Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Aera Tiret fusioniert den Geist des Jazz mit dem Herz des Rock
In nur vier Tagen hat die vierköpfige Band bis auf wenige Ausnahmen ein Set extra für den Auftritt im Brunnenhof geschrieben. Sie überzeugt nicht nur durch die Ernsthaftigkeit im Spiel, sondern gleichzeitig auch durch Humor.
Die Augsburger Elektroband Aera Tiret hat Stil und einen dementsprechend großen Kleiderschrank. Darin hängen Showkostüme für die großen Festivalbühnen, Neonoutfits für die Technokeller und eben auch der feine Zwirn für den Jazzclub. Der wurde auf die Bühne im Brunnenhof verlegt, und das witterungsresistente Publikum bekam ein Set serviert, das bis auf wenige Ausnahmen extra für diesen Abend geschrieben wurde. In gerade mal vier Proben, wohlgemerkt.
Schlagzeuger und Mastermind Dominik Scherer ist nebenberuflich Jazztrompeter, Silvan Lackerschmid hat den Jazz mit der Vatermilch aufgesogen, und Bassist Jonas Horche und Nick Herrmann an den Tasten können eh alles spielen. Und wenn Aera Tiret Jazz sagen, heißt das Fusion. Der Begriff ist oft überstrapaziert, sobald traditioneller Jazz auf andere Einflüsse trifft, aber hier fusioniert der Geist des Jazz im besten Sinne mit den weiteren Nukleinsäuren in der musikalischen DNA der Band.
Da wäre einmal das Element Rock. Scherers Schlagzeugspiel entfaltet eine Kraft, als wären seine Drumsticks die Stämme eines amerikanischen Mammutbaums, Gitarrist Lackerschmid beherrscht die breitbeinige Rockpose in Perfektion und zeigt bei seinen Tapping-soli, dass er mit Leichtigkeit die nächste Speed-morse-wm gewinnen könnte. Das elektronische Element scheint hell durch atmosphärische Soundflächen, die sich aufeinander türmen und sich in einem treibenden Beat auflösen, der von einer kristallklaren Funkbassline von Horche umspielt wird.
Das Publikum vergisst die beharrlichen Regenschauer und die an das Licht in einem Operationssaal erinnernden Strahler auf der Bühne und lässt sich von Spielfreude und der massiven Klangwelle treiben, die so transparent wie massiv aus den Boxen fließt. Eine weitere Disziplin des Jazz, die freie Improvisation, findet sich weniger im Set als in der mimischen Akrobatik Nick Herrmanns, als er seine auf den Punkt gespielten, herrlich verspulten Soli aus seinem E-piano zog.
Im Publikum nickten die Köpfe und öffneten und schlossen sich die Schirme im Takt, auf der Bühne blindes Verständnis und grinsende Münder. Denn bei aller spielerischen Ernsthaftigkeit haben Aera Tiret Humor. Der Versuch, ihren 31/8-Takt mitzuzählen, fühlt sich nach wenigen Sekunden an wie der Versuch, in der Präfekturverwaltung bei „Asterix erobert Rom“den Passierschein A38 zu besorgen. Und im zweiten Set klingt ein Song, als wäre er für eine absichtlich schlechte Krimiserie aus den 80er Jahren geschrieben worden, bei der King Kong und Herbie Hancock die Hauptrollen spielen.
Der erste für die Band geschriebene Song und gleichzeitig ihr erster Hit in den Elektrocharts, „Augsburg“, beendete sowohl das Konzert als auch das Programm des Jazzclubs für diese Saison. Und er beweist, dass seine Booker verlässlich für Qualität und einen weiten musikalischen Horizont stehen, und zeigt, dass die Berliner Punkrocker Die Ärzte auch mal danebenliegen können. Jazz ist anders, behaupteten die nämlich mal im Titel eines ihrer Alben. Richtig wäre aber: Jazz kann alles sein, und alles kann Jazz sein. Auch eine Elektroband mit Rockgitarristen.