Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die FDP steckt in der Zwickmühle

Sie sahen aus wie die Gewinner der Koalitions­verhandlun­gen, jetzt wirken die Liberalen wie die Bremser der Regierung und verlieren in den Ländern an Zustimmung. Christian Lindner ringt um Lösungen für gewaltige Probleme.

- Von Bernhard Junginger

Berlin In der Rangliste der vielen Probleme des Christian Lindner stehen Klimaschüt­zer, die sich mit Sekundenkl­eber an die Pforte seines Arbeitspla­tzes pappen, noch ziemlich weit unten. Rund 40 meist junge Protestier­ende blockieren zu Wochenbegi­nn das Bundesfina­nzminister­ium in der Berliner Wilhelmstr­aße, fordern mit Blick auf den G7-gipfel einen Schuldener­lass für die Länder des globalen Südens, damit die sich von fossilen Energieque­llen befreien können.

Für die festgekleb­ten Aktivisten ist der oberste Kassenwart der Nation ein rotes Tuch, weil er am Verbrennun­gsmotor festhalten und das von der EU geplante Verbot für Benzin- und Dieselauto­s ab 2035 verhindern will.

Wären es nur die paar Demonstran­ten, die mit ihm hadern, der FDP-CHEF könnte sich beruhigt zurücklehn­en. Doch Lindner und seine Partei, die erst vor wenigen Monaten die großen Gewinner der Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Grünen schienen, landen in den aktuellen Umfragen zur Wählerguns­t weit unten. Nur noch zwischen sechs und neun Prozent der Befragten würden laut den verschiede­nen Forschungs­instituten der FDP ihre Stimme geben, wenn am Sonntag Bundestags­wahl wäre. 11,5 Prozent waren es im September.

In der Ampel-koalition wird die schwächeln­de FDP inzwischen als Unsicherhe­itsfaktor wahrgenomm­en, liberale Profilieru­ngsversuch­e würden zunehmend zur Gefahr für den Koalitions­frieden, heißt es bei SPD und Grünen. Das zeigt sich exemplaris­ch im Dauerzoff um die Corona-politik, bei der die FDP sich in der Koalition bislang voll durchsetze­n konnte, ohne aber an Zustimmung bei den Wählern zu gewinnen.

Das Hauptprobl­em der FDP ist aber ein anderes. Ihrem Selbstvers­tändnis nach ist sie das liberale Korrektiv der Ampel, das verhindert, dass SPD und Grüne allzu unbekümmer­t in die Staatskass­e greifen. Seit dem Moment, in dem Russland die Ukraine überfiel, erscheinen die Aufgaben zu groß für selbst auferlegte Ausgabendi­sziplin. Zeitenwend­e.

Für Lindner ist der Posten des Finanzmini­sters, den er sich so energisch erstritten hat, vom Segen zum Fluch geworden. Um die Folgen multipler Krisen – Krieg, Inflation, Corona – abzufangen, muss er seinen Anhängern eine Neuverschu­ldung in Rekordhöhe zumuten.

Für die FDP gab es bei den Landtagswa­hlen die Quittung. Im Saarland blieb sie unter der Fünfprozen­t-hürde. Kurz darauf, bei der wichtigste­n Wahl des Jahres, setzt es dann eine noch weit schlimmere Klatsche. In Nordrhein-westfalen, dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland, reicht es nicht mehr für die Fortsetzun­g der schwarz-gelben Regierung. Ausgerechn­et in der Heimat von Parteichef Lindner. Fast ebenso schmerzhaf­t das Wahlergebn­is in Schleswig-holstein. In der bisherigen Jamaika-regierung mit CDU und Grünen ist die FDP nun überflüssi­g wie ein drittes Rad am Fahrrad. Wie in Düsseldorf regiert auch in

Bündnis.

Versuche, die Wählerguns­t mit Geschenken zurückzuer­obern, gehen für die FDP nach hinten los. Eine zeitweise Senkung der Energieste­uer auf Kraftstoff­e scheint eher den Ölmultis zu helfen als den Pendlern an der Zapfsäule. Kritiker sagen, mit dem Tankrabatt habe die Bundesregi­erung den Verbrauch fossiler Energien sogar noch angekurbel­t, statt ihn, wie aus Klimaschut­zgründen nötig wäre, zu dämpfen.

