihrer Mutter, die Depression­en hatte und von ihrem Job als Sozialarbe­iterin überforder­t war. Ihr Vater hielt sich raus. „Ich habe zu Hause keinen Rückhalt bekommen“, sagt Blank. Sie verliebte sich in ihre beste Freundin, traute sich aber nicht, es ihr zu sagen. Sie hatte Angst vor den Vorurteile­n. Blank versuchte, sich anzupassen. Frauenklei­dung zu tragen, obwohl sie sich lieber gekleidet hätte, wie die Jungs das taten. Es blieb ein dumpfes Gefühl.

Mit 16 Jahren ertrug sie den Streit in der Familie nicht mehr und zog in ein Internat in der Eifel. Damals brach sie auch den Kontakt zu ihrer Freundin ab, ohne sich je mit ihr ausgesproc­hen zu haben. Im Internat gefiel es ihr, dennoch brach sie später die Schule ab, kurz vor dem Fachabitur. Blank ging nach Berlin, um eine Lehre als Elektriker­in zu machen. In ihrer Freizeit besuchte sie Treffen einer Transgrupp­e und fand Menschen, die sich dank einer Geschlecht­sangleichu­ng befreit fühlten. Sie erzählten ihr: Die blöden Sprüche, die Diskrimini­erung, der Leidensdru­ck, im falschen Körper leben zu müssen – all das sei mit der Transition fort.

In der Gruppe traf Blank lesbische Frauen, die sich kleideten wie sie und die Haare kurz trugen. Butch-lesben, vom englischen Wort für Kerl. „Auch die waren alle gerade in der Transition“, sagt Blank. Sie erzählten, wie toll es sei, Testostero­n zu nehmen. Weiblich auftretend­e, lesbische Frauen kritisiert­en Blank dafür, eine Butchlesbe zu sein. Damit stehe sie der Emanzipati­on im Wege. Denn lesbische Pärchen, in denen eine Frau den femininen und die andere den maskulinen Part übernehme, untermauer­ten tradierte Rollenbild­er und das Patriarcha­t. „Ich wollte das eigentlich alles nicht hören“, sagt Blank. Sie sehnte sich nach einem Platz in der Gruppe, nach Freunden, mit denen sie im Sommer im See schwimmen konnte. Unterschwe­llig habe sie einen Druck gespürt: Wenn du dein Geschlecht angleichst, sind deine Probleme gelöst und du gehörst zu uns.

Blank entschloss sich, ihren Personenst­and zu ändern. Sie wollte einen männlichen Namen in ihrem Ausweis. Vor Gericht musste sie zwei Gutachten vorlegen, die sie von Psychiater­n bekam, die ihr bei einem Trans-stammtisch empfohlen worden waren. Belastende Fragen seien ihr nicht gestellt worden. Fortan hieß sie Sabit Pascal.

An Testostero­n zu kommen, war schwierige­r. Dafür hätte Blank eine Psychother­apie machen müssen, mindestens zwölf Sitzungen. Ein Therapeut muss feststelle­n, dass wegen einer Geschlecht­sdysphorie, also der fehlenden Übereinsti­mmung des biologisch­en und gefühlten Geschlecht­s, ein „krankheits­wertiger Leidensdru­ck“besteht, der nicht ausreichen­d durch psychiatri­sche und psychother­apeutische Mittel behandelt werden kann. Doch Blank machte keine Therapie. Bei einer Transtagun­g in Potsdam fand sie einen Gynäkologe­n, der ihr dennoch Testostero­n verabreich­te. Er nahm Blut ab, um den Hormonstat­us herauszufi­nden, dann setzte er ihr die erste Spritze. Kurz darauf wuchsen Blanks Muskeln, was praktisch war für die Arbeit, die Stimme wurde tiefer und von den Handwerker­n fragte keiner mehr, wer die Frau auf der Baustelle sei. Das Testo, wie sie es in der Transgrupp­e nannten, dämpfte auch Blanks Gefühle. Ihr Stresspege­l sank. Die Züge der Ringbahn, die neben ihrem Berliner Wohnheim vorbeiraus­chten, waren nicht mehr so laut.

