Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Fotografinnen des Atelier Elvira kämpften für ein anderes Frauenbild
Diese Künstlerinnen mit der Kamera waren um 1900 anders. Sie glänzten als Unternehmerinnen und lebten offen ihr Homosexualität, wie eine Ausstellung jetzt zeigt. Von München aus eröffneten sie auch in Augsburg eine Filiale.
Alles, wirklich alles war außergewöhnlich an diesen beiden Frauen: Als sich die 29-jährige Anita Augspurg und die acht Jahre jüngere Sophia Goudstikker 1886 im damals liberal geltenden München niederließen, hatten sie für sich entschieden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In den folgenden Jahren widersetzten sie sich dann den bürgerlichen Regeln, gründeten ein erfolgreiches Unternehmen, engagierten sich in der Frauenbewegung und fielen als Prototyp der „Modernen Frau“in der bei Künstlern so beliebten Stadt immer wieder auf, ob durch Reformkleider und kurze, freche Frisuren oder ihre frei gelebte Homosexualität.
Die Geschichte der beiden politisch engagierten Fotografinnen im exzentrischen Münchner Jugendstilpalais (Architekt: August Endell) wurde in den letzten Jahrzehnten viel erforscht. Erstmals präsentiert jetzt aber eine Ausstellung die Geschichte der Augsburger Filiale ihres „Atelier Elvira“, das hier fünf Jahre lang (von 1891 bis 1896) von der Schwester Sophias, Mathilde Goudstikker, geführt wurde. Ein Stück Lokalgeschichte ebenso wie ein wichtiger Beitrag zur Frauen- und Kulturgeschichte wird hier im Grafischen Kabinett neben dem Schaezlerpalais in zahlreichen Fotos und Details präsentiert. Den drei Kuratoren Dr. Ingvild Richardsen, Christoph Sauter und Daniel Karrasch gelang es damit, Frauen dieser Zeit aus dem Schatten zu holen.
Richardsen hatte bereits veröffentlicht zu den Anfängen der Münchner Frauenbewegung, bei der das Atelier Elvira eine wichtige Rolle spielte. 2020 lieferte sie einen Beitrag zur Ausstellung „Shalom Sisters“mit ausgestellten Fotos in der Ludwigstraße. Grafiker Christoph Sauter und Daniel Karrasch haben über viele Monate in privaten und öffentlichen Archiven die Augsburger Filiale der „Elvira“erforscht und dabei vor allem Mathilde
Goudstikker, die vergessene jüngere Schwester Sophias, aus ihrem Schattendasein geholt.
Sie übernahm mit gerade 17 Jahren das Augsburger Atelier in einem Hinterhaus im Theaterviertel, Litera D 171, heute: Ludwigstr. 22, und wurde schnell zur künstlerisch ambitioniertesten Fotografin der Stadt. Der gefeierte Dirigent Hans von Bülow hatte sich hier vor Gast-konzerten porträtieren lassen. Als aber die Fotografin Mathilde ihn in einem Brief – in der Ausstellung zu sehen – um Vermittlung eines Fototermins beim früheren Reichskanzler Bismarck bat, notierte er auf dem Brief, mit dickem Stift, das höhnische: „Hoho! Augsburg – grossartig naiv“. Naiv dabei dreimal unterstrichen.
Andere Prominente aber kehrten gern im Atelier Elvira ein: Mitglieder der Fugger-familie, die schöne Berta Riedinger, Friedrich Hessing und natürlich die Sänger und Schauspielerinnen des nahen Theaters ließen sich hier porträtieren. Ihre Fotografien wurden immer wieder nachgedruckt und verkauft, eine gute Einnahmequelle für das Atelier, das mithilfe einer kleinen Erbschaft Anita Augspurgs gegründet wurde, aber dann den Lebensunterhalt von mehreren Frauen sicherte. Ihre damalige Lebensgefährtin Sophie kümmerte sich um die Kontakte zu den einflussreichen Künstler- und Adelskreisen. Sie bekam schließlich als erste Frau den begehrten Titel „Hoffotografin“verliehen.
Die Kuratoren haben sich in die Augsburger Geschichte Ende des 19. Jahrhunderts tief hineingekniet. Frauen waren aus intellektuellen, ökonomischen und politischen Kreisen damals fast ausgeschlossen. Man sah die Frau in der bürgerlichen „guten Gesellschaft“lieber als dekoratives Salonmöbel. Die Möglichkeiten für Frauen, finanziell unabhängig zu leben, waren zugleich sehr beschränkt. Umso spannender sind die umtriebigen und künstlerisch begabten Goudstikker-schwestern, die auf ihren Fotografien ein anderes Frauenbild schufen. Die Ausstellung zeigt nicht nur – zum Teil ansprechend vergrößert – Porträts aus dem Atelier, sondern auch Anzeigen, Zeitungsartikel, Briefe (einige von Rilke, der Mathilde sehr verehrte), die von der Lebenswelt um die Ateliers erzählen.
Augspurg und die beiden Goudstikker-schwestern hätten ein normales „Höhere-töchterdasein“mit Versorgungsehe führen können. Aber ebenso wie Augspurg, aus einer Akademiker-familie stammend, hatten die Goudstikker-schwestern aus einer niederländisch-jüdischen Familie von Kunsthändlern andere Ziele. Sie kämpften nicht nur um ihre persönliche Freiheit. Alle drei Frauen waren hoch engagiert im Kampf um Frauenbildung, Berufstätigkeit und Selbstbestimmung der Frauen. Augspurg war zudem nach einem Studium in Zürich (in Deutschland war das Frauen noch nicht möglich) die erste promovierte Juristin in Deutschland. Und blieb eine kämpferische Aktivistin gegen die Ungerechtigkeit.