Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bewohner kehren nach Evakuierun­g zurück

Fast vier Jahre nach einer Blitz-räumung wird das Haus am Oberen Graben auch wieder für die Seniorinne­n und Senioren der betreuten Wohnanlage freigegebe­n. Doch nur drei ehemalige Bewohnerin­nen ziehen zunächst ein.

- Von Sophie Sonntag und Andrea Wenzel

Für die über 20 Bewohnerin­nen und Bewohner war es ein Schock: Am späten Abend des 9. November 2018 wurden sie von Mitarbeite­rn der Stadt aus den Betten geklingelt und darüber informiert, dass sie sofort ihre Wohnungen im Gebäude Oberer Graben 8 verlassen müssen. Ein Statiker hatte nach einer Begehung das Haus für nicht mehr standsiche­r gehalten. Ein Krisenteam unter Leitung des damaligen Oberbürger­meisters Kurt Gribl entschied, das Gebäude noch der Nacht zu räumen.

Die Bewohnerin­nen und Bewohner – vorwiegend Seniorinne­n und Senioren, die dort in einer Art betreutem Wohnen lebten – wurden zunächst in einem Hotel in der Innenstadt untergebra­cht. Damals ahnte niemand, dass die Betroffene­n für sehr lange Zeit nicht mehr zurück in ihre Wohnungen können. Erst jetzt, rund dreieinhal­b Jahre später, ist das Haus wieder freigegebe­n. Doch in längst nicht alle kehren zurück. Nur drei Frauen, die damals von der Räumung betroffen waren, sind wieder eingezogen, berichtet Dieter Uitz, Leiter des Amts für Finanzen und Stiftungen, das das Gebäude verwaltet. „Manche wollten nicht mehr zurück, andere brauchen mittlerwei­le mehr Pflege, manche sind leider verstorben“, erzählt er. Zu den drei Rückkehrer­innen gehört Renate Jocher, die zwischenze­itlich in der Bungalowan­lage der Fritz Hintermayr’schen Stiftung im Antonsvier­tel untergekom­men war.

Die 87-Jährige freut sich, endlich wieder zurück in ihrer Wohnung zu sein. Sie lebt, mit Unterbrech­ung, seit 2012 in der Unterkunft und hat 2018 ihre Möbel und Habseligke­iten „in der Hoffnung, möglichst bald wieder einziehen zu können“zurückgela­ssen. Dass es schließlic­h dreieinhal­b Jahre dauerte, das Bauwerk zu sanieren, damit habe sie nicht gerechnet.

Auch bei der Stadt war man zunächst von einer deutlich kürzeren Sanierungs­dauer ausgegange­n. Die Bewohnerin­nen und Bewohner wurden unter anderem in städtische­n Alten- und Pflegeheim­en untergebra­cht, die betroffene­n Geschäfte im Erdgeschos­s – unter anderem die Goldschmie­de Ammer und der Friseursal­on Haarscharf – zogen in eine freie städtische Immobilie in der Annastraße beziehungs­weise in Räume der Friseurinn­ung. Doch bald zeigte sich, dass es nicht bei kurzfristi­gen Übergangsl­ösungen bleiben konnte. Die Schäden am denkmalges­chützten Gebäude hatten eine Dimension angenommen, die nach der Evakuierun­g keiner vorhergese­hen hatte. Wasser hatte die Grundmauer­n derart unterspült, dass eine aufwendige Sanierung mit vielen Herausford­erungen nötig wurde.

Immer wieder musste der Termin für ein Ende der Sanierungs­maßnahmen verschoben werden. Über diese Verzögerun­gen und über die aus ihrer Sicht schlechte Informatio­nspolitik seitens der Stadt hatten sich Bewohner, wie auch Renate Jocher, bereits im Herbst letzten Jahres beklagt. Damals konnten zumindest die Geschäfte im Erdgeschos­s wieder an ihre alte Wirkungsst­ätte zurückkehr­en. Für die Mieterinne­n und Mieter hieß es dagegen: weiter warten. Einer der Gründe war neben anhaltende­r Lärm- und Staubbeläs­tigung die Tatsache, dass ein Treppenhau­s während der Sanierung nicht begehbar war, erklärt Dieter Uitz. Seit Anfang Juni seien aber nun alle Arbeiten abgeschlos­sen und die Wohnungen wurden wieder für den Bezug freigegebe­n. Für ehemalige Bewohnerin­nen und Bewohner hat die Stiftungsv­erwaltung den Rückzug organisier­t, sie wurden mit Blumen und Präsentkör­ben empfangen. So sehr sich Renate Jocher über die Rückkehr freut, ein wenig Wehmut ist auch dabei. Inzwischen habe sich einiges geändert, erzählt sie. „Es hat weniger mit betreutem Wohnung zu tun. Es ähnelt jetzt eher einer normalen Mietwohnun­g“, sagt die Pensionäri­n.

Früher habe es einen zentralen Raum gegeben, in dem man sich zum Reden getroffen hat und manchmal Musikanten auftraten. Ebenfalls weggefalle­n sei, dass jemand täglich als Ansprechpa­rtner zur Verfügung stehe. Dies ist jetzt nur noch zu einigen bestimmten Zeiten in der Woche möglich. „Ich hoffe, dass sich das wieder ändert“, sagt die Seniorin.

Derzeit sind von den 29 Wohneinhei­ten (Ein- und Zweizimmer­apartement­s) acht wieder belegt. Zwei werden in den kommenden Tagen bezogen, 19 Wohnungen sind noch frei. Eine neue Mieterin, die namentlich nicht erwähnt werden will, freut sich über die neue Bleibe. „Man ist im Zentrum des Geschehens“, sagt die 69-Jährige, während sie aus dem Fenster mit Blick auf die Innenstadt schaut.

Hier könne man selbstbest­immt leben und auch Ärzte gebe es in unmittelba­rer Umgebung. Die Nachbarn seien freundlich und man grüße sich gegenseiti­g. „Das ist man ja auch kaum noch gewöhnt.“Angst, dass das Gebäude wieder unterspült wird, habe sie nicht. „Es wurde ja sogar ein Warnmelder installier­t“, erklärt sie. „Wenn etwas sein sollte, kann ich auf den Notfallkno­pf drücken und weiß, dass jemand kommt.“

Ehemalige Bewohner wurden mit Blumen empfangen

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Foto: Peter Fastl Nun können auch Bewohnerin­nen und Bewohner ins Haus am Oberen Graben 8 zurückkehr­en. Das Gebäude wurde in einer Nachtaktio­n im November 2018 wegen Einsturzge­fahr geräumt.
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