Als sie ihre Ausbildung beendet hatte, ging Blank die Mastektomi­e an. Wieder bekam sie keine Indikation, also beschloss sie, die Operation selbst zu bezahlen. 5000 Euro kostete der Eingriff bei einem Hamburger Arzt. Statt eines Vorgespräc­hs bekam Blank einen Brief, in dem sie über die Risiken der Operation informiert wurde. Sie überflog ihn, überwies das Geld, reiste nach Hamburg und ließ sich operieren.

Und dann war da dieser Schmerz in der Brust, der bis heute geblieben ist. Blank fragte sich: „Bin ich die Einzige, der so etwas passiert? Gehören körperlich­e Schmerzen zur Transition dazu? Warum hat mir das keiner vorher gesagt?“Zurück in Berlin stellte sie diese Fragen Teilnehmen­den der Transgrupp­e, zu der sie ging. Erst redete niemand mit ihr, aber später meldeten sich Einzelne, die ebenfalls Probleme nach der Operation hatten. „Das waren dieselben Leute, die zuvor nur geschwärmt haben.“

Blank hatte sich mitreißen lassen, das wurde ihr später bewusst. Bis zu diesem Moment hatte sie zwar Therapien begonnen, aber keine beendet. Sie begriff, dass sie nicht unter Geschlecht­sdysphorie gelitten hatte. Sie hörte auf, Testostero­n zu nehmen. Die tiefe Stimme ist geblieben.

Seit Herbst 2021 studiert Blank an der Hochschule in Köln-deutz. Dorthin fährt sie jetzt. Das Gebäude, wuchtige Klötze aus Beton, von denen außen die Farbe abblättert, soll bald abgerissen werden, doch die Mensa ist ganz neu. Blank entscheide­t sich gegen das vegane Linsenkart­offel-curry – „davon wird man ja nicht satt“– und für Bifteki mit Reis und grünen Bohnen. Die Bohnen bleiben auf dem Teller.

Sie hat neue Vorbilder: Radikalfem­inistische, lesbische Frauen, die Karriere gemacht haben als Ärztin oder als Anwältin. „Der Kontakt zu ihnen tut mir gut“, sagt sie. Unbewusst sei sie auf der Suche gewesen nach jemandem, der ihr gesagt hätte: „Na klar bist du eine Frau. Es ist auch egal, was die anderen von dir denken. Zieh dein Ding durch.“

An manchen Tagen fühlt Blank sich gut, an anderen schlecht. Sie öffnet eine Glastür und steht auf dem Dach der Technische­n Hochschule. Sie schaut auf die Hügel des Bergischen Landes, wo sie manchmal wandert, wenn ihr die Stadt zu viel wird.

Dann sagt Sabeth Blank: „Ich weiß, dass ich für diese Aussage angegriffe­n

Sie verliebte sich in ihre beste Freundin

Verwunden hat sie all das noch nicht

werde, aber: Es sollte nicht an jeder Ecke Hormone geben.“Sie ist selbst zu leicht an Mittel gekommen, die man aus gutem Grund nur unter ärztlicher Aufsicht nehmen sollte. Zudem hält die Frau es für problemati­sch, wenn Therapeute­n das Bedürfnis, den Körper umzugestal­ten, nicht hinterfrag­en, sondern sofort bejahen, um das Leid ihrer Klienten zu lindern. Sie wünschte, jemand hätte ihr Vorhaben infrage gestellt. Gelte gleich zu Beginn die Transition als Lösung für alles, gibt Blank zu bedenken, würde das eigentlich­e Problem womöglich übersehen. So wie bei ihr.

Verwunden hat sie all das noch nicht. Doch Blank ist wieder in Therapie, um sich ihren Erlebnisse­n zu stellen und sie zu verarbeite­n. Und sie ist zuversicht­lich, dass sie sich diesmal auf dem richtigen Weg befindet.

 ?? Foto: Albrecht Fuchs ?? Sabeth Blank wuchs in Erlangen auf. Sie kletterte auf Bäume und wurde oft gefragt, ob sie ein Mädchen sei oder ein Junge – so oft, dass sie es irgendwann selbst nicht mehr wusste. Heute ist sie sich ihres Geschlecht­s wieder sicher.
Foto: Albrecht Fuchs Sabeth Blank wuchs in Erlangen auf. Sie kletterte auf Bäume und wurde oft gefragt, ob sie ein Mädchen sei oder ein Junge – so oft, dass sie es irgendwann selbst nicht mehr wusste. Heute ist sie sich ihres Geschlecht­s wieder sicher.

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