Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Folterung im Namen Gottes
Religiöse Verzückung, sexuelle Besessenheit: Mit Krzysztof Pendereckis dunkler Exorzismus- und Inquisitions-oper „Die Teufel von Loudun“bestreitet die Bayerische Staatsoper ihre erste Festspielpremiere.
München Strebt man vom Münchner Hauptbahnhof zur Bayerischen Staatsoper, so liegen am Weg: Justizpalast, Künstlerhaus am Lenbachplatz, Erzbischöfliches Ordinariat, Polizeipräsidium. Kompakt aufgereiht im Zentrum.
Besichtigt man sodann die repräsentative erste Premiere der Münchner Opernfestspiele 2022 mit Krzysztof Pendereckis „Die Teufel von Loudun“, begegnen einem, kompakt aufgereiht: Künstler, natürlich, und zwar im Gewand von Hochklerus mitsamt seiner Entourage, Justiz, Polizei, Volk. Zwar spielen „Die Teufel von Loudun“, uraufgeführt 1969 an der Staatsoper Hamburg, im Jahr 1634/35, also kurz vor Eintritt der Franzosen in den Dreißigjährigen Krieg, zwar hat insbesondere die katholische Kirche derzeit ausreichend weitere Probleme, aber damit niemand auf die Idee kommen möge, Geschichte könne sich nicht wiederholen, verlegt Regisseur Simon
Stone das Denunziations-, Anklage-, Exorzismus-, Inquisitionsund Hinrichtungsstück mit wahrem Hintergrund direkt ins bundesdeutsche Heute.
Auf die Bühne ließ Bob Cousins einen schweren, brutalistischen Rohbetonkubus hieven – mit Anklängen an Kanzel, Beichtstuhl, Kircheninneres, Klosterzelle, Krematorium, Verwaltungstrakt. Der Haupteingang zum Erzbischöflichen Ordinariat in München zeigt sich genauso streng, glatt, hypermodern wie diese unentwegt rotierende Betonburg. Das Stück des Polen Penderecki war einst auch eine Ansage ans katholische Polen – und wird jetzt zur Ansage ans katholische Bayern, wo Regisseur Stone zumindest die Gefahr reibungsloser Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staatsgewalt sieht.
Derlei reibungslose Zusammenarbeit brachte 1635 den Pater Grandier auf den Scheiterhaufen. Er war begehrt von jungen Frauen, was er durchaus lose nutzte. Auch Jeanne, Priorin der ansässigen Ursulinen,
will sich seiner nicht nur als Glaubensstütze versichern, doch Grandier lehnt ab. Weil er auch noch politisch missliebig wird, zieht sich der Strick zusammen: Sein Lebenswandel stößt im Volk auf, die schwer enttäuschte Schwester Jeanne und weitere Mitschwestern von religiös-sexueller Inbrunst bezichtigen ihn, mit dem Satan zu paktieren. Damit hat Richelieu als Staatsmann und Kardinal Handhabe, den politischen Kontrahenten auszuschalten.
Nun kommt auch szenisch der stärkste, der beklemmendste Akt der Oper, die musikalisch eher verhalten startet, weil das Orchester die Handlung mehr unheilvoll untermalt, als dass es aufschaukelnd und eigenständig Paroli bietet. Aber nun, bei der ausgedehnten bösen Befragung und ausgedehnten schweren Folterung Grandiers (hier auch durch elektrische Stromstöße), wendet sich das geräuschhaft Illustrative der Partitur geradezu ins Schwarze, Schmerzhafte, Nihilistische. Das packt genauso wie Simon Stones Darstellung
von Opfer und perfid-belustigten, perfid-salbungsvollen Tätern. Für sein sündiges Leben mit jungen Frauen bekennt sich Grandier zwar schuldig, nicht aber für die ihm angedichteten Ursulinenorgien im Bunde mit dem Teufel. Sein Urteil unterschreibt er nicht. Grausam malträtiert wird er gleichwohl hingerichtet.
Gut, dass in Simon Stones Inszenierung kaum jene Komik und kaum jene heutige Frauenrechtsfrage eine Rolle spielen, die er im Programmheft zu behandeln ankündigt. Problematisch genug für Pendereckis trocken-lapidare Historien-dokumentation anhand von 30 Kurzszenen, Schlaglichter bleiben die schaurig hallenden Teufelsstimmen, die allzu kolportagehaft aus den Mündern der Ursulinen dringen. Aber insgesamt bleibt das Werk ein soghaft sich steigernder Wurf, der an der Staatsoper jetzt auch nahezu als stringenter Inszenierungswurf besichtigt und als Entfaltung orchestraler Schärfe gehört werden kann – als Pendant quasi auch zum
Augsburger und Münchner Peter Grimes.
Vladimir Jurowski vor Staatsorchester und Staatsopernchor mit oratorienhaften Turba-aufgaben (Einstudierung: Stellario Fagone) wurde den „Teufeln von Loudun“ein geschliffener Anwalt, indem er seine stärksten Argumente für die Partitur in den Exorzismus- und Folterungsszenen ausspielte. In letzteren mimte der Schauspieler Robert Dölle die bemitleidenswerte Kreatur Grandier, während Jordan Shanahan die Partie aus dem Graben eindrucksvoll sang. Beide waren kurzfristig für den an Corona erkrankten Wolfgang Koch eingesprungen. Weder dem Teufelsaustreiber Barré (Martin Winkler mit knarzendem Bass) noch Baron de Laubardemont (Wolfgang Ablinger-sperrhacke mit hinterhältig-geöltem Tenor) möchte man in die Hände fallen. Groß: Ausrine Stundyte als frömmelnd-wahnsinnige Jeanne.