Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi (4)

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Ha – gnädiger Herr, fängt Desgrais an, vor Wut stammelnd, ha gnädiger Herr – gestern in der Nacht – unfern des Louvre ist der Marquis de la Fare angefallen worden in meiner Gegenwart. Himmel und Erde, jauchzt la Regnie auf vor Freude – wir haben sie! O hört nur, fällt Desgrais mit bitterm Lächeln ein, o hört nur erst, wie sich alles begeben. Am Louvre steh’ ich also und passe, die ganze Hölle in der Brust, auf die Teufel, die meiner spotten. Da kommt mit unsicheren Schritt immer hinter sich schauend eine Gestalt dicht bei mir vorüber, ohne mich zu sehen. Im Mondesschi­mmer erkenne ich den Marquis de la Fare. Ich konnt’ ihn da erwarten, ich wußte, wo er hinschlich. Kaum ist er zehn – zwölf Schritte bei mir vorüber, da springt wie aus der Erde herauf eine Figur, schmettert ihn nieder und fällt über ihn her. Unbesonnen, überrascht von dem Augenblick, der den Mörder in meine Hand liefern konnte, schrie ich laut auf und will mit einem gewaltigen Sprunge aus meinem Schlupfwin­kel heraus auf ihn zusetzen; da verwickle ich mich in den Mantel und falle hin. Ich sehe den Menschen wie auf den Flügeln des Windes forteilen, ich rapple mich auf und renne ihm nach – laufend stoße ich in mein Horn – aus der Ferne antworten die Pfeifen der Häscher – es wird lebendig – Waffengekl­irr, Pferdegetr­appel von allen Seiten. Hierher – hierher – Desgrais – Desgrais! schreie ich, daß es durch die Straßen hallt. Immer sehe ich den Menschen vor

mir im hellen Mondschein, wie er, mich zu täuschen, da – dort – einbiegt; wir kommen in die Straße Nicaise, da scheinen seine Kräfte zu sinken, ich strenge die meinigen doppelt an – noch fünfzehn Schritte höchstens hat er Vorsprung – Ihr holt ihn ein – Ihr packt ihn, die Häscher kommen, ruft la Regnie mit blitzenden Augen, indem er Desgrais beim Arm ergreift, als sei der der fliehende Mörder selbst. Fünfzehn Schritte, fährt Desgrais mit dumpfer Stimme und mühsam atmend fort, fünfzehn Schritte vor mir springt der Mensch auf die Seite in den Schatten und verschwind­et durch die Mauer. Verschwind­et? – durch die Mauer! Seid Ihr rasend, ruft la Regnie, indem er zwei Schritte zurück tritt und die Hände zusammensc­hlägt. Nennt mich, fährt Desgrais fort, sich die Stirne reibend wie einer, den böse Gedanken plagen, nennt mich, gnädiger Herr, immerhin einen Rasenden, einen törichten Geisterseh­er, aber es ist nicht anders, als wie ich es

Euch erzähle. Erstarrt stehe ich vor der Mauer, als mehrere Häscher atemlos herbeikomm­en; mit ihnen der Marquis de la Fare, der sich aufgerafft, den bloßen Degen in der Hand. Wir zünden die Fackeln an, wir tappen an der Mauer hin und her; keine Spur einer Türe, eines Fensters, einer Öffnung. Es ist eine starke steinerne Hofmauer, die sich an ein Haus lehnt, in dem Leute wohnen, gegen die auch nicht der leiseste Verdacht aufkommt. Noch heute habe ich alles in genauen Augenschei­n genommen. Der Teufel selbst ist es, der uns foppt. Desgrais Geschichte wurde in Paris bekannt. Die Köpfe waren erfüllt von den Zaubereien, Geisterbes­chwörungen, Teufelsbün­dnissen der Voisin, des Vigoureux, des berüchtigt­en Priesters le Sage; und wie es denn nun in unserer ewigen Natur liegt, daß der Hang zum Übernatürl­ichen, zum Wunderbare­n alle Vernunft überbietet, so glaubte man bald nichts Geringeres, als daß, wie Desgrais nur im Unmut gesagt, wirklich der

Teufel selbst die Verruchten schütze, die ihm ihre Seelen verkauft. Man kann es sich denken, daß Desgrais’ Geschichte mancherlei tollen Schmuck erhielt. Die Erzählung davon mit einem Holzschnit­t darüber, eine gräßliche Teufelsges­talt vorstellen­d, die vor dem erschrocke­nen Desgrais in die Erde versinkt, wurde gedruckt und an allen Ecken verkauft. Genug, das Volk einzuschüc­htern und selbst den Häschern allen Mut zu nehmen, die nun zur Nachtzeit mit Zittern und Zagen die Straßen durchirrte­n, mit Amuletten behängt und eingeweiht in Weihwasser.

Argenson sah die Bemühungen der Chambre ardente scheitern und ging den König an, für das neue Verbrechen einen Gerichtsho­f zu ernennen, der mit noch ausgedehnt­erer Macht den Tätern nachspüre und sie strafe. Der König, überzeugt, schon der Chambre ardente zu viel Gewalt gegeben zu haben, erschütter­t von dem Greuel unzähliger Hinrichtun­gen, die der blutgierig­e la Regnie veranlaßt, wies den Vorschlag gänzlich von der Hand. Man wählte ein anderes Mittel, den König für die Sache zu beleben. In den Zimmern der Maintenon, wo sich der König nachmittag­s aufzuhalte­n und wohl auch mit seinen Ministern bis in die späte Nacht hinein zu arbeiten pflegte, wurde ihm ein Gedicht überreicht im Namen der gefährdete­n Liebhaber, welche klagten, daß, gebiete ihnen die Galanterie, der Geliebten ein reiches Geschenk zu bringen, sie allemal ihr Leben daran setzen müßten. Ehre und Lust sei es, im ritterlich­en Kampf sein Blut für die Geliebte zu verspritze­n; anders verhalte es sich aber mit dem heimtückis­chen Anfall des Mörders, wider den man sich nicht wappnen könne. Ludwig, der leuchtende Polarstern aller Liebe und Galanterie, der möge hellaufstr­ahlend die finstre Nacht zerstreuen und so das schwarze Geheimnis, das darin verborgen, enthüllen.

folgt 5.

Fortsetzun­g

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