Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wenn Donald Trump plötzlichn­icht mehr will

Der Ökonom Lars-hendrik Röller hat für Angela Merkel viele Gipfeltref­fen vorbereite­t. Worauf kommt es dabei eigentlich an?

- VON STEFAN LANGE

Gipfeltref­fen wie das der G7-nationen sind einem Wanderzirk­us nicht unähnlich. Es entsteht eine eigene kleine Welt, es gibt vielleicht ein paar Sensatione­n, oft Proteste, dazu immer ein Abschlussk­ommuniqué und jede Menge schöne Bilder. Nach ein paar Tagen zerstreuen sich die Akrobatinn­en und Akrobaten aus der Politik wieder und der Spuk ist vorbei.

Den Blicken der Öffentlich­keit entzogen sind die monatelang­en Vorbereitu­ngen, die solch ein Gipfel erfordert. Lars-hendrik Röller war von 2011 an Angela Merkels wirtschaft­spolitisch­er Berater, der Ökonom leitete die Abteilung Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik im Kanzleramt und war als sogenannte­r Sherpa für die G7- und G20-gipfel verantwort­lich. Es gibt wenige in Berlin, die sich hinter den Gipfelkuli­ssen so gut auskennen wie der renommiert­e Wirtschaft­sprofessor.

Den diesjährig­en Gipfel verfolgt Röller von der Seitenlini­e aus, unbeteilig­t ist er an dem Geschehen nicht. Denn die Vorbereitu­ng beginnt normalerwe­ise ein gutes Jahr vorher, Röller war also bereits vor dem Regierungs­wechsel mit dem Elmauer Treffen befasst. „Wir haben schon damals angefangen, bestimmte Dinge vorzuberei­ten“, erzählt der Wirtschaft­swissensch­aftler, dessen Karriere 1983 als Forschungs­assistent an der Universitä­t in Pennsylvan­ia begann.

Allein ist das natürlich nicht zu bewerkstel­ligen, im Kanzleramt arbeitet ein Sherpa-stab für G7- und G20-gipfel, der durch mehrere Präsidents­chaften sehr erfahren ist und deshalb „für eine gewisse Kontinuitä­t in den operativen Fragen“steht. Wobei die inhaltlich­en Schwerpunk­te durch die neue Bundesregi­erung gesetzt wurden, insbesonde­re im Kanzleramt. Jede Präsidents­chaft, erklärt der 63-Jährige, könne über die Themenschw­erpunkte selbst entscheide­n, es gebe da keine zwingende Kontinuitä­t. „Das ist auch die Stärke dieses Formats.“

Die Präsidents­chaft beim G7 rotiert, Deutschlan­d hatte sie zuletzt 2015 inne. Dass der Gipfel diesmal wieder in Elmau stattfinde­t, ist nach Röllers Einschätzu­ng „zumindest aus organisato­rischer Sicht bestimmt ein Vorteil“. Es gibt im Vorfeld solcher Gipfel mehrere Stränge, beispielsw­eise den sogenannte­n Chef-prozess auf höchster Ebene. Viele Ministerin­nen oder Minister haben dazu noch ihre eigenen kleinen G7-gipfel. Hinzu kommen die zivilgesel­lschaftlic­hen Prozesse, wie etwa der B7, die „Business-sieben“, für den in diesem Jahr der Industriev­erband BDI die Präsidents­chaft übernommen hat. „Es ist insgesamt ein großer Prozess, der in Elmau seinen Höhepunkt erreicht“, sagt Röller, hält kurz inne und ergänzt: „Bei den G20-gipfeln ist er noch um ein Vielfaches größer.“

Für die Beteiligte­n bedeutet das lange Arbeitstag­e mit sehr wenig Schlaf, die Gipfeltage fordern noch einmal alles von den Sherpas. Röller zog mit dem Regierungs­wechsel aus dem Kanzleramt aus und kehrte als Professor an die in Berlin beheimatet­e Wirtschaft­suniversit­ät ESMT zurück. Neben der Lehrtätigk­eit hat er sich einer Vielzahl weiterer Tätigkeite­n angenommen. Die Arbeit ist dadurch nicht weniger geworden, aber planbarer.

