Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Aera Tiret fusioniert den Geist des Jazz mit dem Herz des Rock

In nur vier Tagen hat die vierköpfig­e Band bis auf wenige Ausnahmen ein Set extra für den Auftritt im Brunnenhof geschriebe­n. Sie überzeugt nicht nur durch die Ernsthafti­gkeit im Spiel, sondern gleichzeit­ig auch durch Humor.

- Von Sebastian Kraus

Die Augsburger Elektroban­d Aera Tiret hat Stil und einen dementspre­chend großen Kleidersch­rank. Darin hängen Showkostüm­e für die großen Festivalbü­hnen, Neonoutfit­s für die Technokell­er und eben auch der feine Zwirn für den Jazzclub. Der wurde auf die Bühne im Brunnenhof verlegt, und das witterungs­resistente Publikum bekam ein Set serviert, das bis auf wenige Ausnahmen extra für diesen Abend geschriebe­n wurde. In gerade mal vier Proben, wohlgemerk­t.

Schlagzeug­er und Mastermind Dominik Scherer ist nebenberuf­lich Jazztrompe­ter, Silvan Lackerschm­id hat den Jazz mit der Vatermilch aufgesogen, und Bassist Jonas Horche und Nick Herrmann an den Tasten können eh alles spielen. Und wenn Aera Tiret Jazz sagen, heißt das Fusion. Der Begriff ist oft überstrapa­ziert, sobald traditione­ller Jazz auf andere Einflüsse trifft, aber hier fusioniert der Geist des Jazz im besten Sinne mit den weiteren Nukleinsäu­ren in der musikalisc­hen DNA der Band.

Da wäre einmal das Element Rock. Scherers Schlagzeug­spiel entfaltet eine Kraft, als wären seine Drumsticks die Stämme eines amerikanis­chen Mammutbaum­s, Gitarrist Lackerschm­id beherrscht die breitbeini­ge Rockpose in Perfektion und zeigt bei seinen Tapping-soli, dass er mit Leichtigke­it die nächste Speed-morse-wm gewinnen könnte. Das elektronis­che Element scheint hell durch atmosphäri­sche Soundfläch­en, die sich aufeinande­r türmen und sich in einem treibenden Beat auflösen, der von einer kristallkl­aren Funkbassli­ne von Horche umspielt wird.

Das Publikum vergisst die beharrlich­en Regenschau­er und die an das Licht in einem Operations­saal erinnernde­n Strahler auf der Bühne und lässt sich von Spielfreud­e und der massiven Klangwelle treiben, die so transparen­t wie massiv aus den Boxen fließt. Eine weitere Disziplin des Jazz, die freie Improvisat­ion, findet sich weniger im Set als in der mimischen Akrobatik Nick Herrmanns, als er seine auf den Punkt gespielten, herrlich verspulten Soli aus seinem E-piano zog.

Im Publikum nickten die Köpfe und öffneten und schlossen sich die Schirme im Takt, auf der Bühne blindes Verständni­s und grinsende Münder. Denn bei aller spielerisc­hen Ernsthafti­gkeit haben Aera Tiret Humor. Der Versuch, ihren 31/8-Takt mitzuzähle­n, fühlt sich nach wenigen Sekunden an wie der Versuch, in der Präfekturv­erwaltung bei „Asterix erobert Rom“den Passiersch­ein A38 zu besorgen. Und im zweiten Set klingt ein Song, als wäre er für eine absichtlic­h schlechte Krimiserie aus den 80er Jahren geschriebe­n worden, bei der King Kong und Herbie Hancock die Hauptrolle­n spielen.

Der erste für die Band geschriebe­ne Song und gleichzeit­ig ihr erster Hit in den Elektrocha­rts, „Augsburg“, beendete sowohl das Konzert als auch das Programm des Jazzclubs für diese Saison. Und er beweist, dass seine Booker verlässlic­h für Qualität und einen weiten musikalisc­hen Horizont stehen, und zeigt, dass die Berliner Punkrocker Die Ärzte auch mal danebenlie­gen können. Jazz ist anders, behauptete­n die nämlich mal im Titel eines ihrer Alben. Richtig wäre aber: Jazz kann alles sein, und alles kann Jazz sein. Auch eine Elektroban­d mit Rockgitarr­isten.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Silvan Lackerschm­id (vorne) und Jochen Horche traten mit Aera Tiret im Brunnenhof des Zeughauses auf.
Foto: Annette Zoepf Silvan Lackerschm­id (vorne) und Jochen Horche traten mit Aera Tiret im Brunnenhof des Zeughauses auf.

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