Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Eisenreich in der Kritik
Empörung über Versäumnis im Umgang mit Missbrauchsgutachten. FDP denkt über striktere Trennung von Kirche und Staat nach.
München Die Opposition im Bayerischen Landtag kritisiert den Umgang der Staatsanwaltschaft mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche scharf. Entzündet hat sich die Kritik an einem Bericht von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) an den Landtag. In dem hatte er sich auf Antrag der Grünen mit den strafrechtlichen Konsequenzen der beiden Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München und Freising befasst. Zudem äußerte er sich im Interview mit unserer Redaktion.
Darin räumte er ein, dass der Staatsanwaltschaft erst im Mai 2019 das erste Gutachten vorlag. Vorgestellt worden war es am 3. Dezember 2010. Öffentlich wurde eine achtseitige Zusammenfassung der 250 Seiten, die aus Datenschutzgründen unter Verschluss genommen wurden. Eisenreich sagte, dass es aus heutiger Sicht früher hätte angefordert werden müssen. Dies habe aber nicht dazu geführt, dass verfolgbare Sexualdelikte verjährten. Laut seinem Bericht
gab es zudem sieben Fälle „eines sonstigen körperlichen Übergriffs“, die zwischen 2011 und 2013 verjährten. Ein Strafantrag sei in diesen Fällen jedoch „seitens der Vertretungsberechtigten ausdrücklich nicht gestellt“worden.
Die religionspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Gabriele Triebel, warf Eisenreich vor, er versuche sich damit herauszureden: Dieser fehlende Aufklärungswille sei „ein herber Schlag ins Gesicht der Opfer“. Matthias Fischbach, religionspolitischer Sprecher der Fdp-fraktion, kritisierte am Dienstag im Gespräch: „Die bayerische Justiz hat das erste Münchner Missbrauchsgutachten offensichtlich neun Jahre lang ignoriert. Dieses nachlässige Verhalten macht mich schlicht fassungslos.“
Er erwarte von einer Staatsanwaltschaft, dass sie nicht allein aufgrund von Anzeigen tätig werde. „2010 hätten alle Alarmglocken läuten müssen, es war zum Beispiel von ‚umfangreichen Aktenvernichtungsaktionen‘ die Rede.“Und: „Bei anderen Institutionen, etwa Banken, wären ganze Abteilungen durchsucht worden.“Die kirchenpolitische Sprecherin der Spd-fraktion, Diana Stachowitz, forderte auf Anfrage unserer Redaktion „eine Kultur des Hinsehens“. Keine Institution könne sich selbst aufklären – „hier wurden die Schuldigen jahrelang gedeckt“.
Fdp-politiker Fischbach kündigte nun die Bildung einer Arbeitsgruppe an. Diese werde Mitte Juli zusammenkommen, um den Einfluss der Kirchen auf die Gesellschaft zu debattieren. „Angesichts der Vielzahl der Missbrauchsfälle, der staatsanwaltschaftlichen Zurückhaltung und des unzureichenden kirchlichen Umgangs damit müssen wir nochmals stärker über die Trennung von Kirche und Staat diskutieren“, sagte er. „Die Kirche hat in vielen Bereichen Privilegien und Einfluss, der nicht mehr zeitgemäß erscheint.“Er wolle keinen dogmatisch laizistischen Staat, „und wir müssen auch keine Feiertage abschaffen – aber muss denn ein Kirchenvertreter wie zuletzt Prälat Lorenz Wolf dem
vorsitzen? Oder muss der Freistaat wirklich über pauschalierte Zahlungen für die Gehälter von Geistlichen aufkommen?“