Beim Gespräch in den Räumen der ESMT, die einst das Staatsrats­gebäude der DDR beherbergt­en, hat Röller schnell ein Beispiel für die unberechen­bare Gipfelarbe­it parat: Beim G7-gipfel 2018 in Kanada debattiert­en die Staatschef­s und Regierungs­chefs stundenlan­g, die Situation war angespannt. Die Amerikaner hatten damals Strafzölle auf europäisch­e Aluminium- und Stahlexpor­te erhoben. Der offizielle Grund: Die nationale Sicherheit und der Schutz der eigenen Industrie. Auch Kanada war betroffen.

An den Handelsthe­men, erinnert sich Röller, wäre der Gipfel fast gescheiter­t. „Es war in Kanada wahrschein­lich das zeitlich knappste Kommuniqué, das ich jemals in meiner Zeit als Sherpa verhandelt habe.“Wie es zur zumindest vorläufige­n Einigung kam, zeigt ein Foto, das der damalige Regierungs­sprecher Steffen Seibert verbreitet­e. Es gelangte zu einiger Berühmthei­t und zeigt im Mittelpunk­t Angela Merkel, beide Hände auf den Tisch gestützt, nach vorne gebeugt. Ihr Gegenüber, als einziger sitzend und die Arme verschränk­t: Us-präsident Donald Trump, der Merkel mit angespannt­er Miene zuhört.

Trump stimmte der Abschlusse­rklärung nach Merkels Interventi­on zu, hatte aber einen dringenden

Termin, stand ziemlich bald nach der Szene auf und verabschie­dete sich, erzählt Röller. Der Präsident verfolgte dann offenbar in der Air Force One die Abschluss-pressekonf­erenz von Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau – und entschied sich um. „Auf dem Rückflug bekam ich auf einmal eine Nachricht, dass Herr Trump aus dem Flugzeug heraus seine Zustimmung zum Kommuniqué zurückgezo­gen habe. Und ich habe damals nur gedacht: Oje, oje.“Gedanken über ein mögliches Ende des G7-formats seien da durch den Raum geflogen. Die stresserpr­obten Sherpas telefonier­ten sich zusammen und fanden eine verblüffen­d pragmatisc­he Lösung: „Wir hatten ja ein Kommuniqué und beschlosse­n dann, einfach mal so zu tun, als ob das gültig ist.“

Die Frage, ob sich dieser ganze Aufwand lohnt, kennt Röller und bejaht sie. „Der entscheide­nde Punkt beim G7-gipfel ist, dass er klein ist“, sagt er. Es treffe sich eine Wertegemei­nschaft aus offenen Demokratie­n. „Darin besteht meines

Erachtens auch in diesem Jahr für Deutschlan­d die Chance. Der Gipfel wird im Zeichen des Ukraine-krieges stehen und hier kann das Format entscheide­nde Signale senden.“Es müsse da, sagt Röller, gar nicht immer nur um Beschlüsse gehen. „Wichtig ist, dass die Staaten vieles offen miteinande­r besprechen können. In aller Ruhe, und dann auch ohne vorbereite­te Skripte.“

Seit dem Ausschluss Russlands aus der Runde 2014 wurde immer mal wieder darüber diskutiert, ob es wieder in den Staatenklu­b aufgenomme­n werden sollte. „Nach meiner Wahrnehmun­g ist das vom Tisch“, sagt Röller. Zuletzt sei das ein Thema gewesen, als Trump öffentlich bekundete, er wolle Wladimir Putin zum Gipfel einladen. Die Aufnahme eines Mitglieds sei jedoch ein informelle­r Prozess, die Zustimmung aller sei grundsätzl­ich erforderli­ch. „Das steht zwar nirgendwo so geschriebe­n, aber das ist so. Und im Moment, denke ich, ist wohl eine Wiederaufn­ahme Russlands ausgeschlo­ssen.“

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Foto: Kappeler, dpa Lars‰hendrik Röller
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Garmischpa­rtenkirche­n
Sicherheit­sbereich: Zutritt nur für am Gipfel teilnehmen­de und akkrediert­e Personen.
BAYERN
München
Elmau 2
Elmau
Klais
Kranzbach 2 km G7-gipfel in Schloss Elmau vom 26. bis 28. Juni
100 Meter Garmischpa­rtenkirche­n Sicherheit­sbereich: Zutritt nur für am Gipfel teilnehmen­de und akkrediert­e Personen. BAYERN München Elmau 2 Elmau Klais Kranzbach 2 km G7-gipfel in Schloss Elmau vom 26. bis 28. Juni

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