Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie meistern wir den nächsten Winter?
Wo können Verbraucherinnen und Verbraucher konkret Gas sparen – und ist das nicht ohnehin nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Augsburg Alarmstufe, Notfallplan, Rationierungen – der Sommer 2022 legt gerade so manche Selbstverständlichkeit in Trümmer. Dass die Deutschen eben nur die Heizung aufzudrehen bräuchten, damit die Wohnstuben schön warm werden, ist eine davon. Der russische Präsident setzt Energie als Kriegswaffe ein. Vier Monate vor Beginn der Heizperiode wird immer klarer: Ohne zusätzliche Einsparungen dürfte das Gas knapp werden. Doch was bringt es überhaupt, wenn Privathaushalte auf ihren Energieverbrauch achten – ist der Verbrauch des Einzelnen nicht ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zur Industrie? Nein, sagen Experten – in einer Situation wie dieser zähle jeder Versuch und jedes Prozent. Und dann rechnen sie vor.
„68 Prozent des Energieverbrauchs privater Haushalte entfallen auf das Heizen von Gebäuden, weitere 16 Prozent werden für die Bereitstellung von Warmwasser benötigt“, sagt etwa Immanuel Stieß, Energie-experte am Institut für Sozialökologische Forschung in Frankfurt/main. Etwa die Hälfte der Gebäude in Deutschland würden mit Gas beheizt. Und er weiß: Nach Schätzungen könnte der
Gasverbrauch für Heizung und Warmwasser in Wohngebäuden durch kurzfristige Maßnahmen um rund 15 bis 20 Prozent reduziert werden. „Die größten Einsparpotenziale entstehen durch das Absenken der Raumtemperatur. Die Innenraumtemperatur in Wohnungen in Europa beträgt durchschnittlich 22 Grad: Ein Grad weniger spart sechs Prozent Energie. Würde jeweils die Hälfte der Haushalte in Deutschland die Temperatur in ihrer Wohnung um ein halbes beziehungsweise ein Grad absenken, könnten knapp fünf Prozent Heizenergie eingespart werden.“Viele Heizungen seien zudem nicht optimal eingestellt. Ratsam sei ein hydraulischer Abgleich des Heizsystems, um so die optimale Verteilung der Wärme im Gebäude sicherzustellen.
Um schon vor der Heizperiode mit dem Sparen anzufangen, können Verbraucherinnen und Verbraucher zudem auf ihren Warmwasserverbrauch achten. „25 bis 40 Prozent des Warmwasserverbrauchs in Gebäuden entfallen auf das Duschen“, sagt Stieß. Durch kürzere Duschzeiten und geringere Duschtemperaturen könne der Verbrauch an Warmwasser um bis zu 15 Prozent reduziert werden.
Mit dem Einbau eines Sparduschkopfs könnten weitere fünf Prozent Warmwasser gespart werden. „Insgesamt können so kurzfristig zehn bis 20 Prozent der Energie für die Warmwasserbereitung eingespart werden“, rechnet der Energie-experte.
