Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zur Therapie nach Mexiko

Birgit Feucht aus dem Oberallgäu leidet an Multipler Sklerose. Mehr als 20 Jahre lang. Dann unterzieht sie sich einer hierzuland­e seltenen Behandlung. Mit Erfolg?

- Von Simone Härtle

Krugzell Ihre Geschichte hat viele Menschen im Allgäu und darüber hinaus bewegt – und zum Spenden animiert: Vor über 20 Jahren wurde bei Birgit Feucht aus Krugzell im Oberallgäu Multiple Sklerose (MS) diagnostiz­iert – eine entzündlic­he Erkrankung des zentralen Nervensyst­ems, die das Gehirn und das Rückenmark umfasst. Je weiter die Krankheit fortschrei­tet, desto mehr nehmen die körperlich­en Fähigkeite­n ab. Oft sind Betroffene auf einen Rollstuhl angewiesen. Feucht will sich nicht einfach ihrem Schicksal fügen – und startete vor gut zwei Jahren eine Spendenakt­ion, die ihr eine komplexe Therapie im Ausland ermögliche­n sollte. Mit Erfolg. Heute sagt die 54-Jährige: „Es geht mir gut. Mein Alltag ist annähernd normal.“

Die autologe Stammzelle­ntransplan­tation ist eine Therapie, die in Deutschlan­d nur selten durchgefüh­rt wird – auch weil es laut dem Hamburger Experten Professor Dr. Christoph Heesen nur wenige wissenscha­ftliche Studien gibt. „Dass die Krankenkas­se die Therapie bezahlt, ist schwierig.“Dabei biete sie eine Chance auf ein normales Leben. „Ich kann verstehen, dass manch einer den Weg ins Ausland wählt. Die Nachsorge wird dadurch aber komplizier­ter“, sagt Heesen.

Laut der Deutschen Gesellscha­ft für Neurologie handelt es sich bei der autologen Stammzelle­ntransplan­tation um eine Art „Neustart“des Immunsyste­ms. Es werden blutbilden­de Stammzelle­n aus dem Knochenmar­k des Patienten entnommen, daran schließt sich eine Chemothera­pie an, wodurch das Knochenmar­k und damit auch die fehlerhaft programmie­rten Immunzelle­n zerstört werden. „Dabei wird quasi das Immunsyste­m des Patienten völlig herunterge­fahren, die fehlerhaft­e ’Software‘ gelöscht, eine neue aufgespiel­t und das System neu gestartet“, heißt es in einer Mitteilung der Gesellscha­ft.

Bei Feucht wurde der Eingriff im Januar 2021 in Mexiko durchgefüh­rt. Die Behandlung kostete 50.000 Euro, ein Großteil davon kam über die Spendenakt­ion zusammen. „Es war teilweise sehr anstrengen­d, die erste Chemothera­pie

Professor Christoph Heesen

habe ich nur schlecht vertragen“, erzählt Feucht. „Alles in allem war die Therapie aber nicht so schlimm, wie ich es befürchtet hatte.“Begleiters­cheinungen wie Krampfanfä­lle in den Beinen hätten sich mittlerwei­le gelegt.

Bereits wenige Monate nach dem Eingriff konnte die Oberallgäu­erin auch wieder arbeiten. Nur bei längeren Strecken werde ihr rechtes Bein nach etwa fünf Kilometern

schlapp. „Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.“Jüngst hat die Mutter von zwei Kindern sogar eine Wanderung auf den über 1900 Meter hohen Aggenstein geschafft. „Das war hart, mir tat alles weh, aber ich war auch stolz.“

Einmal im Jahr wird nun mit einer Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) überprüft, ob es im Gehirn von Feucht zu neuen Entzündung­en gekommen ist. „Meine bislang letzte Untersuchu­ng war im Mai, da sah alles sehr gut aus.“Die kämpferisc­he Allgäuerin betont jedoch auch: „Aktuell ist die MS gestoppt, das ist aber keine Heilung.“Eine Garantie, dass die Krankheit nicht wieder ausbreche, gebe es nicht. Aus Berichten von anderen Betroffene­n, bei denen der Eingriff durchgefüh­rt wurde, wisse sie: Manchmal kämen schon nach vier Jahren neue Schübe, andere seien zehn Jahre lang symptomfre­i. Feucht bleibt auf jeden Fall zuversicht­lich. „Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die mir auf meinem Weg geholfen haben.“

„Ich kann verstehen, wenn man den Weg ins Ausland wählt.“

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Foto: Familie Feucht Birgit Feucht macht gerne Sport – von Radfahren bis Wandern. Von der Multiplen Sklerose will sie sich nicht kleinkrieg­en lassen.

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