Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Bewohner kehren nach Evakuierung zurück
Fast vier Jahre nach einer Blitz-räumung wird das Haus am Oberen Graben auch wieder für die Seniorinnen und Senioren der betreuten Wohnanlage freigegeben. Doch nur drei ehemalige Bewohnerinnen ziehen zunächst ein.
Für die über 20 Bewohnerinnen und Bewohner war es ein Schock: Am späten Abend des 9. November 2018 wurden sie von Mitarbeitern der Stadt aus den Betten geklingelt und darüber informiert, dass sie sofort ihre Wohnungen im Gebäude Oberer Graben 8 verlassen müssen. Ein Statiker hatte nach einer Begehung das Haus für nicht mehr standsicher gehalten. Ein Krisenteam unter Leitung des damaligen Oberbürgermeisters Kurt Gribl entschied, das Gebäude noch der Nacht zu räumen.
Die Bewohnerinnen und Bewohner – vorwiegend Seniorinnen und Senioren, die dort in einer Art betreutem Wohnen lebten – wurden zunächst in einem Hotel in der Innenstadt untergebracht. Damals ahnte niemand, dass die Betroffenen für sehr lange Zeit nicht mehr zurück in ihre Wohnungen können. Erst jetzt, rund dreieinhalb Jahre später, ist das Haus wieder freigegeben. Doch in längst nicht alle kehren zurück. Nur drei Frauen, die damals von der Räumung betroffen waren, sind wieder eingezogen, berichtet Dieter Uitz, Leiter des Amts für Finanzen und Stiftungen, das das Gebäude verwaltet. „Manche wollten nicht mehr zurück, andere brauchen mittlerweile mehr Pflege, manche sind leider verstorben“, erzählt er. Zu den drei Rückkehrerinnen gehört Renate Jocher, die zwischenzeitlich in der Bungalowanlage der Fritz Hintermayr’schen Stiftung im Antonsviertel untergekommen war.
Die 87-Jährige freut sich, endlich wieder zurück in ihrer Wohnung zu sein. Sie lebt, mit Unterbrechung, seit 2012 in der Unterkunft und hat 2018 ihre Möbel und Habseligkeiten „in der Hoffnung, möglichst bald wieder einziehen zu können“zurückgelassen. Dass es schließlich dreieinhalb Jahre dauerte, das Bauwerk zu sanieren, damit habe sie nicht gerechnet.
Auch bei der Stadt war man zunächst von einer deutlich kürzeren Sanierungsdauer ausgegangen. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden unter anderem in städtischen Alten- und Pflegeheimen untergebracht, die betroffenen Geschäfte im Erdgeschoss – unter anderem die Goldschmiede Ammer und der Friseursalon Haarscharf – zogen in eine freie städtische Immobilie in der Annastraße beziehungsweise in Räume der Friseurinnung. Doch bald zeigte sich, dass es nicht bei kurzfristigen Übergangslösungen bleiben konnte. Die Schäden am denkmalgeschützten Gebäude hatten eine Dimension angenommen, die nach der Evakuierung keiner vorhergesehen hatte. Wasser hatte die Grundmauern derart unterspült, dass eine aufwendige Sanierung mit vielen Herausforderungen nötig wurde.
Immer wieder musste der Termin für ein Ende der Sanierungsmaßnahmen verschoben werden. Über diese Verzögerungen und über die aus ihrer Sicht schlechte Informationspolitik seitens der Stadt hatten sich Bewohner, wie auch Renate Jocher, bereits im Herbst letzten Jahres beklagt. Damals konnten zumindest die Geschäfte im Erdgeschoss wieder an ihre alte Wirkungsstätte zurückkehren. Für die Mieterinnen und Mieter hieß es dagegen: weiter warten. Einer der Gründe war neben anhaltender Lärm- und Staubbelästigung die Tatsache, dass ein Treppenhaus während der Sanierung nicht begehbar war, erklärt Dieter Uitz. Seit Anfang Juni seien aber nun alle Arbeiten abgeschlossen und die Wohnungen wurden wieder für den Bezug freigegeben. Für ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner hat die Stiftungsverwaltung den Rückzug organisiert, sie wurden mit Blumen und Präsentkörben empfangen. So sehr sich Renate Jocher über die Rückkehr freut, ein wenig Wehmut ist auch dabei. Inzwischen habe sich einiges geändert, erzählt sie. „Es hat weniger mit betreutem Wohnung zu tun. Es ähnelt jetzt eher einer normalen Mietwohnung“, sagt die Pensionärin.
Früher habe es einen zentralen Raum gegeben, in dem man sich zum Reden getroffen hat und manchmal Musikanten auftraten. Ebenfalls weggefallen sei, dass jemand täglich als Ansprechpartner zur Verfügung stehe. Dies ist jetzt nur noch zu einigen bestimmten Zeiten in der Woche möglich. „Ich hoffe, dass sich das wieder ändert“, sagt die Seniorin.
Derzeit sind von den 29 Wohneinheiten (Ein- und Zweizimmerapartements) acht wieder belegt. Zwei werden in den kommenden Tagen bezogen, 19 Wohnungen sind noch frei. Eine neue Mieterin, die namentlich nicht erwähnt werden will, freut sich über die neue Bleibe. „Man ist im Zentrum des Geschehens“, sagt die 69-Jährige, während sie aus dem Fenster mit Blick auf die Innenstadt schaut.
Hier könne man selbstbestimmt leben und auch Ärzte gebe es in unmittelbarer Umgebung. Die Nachbarn seien freundlich und man grüße sich gegenseitig. „Das ist man ja auch kaum noch gewöhnt.“Angst, dass das Gebäude wieder unterspült wird, habe sie nicht. „Es wurde ja sogar ein Warnmelder installiert“, erklärt sie. „Wenn etwas sein sollte, kann ich auf den Notfallknopf drücken und weiß, dass jemand kommt.“
Ehemalige Bewohner wurden mit Blumen empfangen