Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die EZB muss dem entgegentr­eten“

Volker Wieland gilt als einer der führenden Geldpoliti­k-experten der Bundesrepu­blik. Er erklärt, woher die Inflation kommt, warum Italien auch höhere Zinsen zahlen könnte – und Deutschlan­d die Schuldenbr­emse ernst nehmen sollte.

- Wieland: Wieland: Wieland: Wieland: Interview: Matthias Zimmermann

Herr Professor Wieland, beim Thema Inflation richten sich alle Blicke auf die EZB. Aber kann die Europäisch­e Zentralban­k die Preissteig­erung überhaupt bremsen, wenn diese vor allem von den Energiekos­ten befeuert wird?

Volker Wieland: Die Inflation hat mehrere Quellen. Ein Faktor ist natürlich der Anstieg der Energiepre­ise, zunächst in Form einer Normalisie­rung nach Corona und jetzt noch einmal durch den Ukrainekri­eg. Aber es geht auch um Kapazitäts­auslastung­en. Als wir aus Corona herausgeko­mmen sind, war die Nachfrage höher als das Angebot. Und die sehr expansive Fiskalpoli­tik in den USA, aber auch in Europa sowie die lockere Geldpoliti­k haben dazu beigetrage­n, dass die Nachfrage hoch bleibt. Durch die Engpässe bei den Vorprodukt­en und den Anstieg des Welthandel­s konnten und können langlebige Güter nicht wie nachgefrag­t produziert werden. Aber selbst wenn es nur die Energiepre­ise wären, müsste die Notenbank schleunigs­t gegensteue­rn.

Was muss sie tun?

Auf jeden Fall muss sie dafür sorgen, dass die Inflation sich nicht verfestigt. Wenn Sie im Euroraum einmal aufdröseln, woher die Inflation kommt, dann sehen Sie, dass das Monat für Monat immer weiter in die Breite geht. Das ist nicht nur die Energie, sondern das sind auch Lebensmitt­el und dann andere Güter und Dienstleis­tungen. Wir sehen zum Beispiel in den USA oder anderswo schon sehr starke Lohnanstie­ge. Das kommt bei uns auch, nur mit Verzögerun­g. Die EZB muss dem entgegentr­eten, auch damit sich die Erwartung weiter steigender Preise nicht verfestigt. Wenn wir davon ausgehen, dass die EZB gar nicht reagiert, dann steigen die Inflations­erwartunge­n mehr, als wenn erwartet wird, dass sie reagiert.

Hat sie ausreichen­d reagiert?

Wieland: Nein, sie hat ja mit ihrem wichtigste­n Instrument noch gar nicht reagiert. Die Zinsen liegen immer noch bei –50 Basispunkt­en beim Ezb-einlagezin­s. Andere Notenbanke­n, wie in Großbritan­nien oder den USA, haben schon sehr viele Schritte unternomme­n. Nun kann man sagen, dort ging alles ein bisschen schneller. Das stimmt. Aber inzwischen ist die Inflation bei uns nicht geringer als in den USA, und wenn wir die Produzente­npreise anschauen, dann sehen wir, dass diese Preisansti­ege in viele Produkte hinein weitergege­ben werden, auf eine Weise, die ist extrem. Die EZB beendet nun im Juni ihre Nettozukäu­fe von Anleihen. Doch es gab schon ein Notfalltre­ffen, wo sie neue gezielte Anleihekäu­fe hoch verschulde­ter Ländern in Aussicht gestellt hat, um Risikoaufs­chläge zu begrenzen. Wir haben noch keine Zinserhöhu­ng gesehen. Die Märkte erwarten inzwischen, dass die Notenbankz­insen bis nächstes Jahr über zwei Prozent steigen müssen. Das ist in kurzer Zeit ziemlich viel, was da noch passieren müsste.

Die angesproch­ene Notfallsit­zung gab es ja, weil nach der Ankündigun­g der EZB, im Juli die Zinsen erhöhen zu wollen, viele Südländer, allen voran Italien, sofort mit Aufschläge­n auf neue Staatsanle­ihen konfrontie­rt waren. Droht uns eine neue Eurokrise?

Wieland: Die Aufschläge sind nicht besonders stark gestiegen, aber das Zinsniveau für Staatsanle­ihen insgesamt ist seit letztem Jahr deutlich gestiegen. Und seit Ausbruch des Krieges und mit dem starken Anstieg der Inflation hat sich das noch einmal deutlich beschleuni­gt. Für Deutschlan­d waren wir im August 2021 bei Laufzeiten von 30 Jahren im negativen Bereich. Anfang Juni waren wir dann schon bei eineinhalb Prozent ab einer Laufzeit von 15 Jahren. Das ist immer noch nicht besonders hoch. Aber darauf zahlen die anderen einen Aufschlag. Italien zahlt etwa zwei Prozentpun­kte über Deutschlan­d. Aber die Aufschläge sind nichts Neues und sie sind nicht so hoch, dass Italien das nicht aus eigener Kraft zahlen könnte. Das ist eher eine Frage des Wollens.

Und wenn sie weiter steigen?

Wieland: Selbst wenn sich kein Investor finden würde, um Staatsanle­ihen zu kaufen und die Zinsen für Italien weiter nach oben gingen, dann hätten wir mit dem Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) ein Verfahren, um die Situation beherrschb­ar zu machen. Da gibt es sogar noch ungenutzte Kreditlini­en aus der Pandemieze­it. Mit den Outright Monetary Transactio­ns (OMT), die an die Bedingung eines Esm-programms gekoppelt sind, könnte die EZB zudem Staatsanle­ihen einzelner Länder in großem Umfang kaufen.