Was viele Verbraucherinnen und Verbraucher nicht wissen: Auch Strom sparen ist Gas sparen, da Strom unter anderem durch Gaskraftwerke erzeugt wird – eine äußerst umstrittene Maßnahme in der aktuell prekären Situation. Deutlich aufwendiger ist es, das eigene Haus besser zu dämmen und dadurch Wärmeverluste zu minimieren. Allein die Dämmung der Kellerdecke kann bis zu neun Prozent Heizenergie sparen. Wer im Winter abends die Rollläden schließt, mindert ebenfalls Wärmeverluste
Und doch ist die wohl dringendste Frage: Wie kann die Politik die Menschen dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern? Wissen wir nicht längst alle um die Möglichkeiten, die in der Hand des Einzelnen liegen? Fachleute sind überzeugt, dass es der Ernst der Lage sein könnte, der nun tatsächlich den Hebel umlegt, dass der Staat aber durchaus Hilfestellungen dazu geben muss. „Angesichts stark steigender Energiekosten ist eine breite Motivation vorhanden, kurzfristige Einsparmaßnahmen umzusetzen“, sagt Immanuel Stieß. „Wichtig ist, dass Einsparmöglichkeiten bekannt sind und die erforderlichen Handwerkerleistungen sowie Geräte und Materialien, wie Duschköpfe, regelbare Heizventile, Dämmstoffe und so weiter, in ausreichendem Maße verfügbar sind.“
Das glaubt auch Stefan Büttner, Leiter für Globale Strategie und Wirkung am Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) an der Universität Stuttgart. „Es geht nicht darum – weder für mich, die Regierung noch sonst jemanden – zu sagen, ihr müsst alle Energie sparen“, sagt er. „Es geht darum, aufzuzeigen was wir davon haben, wenn wir uns darauf einlassen, danach zu suchen, wo wir im Privaten, in Unternehmen oder anderswo Energie verschwenden, das Unmittelbare sparen, das Risiko einer dicken Nachzahlung zu reduzieren und zu vermeiden, dass unserer Industrie der Hahn abgedreht wird.“Das würde nicht nur zigtausende Jobs substanziell gefährden, sondern auch zu fehlenden Steuergeldern und in einer Art Kettenreaktion zu schwindenden Staatsfinanzen führen. Allerdings müsse auf die Ansage, dass Energie gespart werden solle , nun die Antwort folgen, wie das geschehen kann.
Vieles könne über nicht ausgeschöpfte Effizienzpotenziale geschehen und damit ohne Verzicht. Um das voranzutreiben, rät er der Regierung zu gezielten Kampagnen, die in der Breite der Bevölkerung wirken. Die simpelste Methode erscheint ihm dabei als die effektivste: Postwurfsendungen etwa seien ein Instrument, das jedem Haushalt an die Hand gegeben werden müsse, ohne dass die selbst recherchieren oder tätig werden müssten. „Ein ganz wichtiger Lernaspekt: Niedrig- oder Nullemissionstechnologien, erneuerbare Energieanlagen und Wärmepumpen sind allesamt wichtig und müssen forciert umgesetzt werden, aber wir müssten jetzt und unmittelbar vor allem alle Steine umdrehen, um die vielen Dinge zu entdecken, bei denen es allen Akteuren in der Gesellschaft
Wichtig ist, dass die Sparmethoden bekannt sind
Scheitert der Weiterbetrieb der AKW am Willen?
möglich ist, die Verschwendung zu reduzieren“, sagt Büttner. Wahnsinnig vieles gehe aufgrund der nicht ausgeschöpften Effizienzpotentiale bereits ohne Verzicht, spare Geld und gebe Sicherheit gegenüber den Steigerungen, die da noch kommen mögen.
Für Büttner darf die Diskussion allerdings nicht auf die Verbraucherinnen und Verbraucher verengt werden – auch die Nutzung von Atomkraft müsse überdacht werden. Angesichts der Krise müssten Politik und Betreiber alles daransetzen, die drei verbliebenen AKWS für maximal fünf Jahre beziehungsweise so lange weiterzubetreiben, wie die Sicherheitszertifikate Gültigkeit haben. „Die Betreiber scheinen nicht zu wollen, und die Regierung sagt, es würde 12 bis 18 Monate dauern, Brennelemente zu bekommen“, sagt Büttner und fragt: „Gibt es denn in anderen westlichen Industrieländern nicht etliche Kraftwerke ähnlichen Typs, die oder deren Länder mit Brennstäben aushelfen könnten – gerade in der aktuellen Situation?“Er habe den Eindruck, dass es am Unwillen scheitere, dabei wäre dies angesichts der aktuellen Lage das Beste sowohl für die Energiesicherheit als auch für das Klima.