Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Pultstar fürs Bewährte
Porträt Daniele Gatti ist der designierte neue Chefdirigent der Dresdner Staatskapelle. Die erwartete Kontrastpersonalie zum noch amtierenden Christian Thielemann ist er nicht.
Die Frage, wer den ab Sommer 2024 vakanten Chefdirigentenposten bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden übernehmen sollte, war zuletzt eine der interessantesten Personalfragen der Klassikbranche. Denn der, dessen Vertrag dort nicht verlängert wird, ist kein Geringerer als Christian Thielemann, einer der profiliertesten Orchesterlenker heutiger Zeit, wenn auch nicht in jeder Hinsicht unumstritten. Die sächsische Kulturministerin hatte die nicht weiter gewollte Zusammenarbeit jedenfalls begründet mit einer Neuausrichtung der Staatskapelle und der von ihr bespielten Semperoper.
Insofern ist das Votum, welches das Orchester nun bekannt gegeben hat, eine Überraschung. Wer gedacht hatte, dass ein jüngeres Gesicht, womöglich mit Wurzeln außerhalb des abendländischen Kulturkreises, gar eine Frau auf den Chefposten rücken würde, sieht nun alles anders, man könnte auch sagen: kontinuitätsbewahrend gekommen. Denn der 61-jährige Italiener Daniele Gatti ist einer aus dem Kreis der Stardirigenten, die an den Pulten der ewig selben großen Opernhäuser, Eliteorchester und maßgeblichen Festivals zu finden sind. Auf einen zugkräftigen Namen will man dann doch nicht verzichten, gerade nicht in Dresden, dessen Semperoper nicht zum geringsten Teil vom touristischen Publikum ausgelastet wird. Das Musiktheater ist denn auch das Standbein des gebürtigen Mailänders Gatti. An der Scala gelang ihm in den späten 80er Jahren der Durchbruch, seither ist er in London, Wien, New York und anderswo viel verpflichtet. Als Dirigent besitzt er ein ausgesprochenes Gespür für Klangfarben, worüber er hier und da die dramatische Linie aus dem Blick verliert. Längst ist Gatti auch für Symphonisches gefragt. 2016 wurde er Nachfolger von Mariss Jansons als Chef des Amsterdamer Concertgebouw – und zwei Jahre später wieder hinausgeworfen, als ruchbar wurde, Gatti habe zwei Orchestermusikerinnen in ungebührlicher Weise belästigt, was er jedoch bestritt.
Beim Dresdner Traditionsorchester wartet nun beides auf ihn, Oper und Konzert. Ob Gatti freilich die ausgerufene Erneuerung leisten können, ja überhaupt wollen wird, bleibt abzuwarten. In Amsterdam, seinem früheren Orchester, ist man diesbezüglich etwas mutiger. Dort hat man sich Klaus Mäkelä geangelt, der ab 2027 Chefdirigent sein soll. Mäkeläs Alter: 26.