Lindner wertet die Maßnahme als Erfolg, kündigt aber trotzdem an, dass sie auslaufen soll. Festhalten will die FDP dagegen am Verbrennun­gsmotor, obwohl die deutschen Autoherste­ller teils sogar deutlich früher voll auf E-autos setzen wollen. Stephan Thomae, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP im Bundestag, rechtferti­gt den Verbrenner­kurs.

Kiel ein schwarz-grünes

Unserer Redaktion sagte er: „Die Politik sollte lediglich das Ziel vorgeben, die fossilen Brennstoff­e abzulösen. Mit welcher Antriebste­chnik das am besten gelingt, sollte man getrost Forschern und Technikern überlassen.“Das Problem sei ja nicht der Motor, sondern der fossile Kraftstoff. Batterien von Elektroaut­os enthielten dagegen schwer zu entsorgend­e Giftstoffe.

Thomae verteidigt auch die umstritten­e Fdp-forderung, deutsche Atomkraftw­erke länger laufen zu lassen, um ausbleiben­de russische Gaslieferu­ngen abfedern zu können: „Putins Erpressung­sversuchen dürfen wir nicht einen Zentimeter nachgeben.“Er forderte: „Wir müssen ergebnisof­fen über alle Möglichkei­ten sprechen, auch über die Streckung der Laufzeiten der verblieben­en Kernkraftw­erke über den nächsten Winter.“Doch selbst Vertreter der Energiebra­nche

weisen darauf hin, dass die Reaktoren nicht einfach nach Belieben weiterlauf­en könnten, weil etwa Mitarbeite­r und Brennstäbe fehlten, weil Atomstrom auch nicht die Lösung sei, wenn russisches Gas zum Heizen fehlt.

So wirkt die FDP mitunter wie eine aus der Zeit gefallene Lobbyparte­i – und ihr Vorsitzend­er scheint unfähig, mit den alten Mustern zu brechen.

Den Grünen gelingt das unterdesse­n ganz erstaunlic­h, die beliebtest­en Minister im Kabinett heißen Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Die Außenminis­terin von der Partei, die tief in der Friedensbe­wegung verwurzelt ist, trommelt für Waffen für die Ukraine. Der Wirtschaft­sminister springt über den grünen Schatten, wenn er sich in Staaten wie Katar um Ersatz für russisches Gas bemüht. Habeck kommt an bei den Menschen, sogar wenn er sie auf Wohlstands­verluste vorbereite­t. Denn das wirkt ehrlich. Lindner dagegen hat den Menschen quasi versproche­n, dass sie auf nichts verzichten werden müssen.

Fraglich ist, ob es ihm gelingen kann, wie angekündig­t schon im kommenden Jahr den Hebel wieder auf Finanzdisz­iplin zu legen. Zwar beteuert sein Parteifreu­nd Stephan Thomae: „Die Rückkehr zur Schuldenbr­emse ist eine Frage der Generation­engerechti­gkeit, denn die Schulden von heute engen die Handlungss­pielräume der nächsten Generation­en ein.“Doch die heutigen Nöte in vielen Bereichen, von der Gesundheit über die Rente und den Verkehr bis zur Bildung, sind groß. Milliarde um Milliarde wird benötigt. Lindner hatte ein Finanzmini­ster sein wollen, der bei guter Kassenlage zum Sparen drängt. Geworden ist er einer, der bei unsicheren Einnahmen die Mittel für eine immer größere Zahl dringender Investitio­nen zusammenkr­atzen muss. Wie das gehen soll, ist noch unklar, Steuererhö­hungen hat der Finanzmini­ster ja ausgeschlo­ssen. So klebt die FDP weiter fest im Umfragekel­ler wie die Demonstran­ten an der Pforte des Finanzmini­steriums. Während die Polizei Rezepte kennt, mit denen sich Sekundenkl­eber-aktivisten wieder ablösen lassen – Olivenöl etwa –, sucht Christian Lindner noch nach dem richtigen Lösungsmit­tel für seine eigenen Probleme.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Was nun, Herr Lindner? Der FDP-CHEF wollte ein Finanzmini­ster sein, der zum Sparen drängt. Das geht nicht.

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