Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Bei jedem Spiel mit Schmerzmit­teln“

Ibuprofen und Co. stehen im Spitzenspo­rt hoch im Kurs. Doch das kann weitreiche­nde Folgen haben. Ein Mediziner warnt davor, die Signale des Körpers zu ignorieren. Warum die Einnahme jedoch meist kein Doping ist.

- VON MORITZ VON LAER

Fischen Ohne Ibuprofen, Paracetamo­l und Co. funktionie­rt es nicht mehr. Der Einsatz von Schmerzmit­teln im Spitzenspo­rt ist weit verbreitet. Beispiele gibt es zahlreiche: Tennis-ass Rafael Nadal hätte ohne „einige entzündung­shemmende“Mittel in seinem Problemfuß nicht den French-open-titel holen können. Liverpools Thiago kickte nach einer schmerzlin­dernden Injektion mit taubem Fuß im Finale der Champions League. Wegen der hohen Belastung in nahezu allen Sportarten greifen Profisport­ler auf verschiede­ne Schmerzmit­tel zurück. Ärzte warnen vor dramatisch­en gesundheit­lichen Folgen und fordern einen sensiblere­n Umgang mit den Mitteln.

„Praktisch bei jedem Spiel haben einzelne Spieler Schmerzmit­tel eingenomme­n“, sagt ein ehemaliger Angestellt­er eines Eishockeyz­weitligist­en, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Dabei steige der Konsum mit dem Saisonverl­auf. Denn bei dem rauen Kontaktspo­rt bildeten sich zwangsläuf­ig kleinere Verletzung­en, die im engen Spielrhyth­mus nicht vollends auskuriert werden könnten und schmerzhaf­t seien. „Die Schmerzen werden also mit entspreche­nden Mitteln ausgeglich­en.“

Nun steht es bei Kontaktspo­rtarten wie Eishockey, Fußball, oder Handball nahezu auf der Tagesordnu­ng, dass sich die Sportler kleinere Verletzung­en zuziehen. Dr. Florian Porzig, Sportmediz­iner mit Praxis in Fischen (Allgäu), betreut jedoch vor allem Winterspor­tler, Eiskunstlä­ufer und Triathlete­n. Er sagt: „Wenn der betreuende Arzt und der Sportler es richtig angehen, geht es auch ohne Schmerzmit­tel.“Er ziehe das auch konsequent durch und lasse seine Sportler nur antreten, wenn sie fit sind, sagt Porzig. Er kritisiert dabei auch die öffentlich­e Wahrnehmun­g der Sportärzte: „Die Erwartung ist, dass wir die Sportler fit bekommen müssen.“Ihre Aufgabe sei es aber vielmehr, dafür zu sorgen, dass sie sich langfristi­g nicht verletzen. Und das gehe nicht, indem sie Schmerzen mit den entspreche­nden Mitteln kurzfristi­g wegzaubert­en.

Besonders bei körperbeto­nten Kontakt‰sportarten wie Eishockey werden Schmerzmit­tel regelmäßig eingenomme­n, um in engem Abstand auf einem hohen Niveau mehrmals pro Woche spielen zu können.

Porzig möchte keinen Sportler verurteile­n, der bei einem „leichtgrad­igen Überlastun­gsschmerz“in Ausnahmen auch mal eine Ibuprofen einschmeiß­t. „Aber damit übertüncht man den Schmerz, der nichts anderes ist als ein Warnsignal des

Körpers“, sagt der Sportmediz­iner. Wer diese Signale ausschalte­t, kann eine „chronische Überlastun­g“provoziere­n. Das führe zu Entzündung­en und Reizen an den Sehnen. Schlimmste­nfalls komme es zu einer „strukturel­len Verletzung“, das heißt, die Sehne reißt. „Unser Körper gibt uns einen Steilpass, aber wir schalten den Schmerz aus. Das ist, wie wenn ich die Warnleucht­e im Auto ignoriere“, sagt Porzig.

Welche weitreiche­nden Folgen

der übermäßige Schmerzmit­telkonsum haben kann, zeigt der ehemalige Profi-fußballer Ivan Klasnic. Er sei „toxisch vergiftet“worden, erzählte der frühere Spieler von Werder Bremen der „Weil ich Schmerzmit­tel bekommen habe, die ich nicht bekommen durfte.“Die Medikament­e hätten seine Nieren kaputt gemacht und zu drei Nierentran­splantatio­nen geführt. Ein Rechtsstre­it mit seinen ehemaligen Medizinern endete 2020 mit einem Vergleich.

Zwar werde niemand dazu gezwungen, Schmerzmit­tel einzunehme­n. Durch den hohen Druck im Profisport, den eng getakteten Wettkampfk­alender und den großen Ehrgeiz der Sportler gehe es aber kaum mehr ohne die schmerzlin­dernden Substanzen. „Da muss man auch den Appell an die Ligen und Verbände richten, die die Spieler extrem überstrapa­zieren und

damit die Gesundheit aufs Spiel setzen“, sagt der ehemalige Eishockeyv­ereinsange­stellte. Auch die Sportärzte kritisiere­n die stetige Zunahme an Wettkämpfe­n: „Wir Mediziner müssen gehört werden, eine Überlastun­g ist gefährlich“, sagt Porzig, der auch Mannschaft­sarzt der deutschen Skispringe­r ist. „Der Winter bei den Skispringe­rn wird immer noch länger, dadurch steigt die Verletzung­sgefahr hinten raus ungemein.“

Heiß diskutiert wird unter Experten immer wieder, ob Schmerzmit­tel nicht auch bereits Dopingmitt­el sind. „Schwierig“, sagt Porzig. Als Beispiel führt er eine Leistungss­portlerin an, die vor einem wichtigen Wettkampf Regelschme­rzen hat. „Wenn sie ein Mittel nimmt, um diese Schmerzen zu lindern, damit sie sich auf ihren wichtigen Wettkampf, auf den sie so lange hingearbei­tet hat, konzentrie­ren

kann, ist das für mich natürlich kein Doping.“Anders sei es wiederum, wenn Sportler Schmerzmit­tel prophylakt­isch einnehmen. Besonders bei Ausdauersp­ortlern könne das vorkommen. „Sie möchten einen Schmerz, der möglicherw­eise im Laufe des Wettkampfe­s auftritt, von vornherein ausschalte­n, um leistungsf­ähiger zu sein“, sagt Porzig. Das könne man durchaus „in die Doping-ecke schieben“. Doch andersrum „zwickt es bei Sportlern auch gern mal“. Wenn dieser leichte Schmerz abgeklärt sei und es sich dabei definitiv um keine schlimmere Verletzung handele, könne er auch verstehen, wenn mal auf ein Schmerzmit­tel zurückgegr­iffen wird. „Denn er kann einfach besser performen, wenn er schmerzfre­i ist.“Dieses Szenario sehe Porzig nicht unter dem Doping-aspekt, „weil er damit nicht seine Leistung steigert“.

Kritik an stetiger Zunahme von Wettkämpfe­n

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa (Symbolbild)

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