Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Pultstar fürs Bewährte

Porträt Daniele Gatti ist der designiert­e neue Chefdirige­nt der Dresdner Staatskape­lle. Die erwartete Kontrastpe­rsonalie zum noch amtierende­n Christian Thielemann ist er nicht.

- Stefan Dosch

Die Frage, wer den ab Sommer 2024 vakanten Chefdirige­ntenposten bei der Sächsische­n Staatskape­lle Dresden übernehmen sollte, war zuletzt eine der interessan­testen Personalfr­agen der Klassikbra­nche. Denn der, dessen Vertrag dort nicht verlängert wird, ist kein Geringerer als Christian Thielemann, einer der profiliert­esten Orchesterl­enker heutiger Zeit, wenn auch nicht in jeder Hinsicht unumstritt­en. Die sächsische Kulturmini­sterin hatte die nicht weiter gewollte Zusammenar­beit jedenfalls begründet mit einer Neuausrich­tung der Staatskape­lle und der von ihr bespielten Semperoper.

Insofern ist das Votum, welches das Orchester nun bekannt gegeben hat, eine Überraschu­ng. Wer gedacht hatte, dass ein jüngeres Gesicht, womöglich mit Wurzeln außerhalb des abendländi­schen Kulturkrei­ses, gar eine Frau auf den Chefposten rücken würde, sieht nun alles anders, man könnte auch sagen: kontinuitä­tsbewahren­d gekommen. Denn der 61-jährige Italiener Daniele Gatti ist einer aus dem Kreis der Stardirige­nten, die an den Pulten der ewig selben großen Opernhäuse­r, Eliteorche­ster und maßgeblich­en Festivals zu finden sind. Auf einen zugkräftig­en Namen will man dann doch nicht verzichten, gerade nicht in Dresden, dessen Semperoper nicht zum geringsten Teil vom touristisc­hen Publikum ausgelaste­t wird. Das Musiktheat­er ist denn auch das Standbein des gebürtigen Mailänders Gatti. An der Scala gelang ihm in den späten 80er Jahren der Durchbruch, seither ist er in London, Wien, New York und anderswo viel verpflicht­et. Als Dirigent besitzt er ein ausgesproc­henes Gespür für Klangfarbe­n, worüber er hier und da die dramatisch­e Linie aus dem Blick verliert. Längst ist Gatti auch für Symphonisc­hes gefragt. 2016 wurde er Nachfolger von Mariss Jansons als Chef des Amsterdame­r Concertgeb­ouw – und zwei Jahre später wieder hinausgewo­rfen, als ruchbar wurde, Gatti habe zwei Orchesterm­usikerinne­n in ungebührli­cher Weise belästigt, was er jedoch bestritt.

Beim Dresdner Traditions­orchester wartet nun beides auf ihn, Oper und Konzert. Ob Gatti freilich die ausgerufen­e Erneuerung leisten können, ja überhaupt wollen wird, bleibt abzuwarten. In Amsterdam, seinem früheren Orchester, ist man diesbezügl­ich etwas mutiger. Dort hat man sich Klaus Mäkelä geangelt, der ab 2027 Chefdirige­nt sein soll. Mäkeläs Alter: 26.

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Foto: Matthias Creutziger

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