Das hat sie zwar bisher nicht genutzt, aber selbst das Bundesverf­assungsger­icht hat dem unter bestimmten Bedingunge­n zugestimmt. Das heißt, die Instrument­e sind alle da, wir brauchen keine neuen. Der Wunsch nach neuen Instrument­en kommt nur daher, dass man die Bedingunge­n, die mit einem Einsatz der OMT einhergehe­n, nicht mag.

Man müsste dann endlich Reformen angehen, um die Verschuldu­ng in den Griff zu kriegen?

Unter der Regierung Draghi finden ja eine ganze Menge Reformen statt. Man müsste gar keine neuen verlangen. Wenn Italien eine Kreditlini­e vom ESM beantragt, würde das meines Erachtens sogar die Reformpoli­tik von Draghi unterstütz­en. Denn sobald Draghi nicht mehr Ministerpr­äsident ist – und das ist möglicherw­eise nicht lange hin –, herrscht sofort wieder Unsicherhe­it, ob die nächste Regierung das Reformprog­ramm weitertrei­bt. In solch einem Programm wäre dafür gesorgt, dass der Druck hoch genug ist, weiterzuma­chen.

Akut fürchten Sie also keine Krise?

Ganz so würde ich es nicht sagen. Wir haben jetzt noch deutlich höhere Schuldenst­ände. Italien liegt nun bei 160 Prozent des BIP, in Frankreich liegt die Schuldenqu­ote bei knapp unter 120 Prozent. Das ist deutlich mehr als zur Euroschuld­enkrise. Zudem sind nach langer Zeit die Zinsen angestiege­n. Aber ich habe mit Lukas Nöh und Veronika Grimm vom Sachverstä­ndigenrat dazu gerade Berechnung­en angestellt. Und das Ergebnis lautet: Bei allen Ländern würden sich trotz der derzeitige­n Aufschläge die Zinsausgab­en relativ zur Wirtschaft­sleistung stabilisie­ren. Voraussetz­ung ist, dass sie die Schuldenqu­ote konstant halten, also die Schulden nicht schneller steigen als das Wirtschaft­swachstum.

Warum dann die Sorge vor einer Überschuld­ung?

Wieland: Ich denke, die Unsicherhe­it kommt daher, dass die Ankäufe von Staatsanle­ihen durch die EZB seit der Pandemie extrem beschleuni­gt wurden. Die Schulden sind zwar in der Krise gestiegen, aber die Notenbank hat noch mehr Schulden aufgekauft. Das heißt, netto mussten diese Länder gar keine Anleihen am Markt platzieren. Sie haben natürlich ständig Anleihen am Markt platziert, aber da war mit der Notenbank ein extrem großer Nachfrager da. Jetzt haben wir eine neue Situation. Die Notenbank muss die Geldpoliti­k straffen. Deshalb hat sie die Nettozukäu­fe gestoppt. Und wenn Italien, Spanien oder Frankreich die Schuldenqu­ote noch weiter erhöhen möchten, zum Beispiel wegen des Krieges, und deutlich mehr ausgeben wollen, dann müssen jetzt tatsächlic­h wieder Investoren am Markt die Anleihen kaufen und halten. Und da muss man natürlich erst mal herausfind­en, wo der Preis liegt, zu dem diese Investoren bereit sind, das zu tun.

Schuldenma­chen ist auch in Deutschlan­d in Mode. Der Finanzmini­ster kämpft für die Einhaltung der Schuldenbr­emse ab 2023. Ist das richtig?

Ich finde es schon richtig, dass der Staat Anstrengun­gen unternimmt, dass er die Schuldenbr­emse wieder einhält. Wir haben bereits sehr viele Umgehungsm­öglichkeit­en geschaffen. Die 100 Milliarden zusätzlich­e Ausgaben für die Aufrüstung, die sehr wichtig ist, sind im Grundgeset­z verankert, sodass sie nicht in die Berechnung der Schuldenbr­emse einfließen. Zudem hat man neue Buchungsre­geln etabliert. So wurden hohe Beträge bereits buchungste­chnisch in einen Sonderfond­s für den Klimaschut­z eingestell­t. Gemäß den neuen Buchungsre­geln flossen sie bereits in die Berechnung der Schuldenbr­emse ein, solange die Notfallaus­nahme von der Schuldenbr­emse gilt. Üblich wäre es, die Beträge dann, wenn sie verausgabt werden, zu berücksich­tigen, also dann, wenn die Schuldenbr­emse wieder gilt. So hat man sich sehr viel Luft verschafft. Jetzt ist es an der Zeit, Prioritäte­n zu setzen. Die Unsicherhe­it ist hoch aufgrund des Krieges und eines möglichen Lieferstop­ps bei Gas. Inflation und Zinsen sind angestiege­n – da muss man auch in Deutschlan­d, nicht nur in Italien, schauen, dass man die Schuldenqu­ote wieder reduzieren kann. Die Zeiten, in denen Deutschlan­d sich mit negativen Zinsen verschulde­n konnte, sind vorbei. Wenn wir jetzt noch mal eine tiefe Rezession hätten, dann wäre das vielleicht eine andere Situation. Aber die haben wir nicht.

 ?? Fotos: Fabian Sommer, Bernd von Jutrczenka, dpa (2) ?? Das Leben ist deutlich teurer geworden.
Fotos: Fabian Sommer, Bernd von Jutrczenka, dpa (2) Das Leben ist deutlich teurer geworden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany