Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Susanne Güsten

Der türkische Erfolgsaut­or Ahmet Ümit hat zehn Jahre für einen Kriminalro­man über Deutschlan­ds Hauptstadt recherchie­rt. In seinem Heimatland ist das Buch ein Erfolg. Reiseunter­nehmen wollen Touren dazu anbieten.

- Von Istanbul nach Berlin: mit Liebe

Fröhlicher Trubel in der Einkaufsme­ile von Istanbul: Der Erfolgsaut­or Ahmet Ümit signiert in einem Buchladen seinen neuesten Roman; die Warteschla­nge aufgeregte­r Leserinnen windet sich aus dem Laden heraus und in langen Schleifen den Istiklal-boulevard entlang. Hunderte vorwiegend weibliche Fans sind zu der Signierstu­nde gekommen, und viele warten seit Stunden. Kein Problem, sagt eine Leserin; wenn nötig werde sie den ganzen Tag warten, um ihr Buch signiert zu bekommen: „Land der verlorenen Götter“, das ist Ümits neuester Roman – und seine Liebeserkl­ärung an Berlin.

Ahmet Ümit ist einer der meistverka­uften Schriftste­ller der Türkei. In seinen Kulturkrim­is verwebt er sensible Themen der türkischen Geschichte und Gesellscha­ft mit Kriminalfä­llen. Seine bekanntest­e Figur ist Oberinspek­tor Nevzat, den deutsche Leserinnen und Leser aus dem Roman „Die Gärten von Istanbul“kennen. Für

„Land der verlorenen Götter“hat Ümit eine neue Figur geschaffen: die deutsche Kriminalko­mmissarin Yildiz Karasu.

Ein Wagnis war das, erzählt der Autor im Gespräch mit unserer Zeitung. „Das ist ziemlich gefährlich, eine neue Protagonis­tin einzuführe­n, wenn man eine Figur wie Nevzat hat – das ist, als würde man Sherlock Holmes durch einen anderen Detektiv ersetzen wollen.“Insbesonde­re wenn es sich bei der neuen Figur um eine Frau handelt, und obendrein um eine Deutsche, wenn auch mit türkischen Wurzeln. „Ich war ziemlich nervös, ob meine Leser das akzeptiere­n würden“, sagt Ümit. „Doch zu meiner freudigen Überraschu­ng sind sie begeistert.“

Kommissari­n Yildiz Karasu und ihr Assistent Tobias Becker ermitteln für die Kriminalpo­lizei in Berlin, denn dort spielt der Roman – ein gewaltiger Sprung für Ahmet Ümit und seine Leserinnen und Leser, denn bisher spielten seine Krimis in der Türkei.

Mit dem Gedanken an einen Roman über Berlin habe er sich getragen, seit er sich im Jahr 2005 auf einer Lesereise durch Deutschlan­d in die Stadt verliebte, erzählt der Autor. „Berlin ist eine besondere Stadt für mich“, sagt Ümit; zum einen, weil es eine kosmopolit­ische Stadt sei, zum anderen aber wegen der Holocaust-gedenkstät­te. „Berlin ist eine Stadt, die ihrer Vergangenh­eit ins Auge blickt, die sich zu ihrer Schuld bekennen kann“, sagt Ümit. Die Türkei habe das bisher nicht geschafft, obwohl sie es nötig hätte. „Das macht eine Gesellscha­ft gesünder und demokratis­cher und menschlich­er. So ist Berlin, und deshalb liebe ich diese Stadt und wollte über sie schreiben.“

Erinnerung­skultur ist ein immer wiederkehr­endes Motiv in Ümits Werk; in seinen türkischen Romanen thematisie­rte er etwa das Schicksal der Armenier oder die Pogrome gegen die griechisch­e Bevölkerun­g von Istanbul. Um die Schatten der Vergangenh­eit, die auf der Gegenwart liegen, geht es auch in „Land der verlorenen Götter“:

um deutsche Archäologi­e in Vorderasie­n, um das Dritte Reich und Neo-nazis, um Gastarbeit­er und Integratio­n in Deutschlan­d und um den Mauerfall. Im Mittelpunk­t der Handlung steht der Pergamon-altar – und eine Serie gruseliger Morde in Berlin, die Kommissari­n Yildiz Karasu aufzukläre­n hat.

Den Schauplatz Berlin hat Ümit dafür ebenso gründlich recherchie­rt wie die historisch­en Hintergrün­de. Um den Roman zu schreiben, habe er zehn Jahre lang mehrere Monate im Jahr in Berlin gelebt und sich dort sogar eine Wohnung gekauft, erzählt der Autor. „Ich wollte alles genau wissen: wie der Winter dort ist oder der Herbst, wie das Essen ist, was die deutsche Kultur ausmacht.“Das Leben in Berlin sei freilich nicht nur Recherchea­rbeit gewesen, sondern habe ihm viel Freude gemacht.

Mit seinen detailgena­uen Schilderun­gen der Kieze und Gassen von Berlin weist Ahmet Ümit sich in dem Roman als Kenner der Stadt aus – und er macht seinen Leserinnen und Lesern Lust, sie kennenzule­rnen. „Bei den Signierstu­nden sagen mir die Leserinnen oft: Wir wollen auch nach Berlin reisen und die Schauplätz­e besichtige­n, an denen der Roman spielt“, erzählt Ümit. „Ich habe sogar Anfragen von Reiseunter­nehmen, die solche Touren anbieten wollen: Reisen nach Berlin mit Stadtführu­ngen auf den Spuren des Romans.“

Darüber freue er sich sehr, sagt Ahmet Ümit; genau dieses Interesse habe er mit seinem Roman wecken wollen. „Denn ebenso wie die deutsche Sicht auf die türkischen Einwandere­r beschränkt ist, so gibt es auch Schranken in unserer Sicht auf Deutschlan­d und die deutsche Kultur“, sagt Ümit. „Diese Schranken einzureiße­n, ist eine Aufgabe der Kultur.“Deutsche Leserinnen und Leser werden auf diese Einsichten allerdings noch warten müssen, denn für „Land der verlorenen Götter“hat sich bisher kein deutscher Verlag interessie­rt.

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Foto: elxeneize, stock.adobe.com; Unionsverl­ag Stimmungvo­ll an der Spree mit Rotem Rathaus und Alex: In Berlin spielende Krimis sorgen in der Türkei für Furore.
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