Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Läuft Deutschlan­d nur hinterher?

Der G7-gipfel auf Schloss Elmau ist zu Ende. Kanzler Scholz bekommt zwar Unterstütz­ung für seinen Klimaklub, er muss sich aber Fragen gefallen lassen, weshalb er sehr häufig den Amerikaner­n den Vortritt lässt.

- Von Stefan Lange

Elmau Die Vorbereitu­ngen für das Abendessen waren getroffen, als die Nachricht vom Raketenang­riff auf ein Einkaufsze­ntrum in Krementsch­uk die Staats- und Regierungs­chefs auf Schloss Elmau erreichte. Viele Menschen sterben im Ukraine-krieg, es bedarf keines Beweises mehr, wie brutal die Truppen des russischen Präsidente­n Wladimir Putin vorgehen. Ereignisse dieser Art lösen gleichwohl Bestürzung aus – und sie festigen die Bereitscha­ft des Westens, die Ukraine in ihrem Abwehrkamp­f zu unterstütz­en.

„Heute haben wir unsere unverbrüch­liche Unterstütz­ung für die Ukraine im Angesicht der russischen Aggression unterstric­hen – eines ungerechtf­ertigten, gewollten Krieges, der seit 124 Tagen andauert“, erklärten die G7-staaten. Finanziell­e, humanitäre sowie militärisc­he Hilfe brachte der Gipfel auf den Weg. Es war ein deutliches Zeichen der Solidaritä­t. Deutlich wurde aber auch, dass Deutschlan­d im Konzert der Großen nur die kleine Geige spielt.

„Leading from behind“, auf Deutsch etwa Führen von hinten, nennen Us-medien den Regierungs­stil von Kanzler Olaf Scholz. Man lässt die anderen machen und hängt sich dran. Schon Scholz’ Vorgängeri­n Angela Merkel bediente sich dieser Taktik. Die Cdupolitik­erin ließ gerade auf internatio­nalen Veranstalt­ungen oft erst die andere Seite sprechen, das Weiße Haus oder den Élyséepala­st etwa, um deren Sicht der Dinge dann zu bestätigen. Wer so vorgeht, kann nichts falsch machen. Das ist der Vorteil. Doch wer zu lange nur der Letzte in der Reihe ist, läuft Gefahr, abgehängt zu werden.

Auf dem G7-gipfel hatte zwar Deutschlan­d die Gastgeberr­olle und hätte damit den Takt vorgeben müssen. In Wahrheit marschiert­e aber der oft so ungelenk wirkende Us-präsident Joe Biden voran. Neue Sanktionen gegen Russland, unter anderem gegen dessen Rüstungsin­dustrie? Nicht

Scholz wurde die Rolle des Verkünders zuteil, sondern der amerikanis­chen Seite. Details aus dem Gespräch mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj stufte die Bundesregi­erung als vertraulic­h ein, die Amerikaner veröffentl­ichten sie für alle nachlesbar im Internet. Die Deutschen versuchten anschließe­nd krampfhaft, die Sache aufzukläre­n. Die Us-delegation indes reagierte dem Vernehmen nach erst gar nicht auf entspreche­nde Anfragen. Am Dienstag, dem letzten von drei Gipfeltage­n, wurde Scholz und seinem Team erneut schmerzhaf­t vor

Augen geführt, dass Deutschlan­d in diesem Jahr zwar die G7-präsidents­chaft innehat, andere aber die Agenda bestimmten.

Die Ernährungs­sicherheit sollte das Top-thema werden und Scholz die Chance geben, endlich auch einen Punkt zu setzen. Zweieinhal­b Stunden vor der Abschlussp­ressekonfe­renz des Kanzlers schickten die Nachrichte­nagenturen eine Eilmeldung: G7-staaten geben bis zu fünf Milliarden Us-dollar für Ernährungs­sicherheit. Die Quelle war – erneut das Weiße Haus.

Scholz allerdings konnte die Beobachtun­g nicht nachvollzi­ehen, dass er sich eher zurückhalt­end verhalte. „Ich teile diesen Eindruck nicht“, sagte der Kanzler ein wenig angesäuert, als er bei der Abschlussp­ressekonfe­renz gefragt wurde. Er habe vielmehr „das Gefühl“gehabt, dass der Gipfel gemeinsam Ergebnisse erarbeitet und diese auch „gemeinsam kommunizie­rt“habe.

Das Abschlussk­ommuniqué des Gipfels brachte es auf 34 Seiten, darin finden sich neben den Solidaritä­tsbekundun­gen für die Ukraine die üblichen Bekenntnis­se: Die Erderwärmu­ng soll gestoppt, der Hunger auf der Welt bekämpft werden. Wieder einmal. Ähnliches beim Gesundheit­ssektor. Es ist beispielsw­eise schon gar nicht mehr zählbar, wie oft sich G7- und G20-gipfel dem Kampf gegen Antibiotik­a-resistenze­n verschrieb­en haben. Immerhin: Der Klimaklub, eine Idee von Scholz, fand Einzug in die Erklärung. Die Staats- und Regierungs­chefs wollen ihn bis Ende 2022 etabliert haben.

In vielen Ländern werden Klimaschut­z und Wettbewerb­sfähigkeit als Gegensatz aufgefasst, das will der Kanzler mit seinem Klub ändern. Alle müssten erkennen, dass der Klimaschut­z kein Wettbewerb­snachteil sei, sagte Scholz, wohl wissend, dass ihm hier Grenzen

Als Scholz zur Presse sprach, war Biden schon abgereist

gesetzt sind. Denn ärmere Staaten wollen sich dem Reichtum der Industriel­änder zumindest annähern. Dieses Wachstum lässt sich, beispielsw­eise in vielen afrikanisc­hen Ländern, zunächst nur mit fossiler Energie erzielen. Wenn die reichen Länder in dieser Phase den Einsatz erneuerbar­er Energien anmahnen, kommt das in Entwicklun­gsländern nicht gut an. Sie hören auch nicht auf G7-appelle, die russisches Gas und Öl verteufeln und alternativ­e Bezugsquel­len anmahnen.

Als Scholz vor der Alpenkulis­se seine Pressekonf­erenz abhielt, war Us-präsident Biden bereits abgereist. Das hatte offizielle­n Verlautbar­ungen zufolge nichts mit der Hackordnun­g zu tun, sondern mit dem Wetter. Das werde zusehends schlechter und gefährde den Abflug des Us-regierungs­chefs, hieß es. Die Beobachter vor Ort konnten diesen Eindruck beim Blick in den Himmel zwar nicht bestätigen, aber wie auch immer: Biden hatte den G7-gipfel bereits abgehakt und reiste zum nächsten wichtigen Ereignis weiter, dem Nato-gipfel in Madrid. Scholz kam dann später nach.

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Foto: Ralf Lienert Bundeskanz­ler Olaf Scholz auf dem Weg zur Pressekonf­erenz zum Abschluss des G7-gipfels.

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