Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wenn Donald Trump plötzlichnicht mehr will
Der Ökonom Lars-hendrik Röller hat für Angela Merkel viele Gipfeltreffen vorbereitet. Worauf kommt es dabei eigentlich an?
Gipfeltreffen wie das der G7-nationen sind einem Wanderzirkus nicht unähnlich. Es entsteht eine eigene kleine Welt, es gibt vielleicht ein paar Sensationen, oft Proteste, dazu immer ein Abschlusskommuniqué und jede Menge schöne Bilder. Nach ein paar Tagen zerstreuen sich die Akrobatinnen und Akrobaten aus der Politik wieder und der Spuk ist vorbei.
Den Blicken der Öffentlichkeit entzogen sind die monatelangen Vorbereitungen, die solch ein Gipfel erfordert. Lars-hendrik Röller war von 2011 an Angela Merkels wirtschaftspolitischer Berater, der Ökonom leitete die Abteilung Wirtschaftsund Finanzpolitik im Kanzleramt und war als sogenannter Sherpa für die G7- und G20-gipfel verantwortlich. Es gibt wenige in Berlin, die sich hinter den Gipfelkulissen so gut auskennen wie der renommierte Wirtschaftsprofessor.
Den diesjährigen Gipfel verfolgt Röller von der Seitenlinie aus, unbeteiligt ist er an dem Geschehen nicht. Denn die Vorbereitung beginnt normalerweise ein gutes Jahr vorher, Röller war also bereits vor dem Regierungswechsel mit dem Elmauer Treffen befasst. „Wir haben schon damals angefangen, bestimmte Dinge vorzubereiten“, erzählt der Wirtschaftswissenschaftler, dessen Karriere 1983 als Forschungsassistent an der Universität in Pennsylvania begann.
Allein ist das natürlich nicht zu bewerkstelligen, im Kanzleramt arbeitet ein Sherpa-stab für G7- und G20-gipfel, der durch mehrere Präsidentschaften sehr erfahren ist und deshalb „für eine gewisse Kontinuität in den operativen Fragen“steht. Wobei die inhaltlichen Schwerpunkte durch die neue Bundesregierung gesetzt wurden, insbesondere im Kanzleramt. Jede Präsidentschaft, erklärt der 63-Jährige, könne über die Themenschwerpunkte selbst entscheiden, es gebe da keine zwingende Kontinuität. „Das ist auch die Stärke dieses Formats.“
Die Präsidentschaft beim G7 rotiert, Deutschland hatte sie zuletzt 2015 inne. Dass der Gipfel diesmal wieder in Elmau stattfindet, ist nach Röllers Einschätzung „zumindest aus organisatorischer Sicht bestimmt ein Vorteil“. Es gibt im Vorfeld solcher Gipfel mehrere Stränge, beispielsweise den sogenannten Chef-prozess auf höchster Ebene. Viele Ministerinnen oder Minister haben dazu noch ihre eigenen kleinen G7-gipfel. Hinzu kommen die zivilgesellschaftlichen Prozesse, wie etwa der B7, die „Business-sieben“, für den in diesem Jahr der Industrieverband BDI die Präsidentschaft übernommen hat. „Es ist insgesamt ein großer Prozess, der in Elmau seinen Höhepunkt erreicht“, sagt Röller, hält kurz inne und ergänzt: „Bei den G20-gipfeln ist er noch um ein Vielfaches größer.“
Für die Beteiligten bedeutet das lange Arbeitstage mit sehr wenig Schlaf, die Gipfeltage fordern noch einmal alles von den Sherpas. Röller zog mit dem Regierungswechsel aus dem Kanzleramt aus und kehrte als Professor an die in Berlin beheimatete Wirtschaftsuniversität ESMT zurück. Neben der Lehrtätigkeit hat er sich einer Vielzahl weiterer Tätigkeiten angenommen. Die Arbeit ist dadurch nicht weniger geworden, aber planbarer.
Beim Gespräch in den Räumen der ESMT, die einst das Staatsratsgebäude der DDR beherbergten, hat Röller schnell ein Beispiel für die unberechenbare Gipfelarbeit parat: Beim G7-gipfel 2018 in Kanada debattierten die Staatschefs und Regierungschefs stundenlang, die Situation war angespannt. Die Amerikaner hatten damals Strafzölle auf europäische Aluminium- und Stahlexporte erhoben. Der offizielle Grund: Die nationale Sicherheit und der Schutz der eigenen Industrie. Auch Kanada war betroffen.
An den Handelsthemen, erinnert sich Röller, wäre der Gipfel fast gescheitert. „Es war in Kanada wahrscheinlich das zeitlich knappste Kommuniqué, das ich jemals in meiner Zeit als Sherpa verhandelt habe.“Wie es zur zumindest vorläufigen Einigung kam, zeigt ein Foto, das der damalige Regierungssprecher Steffen Seibert verbreitete. Es gelangte zu einiger Berühmtheit und zeigt im Mittelpunkt Angela Merkel, beide Hände auf den Tisch gestützt, nach vorne gebeugt. Ihr Gegenüber, als einziger sitzend und die Arme verschränkt: Us-präsident Donald Trump, der Merkel mit angespannter Miene zuhört.
Trump stimmte der Abschlusserklärung nach Merkels Intervention zu, hatte aber einen dringenden
Termin, stand ziemlich bald nach der Szene auf und verabschiedete sich, erzählt Röller. Der Präsident verfolgte dann offenbar in der Air Force One die Abschluss-pressekonferenz von Kanadas Premierminister Justin Trudeau – und entschied sich um. „Auf dem Rückflug bekam ich auf einmal eine Nachricht, dass Herr Trump aus dem Flugzeug heraus seine Zustimmung zum Kommuniqué zurückgezogen habe. Und ich habe damals nur gedacht: Oje, oje.“Gedanken über ein mögliches Ende des G7-formats seien da durch den Raum geflogen. Die stresserprobten Sherpas telefonierten sich zusammen und fanden eine verblüffend pragmatische Lösung: „Wir hatten ja ein Kommuniqué und beschlossen dann, einfach mal so zu tun, als ob das gültig ist.“
Die Frage, ob sich dieser ganze Aufwand lohnt, kennt Röller und bejaht sie. „Der entscheidende Punkt beim G7-gipfel ist, dass er klein ist“, sagt er. Es treffe sich eine Wertegemeinschaft aus offenen Demokratien. „Darin besteht meines
Erachtens auch in diesem Jahr für Deutschland die Chance. Der Gipfel wird im Zeichen des Ukraine-krieges stehen und hier kann das Format entscheidende Signale senden.“Es müsse da, sagt Röller, gar nicht immer nur um Beschlüsse gehen. „Wichtig ist, dass die Staaten vieles offen miteinander besprechen können. In aller Ruhe, und dann auch ohne vorbereitete Skripte.“
Seit dem Ausschluss Russlands aus der Runde 2014 wurde immer mal wieder darüber diskutiert, ob es wieder in den Staatenklub aufgenommen werden sollte. „Nach meiner Wahrnehmung ist das vom Tisch“, sagt Röller. Zuletzt sei das ein Thema gewesen, als Trump öffentlich bekundete, er wolle Wladimir Putin zum Gipfel einladen. Die Aufnahme eines Mitglieds sei jedoch ein informeller Prozess, die Zustimmung aller sei grundsätzlich erforderlich. „Das steht zwar nirgendwo so geschrieben, aber das ist so. Und im Moment, denke ich, ist wohl eine Wiederaufnahme Russlands ausgeschlossen.“