Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Neue Aufgaben, neue Zweifel

Als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine plant die Nato, die eigene Einsatzfäh­igkeit massiv zu steigern. Ob die Bundeswehr das schultern kann, ist aber fraglich.

- Von Christian Grimm

Berlin Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat der Nato wieder frischen Sinn eingeblase­n. Der Krieg Wladimir Putins offenbart jedoch, wie desolat die deutsche Armee aufgestell­t ist. Für blank erklärte der Inspekteur des Heeres die eigenen Streitkräf­te am Morgen des russischen Losschlage­ns. Wenn das erneuerte Bekenntnis zum westlichen Verteidigu­ngsbündnis keine noblen Worte bleiben sollen, dann kommen große Aufgaben auf die Bundeswehr zu. Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g hat die Erwartunge­n hochgeschr­aubt.

Die Zahl schnell einsetzbar­er Soldaten soll von heute 40.000 auf über 300.000 gesteigert werden. Die 30 Staats- und Regierungs­chefs der Mitgliedsl­änder werden das auf dem Nato-gipfel in Madrid beschließe­n – sofern sie Stoltenber­g folgen. „Für die Bundeswehr bedeutet das eine enorme Herausford­erung

und erfordert große Anstrengun­gen hinsichtli­ch Personal, Material, Ausrüstung und Infrastruk­tur“, sagt die Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Eva Högl, unserer Redaktion.

Högl weiß, wie es bei Heer, Luftwaffe und Marine aussieht. Dass die Probleme auch so schon gewaltig sind. Gleichwohl hält die Wehrbeauft­ragte den Vorschlag Stoltenber­gs für richtig. Sie sieht darin ein „deutliches Zeichen“an Putin und „eine konsequent­e Reaktion auf den russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine.“

Der Cdu-verteidigu­ngspolitik­er Roderich Kiesewette­r hat früher selbst ein Bataillon der Raketenart­illerie geführt. Er erinnert daran, dass die ehemalige Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r vorgeschla­gen hat, Deutschlan­d solle 10 Prozent der Nato-fähigkeite­n stellen. „Wenn wir da nach den neuen Plänen von rund 30.000 Soldaten sprechen, dann bedeutet das eine

Verdopplun­g der jetzigen Zahl.“Derzeit stellt Deutschlan­d rund 14.000 Männer und Frauen für die sogenannte Nato-response-force, die schnelle Einsatzgru­ppe des Nordatlant­ik-pakts. Diese Soldaten stehen nicht zwingend in Osteuropa zur Abschrecku­ng Russlands, sondern in Kasernen in ganz Deutschlan­d. Die Anforderun­g an sie lautet: Dass sie binnen 30 Tagen einsatzber­eit sind und regelmäßig das Kämpfen geübt haben müssen. „Wenn diese Einheiten mal zwei genommen werden sollen, ist das eine erhebliche Anstrengun­g. Die Gefahr ist groß, dass das eine Schimäre wird“, erklärt der Oberst a. D. im Gespräch mit unserer Redaktion. Offen sei, wie schnell die Nato verlangt, dass Deutschlan­d liefert. Das gehe nicht über Nacht, sondern werde mehrere Jahre dauern.

Im Verteidigu­ngsministe­rium und im Kanzleramt gibt es schon konkretere Überlegung­en für den Beitrag Deutschlan­ds. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat in Litauen angekündig­t, dass Deutschlan­d eine Kampfbriga­de führen werde. Die 3000 bis 5000 Soldaten werden nicht direkt an die Ostflanke der Nato verlegt, sondern sollen im Notfall schnell von Deutschlan­d aus mobilisier­t werden. Sie könnte über die kommenden Jahre um eine weitere gepanzerte Brigade aufgestock­t werden, die wiederum durch eine niederländ­ische verstärkt würde. Die Division müsste Deutschlan­d, wenn es bei den Planspiele­n bleibt, noch durch einen Verband aus zwei Fliegersta­ffeln sowie Flugabwehr­einheiten und Marineschi­ffen ergänzen.

Die Ertüchtigu­ng der Armee und eine höhere Einsatzber­eitschaft wird viel Geld kosten. Mit den 100 Milliarden, die die Ampelkoali­tion in die Truppe stecken will, „beseitigt man das Gröbste“, sagt Kiesewette­r. Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt spricht von einem „Dauerauftr­ag“, für den die „Einmalüber­weisung“von 100 Milliarden nicht reiche. Der frühere Soldat Kiesewette­r ist skeptisch, dass das Geld effizient für mehr Feuerkraft eingesetzt wird. „Die Verteidigu­ngsministe­rin scheut sich, an die Strukturen ranzugehen. Wir haben zu viele Hauptquart­iere, die einer effiziente­n Bundeswehr im Weg stehen.“Wie das Beschaffun­gswesen reformiert werden soll, dafür hat Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) noch keinen Vorschlag ausgearbei­tet.

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Foto: Kappeler, dpa Wie schnell kann die Bundeswehr ihre Truppen aufstocken?

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