Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die ungeschminkte Wahrheit
Kaum ist die Maske gefallen, boomt der Make-up-markt.
Eitelkeit hat ja etwas Radikales. Sie kennt keinen Schmerz, scheut keine Mühe, selbst über das, was wir Menschenwürde nennen, setzt sie sich bisweilen hinweg. Da wird gezupft, gecremt, geschunden. Immer mit der Maxime: Ich mach das nicht für andere – ich mach das nur für mich selbst.
Wie dünn dieses Argument schon immer war, zeigte uns ausgerechnet ein Virus. Kaum, dass die Menschheit sich wegen Corona eine Maske vors Gesicht spannte, schwanden alle Bemühungen, das eigene Antlitz mit den Segnungen der Make-up-industrie zu verschönern. Sieht ja eh keiner. Und in den paar Videokonferenzen, die man über sich ergehen lassen musste, konnte man den Kollegen notfalls vorgaukeln, dass man leider, leider die Kamera nicht zum Laufen bringe. Überhaupt: Wozu gibt es eigentlich Weichzeichner und Filterfunktionen.
Wer nicht vergessen hatte, dass das wahre Leben keine Filter kennt, machte einen Termin beim Schönheitschirurgen aus – die Narben und blauen Flecken verschwanden dann unter der Ffp2-maske. Doch nun ist auch dieser gnädige Gleichmacher gefallen. Und siehe da: die Kosmetikkonzerne jubeln.
„In Deutschland boomt der Make-up-markt seit einigen Wochen geradezu, also seitdem die Masken nicht mehr Pflicht sind“, sagt das L’oréal-vorstandsmitglied Alexis Perakis-valat. Die ungeschminkte Wahrheit haben wir schließlich viel zu lange gesehen. Und reicht nicht schon das unheilvolle Aufeinandertreffen von 30-Grad-tagen, der Rückkehr ins Großraumbüro und der Habeck’schen Aufforderung, weniger zu duschen? Sollte da nicht wenigstens die Fassade strahlen? Eben!