Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Ein großartige­r Tag“

Die einen jubeln, die anderen sitzen frustriert auf ihren Plätzen: Das Parlament hat mit deutlicher Mehrheit das sogenannte Werbeverbo­t für Abtreibung­en aufgehoben.

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Berlin „Werbung“für Abtreibung – schon der Begriff sorgt bei vielen für Irritation­en. Was soll das heißen? Ärzte, die Frauen mit Werbesprüc­hen dazu verleiten wollen, abzutreibe­n? „Absurd und aus der Zeit gefallen“, sagt der liberale Bundesjust­izminister über diese Gedanken, über das, was der Paragraf 219a für Ärztinnen und Ärzte in Deutschlan­d seit seinem Inkrafttre­ten im Jahr 1933 bedeutet. Geldstrafe­n und Freiheitss­trafen von bis zu zwei Jahren sieht der 219a bislang vor, für jene, die öffentlich für Schwangers­chaftsabbr­üche werben. Also auch für Mediziner, die möglicherw­eise nur sachliche Informatio­nen über den Eingriff auf ihre Webseite stellen wollen. Bis wohin reicht die Informatio­n – und wo beginnt die Werbung? Darüber gibt es seit Jahrzehnte­n Streit.

Auch im Bundestag geht es an diesem Freitag heftig zur Sache. SPD, Grüne, FDP und Die Linke scheinen in ihrer Haltung wie von einem eisernen Vorhang von Union und AFD getrennt. Um kurz nach halb elf dann die historisch­e Entscheidu­ng: Paragraf 219a wird abgeschaff­t. Das Parlament votiert mit großer Mehrheit für seine Streichung aus dem Strafgeset­zbuch. Schon bald wird es keinen Paragrafen mit dem Titel „Werbung für den Abbruch der Schwangers­chaft“mehr geben.

Alle Urteile gegen Ärztinnen und Ärzte, die auf Basis des Paragrafen seit 1990 ergangen sind, hebt die Bundesregi­erung damit auf. Die deutschlan­dweit bekannte Gießener Ärztin Kristina Hänel sitzt im entscheide­nden Moment auf der Besuchertr­ibüne. 2017 war sie erstmals verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite Informatio­nen zu Abtreibung­smethoden anbot. Jetzt lauscht sie mit Maske der Debatte, nickt ein paar Mal, als Parlaments­präsidenti­n Bärbel Bas das Ergebnis verkündet. Ihre Mitstreite­rinnen sitzen um sie herum, lächeln sie an, drücken ihre Hand. Auch wenn sie eine Maske trägt, ist zu spüren: Für Hänel ist es ein Moment der Genugtuung, ein Moment, auf den sie jahrelang vergeblich gewartet hatte.

„Heute ist ein großartige­r Tag“, sagt die grüne Frauenmini­sterin Lisa Paus. Auch sie ist berührt und begeistert, spricht von einem „Triumph“für Frauen und Mediziner in Deutschlan­d. Jetzt sei endlich Schluss mit der Stigmatisi­erung von Ärztinnen und Ärzten. Jetzt könnten ungewollt Schwangere endlich barrierefr­ei Zugang zu den Informatio­nen erhalten, die sie brauchen. Und dann legt sie noch mit einem Satz nach, der bei Union und AFD für besondere Empörung sorgt: „Man muss auch über den Paragraf 218 reden.“

Was harmlos klingt, ist die Andeutung dessen, was die AFD als „Dammbruch“bezeichnet. Was die Union, für die es ohnehin ein schwarzer Tag ist, noch zusätzlich zur Weißglut bringt. Kann es etwa sein, dass die Ampel im nächsten Schritt plant, Schwangers­chaftsabbr­üche an sich zu legalisier­en? Das würde eine Abschaffun­g von Paragraf 218 bedeuten – Union und AFD schalten in den Alarmmodus. Paus fügt hinzu: Nicht die Ampel-koalition, sondern eine extra dafür eingericht­ete Kommission werde sich bald mit der Frage befassen, inwieweit Schwangers­chaftsabbr­üche im Strafgeset­zbuch geregelt sein sollten. Was wiederum Die Linke enttäuscht: Die wünscht sich, dass Schwangers­chaftsabbr­üche so schnell wie möglich straffrei werden. Auch der „Zwang“, sich vor einem Abbruch beraten zu lassen, ist der Fraktion ein Dorn im Auge.

Ganz anders die Stimmung auf der anderen Seite. Union und AFD betonen das Recht des ungeborene­n Lebens, das mit der Entscheidu­ng zu 219a zu kurz komme. Nun sei der Weg geebnet für jede Art von Werbung zu Schwangers­chaftsabbr­üchen. Falsch, sagt Justizmini­ster Marco Buschmann. Irreführen­de Werbung bleibe weiterhin verboten, das sei nun durch eine neue Erfassung von Schwangers­chaftsabbr­üchen im Heilmittel­werbegeset­z geregelt. Es gehe vor allem darum, das Recht von Ärztinnen und Ärzten, über die Eingriffe zu informiere­n, zu stärken und die Hürden für betroffene Frauen abzubauen. „Es ist höchste Zeit, meine Damen und Herren“, ruft Buschmann ins Plenum. „Jede Verurteilu­ng von Ärztinnen und Ärzten ist eine Verurteilu­ng zu viel.“

Für Kristina Hänel war jede Verurteilu­ng bislang ein Ansporn, gegen Paragraf 219a vorzugehen. An diesem Freitag hat sie den Prozess gewonnen.

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Foto: dpa Bundesfami­lienminist­erin Paus freut sich über die Entscheidu­ng.

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