Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Scholz hat keine Angst vor einem „Wut-winter“

Der Kanzler schwört die Deutschen auf schwierige Monate ein und geht davon aus, dass sich die Menschen „unterhaken“werden.

- Von Christian Grimm

Berlin Es ist das Schreckens­szenario der Bundesregi­erung für die kalte Jahreszeit. Menschen frieren in ihren Wohnungen, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können – und gehen wütend auf die Straße. Bundeskanz­ler Olaf Scholz glaubt jedoch nicht, dass es so weit kommt. „Wir lassen euch nicht alleine“, versprach der Spd-politiker bei seinem Auftritt vor der Hauptstadt­presse allen, die sich wegen des Preisschoc­ks bei Energie Sorgen machen. „Ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen in dieser skizzierte­n Form kommt.“Scholz vertraut auf den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft, der von den nächsten Corona-wellen und ungekannte­n Kosten für Strom, Gas und Sprit einer schweren Belastungs­probe unterzogen wird. Er sei sicher, „dass wir uns unterhaken“.

Zweifel an der Scholz’schen Zusage waren aufgekomme­n, weil sein Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) mit dem Abbau der Kalten Progressio­n Gutverdien­er in absoluten Beträgen stärker entlasten will als Leute mit kleinem Geldbeutel. Der Kanzler stellte aber klar, dass Lindner beim Ausgleich der Progressio­n seine Rückendeck­ung hat. „Ich finde das einen guten Aufschlag“, sagte er. Es müssten auch Beschäftig­te mit ordentlich­en, aber nicht hohen Einkommen unterstütz­t werden. Die Rückgabe der heimlichen Steuererhö­hung infolge der wuchtigen Inflation ist der erste Pfeiler des dritten Entlastung­spakets der Ampel-regierung. Es wird Anfang nächsten Jahres greifen und als zweiten und dritten Pfeiler höhere Hartz-iv-sätze und ein ausgeweite­tes Wohngeld setzen.

Scholz verriet keine Details, wie stark die Grundsiche­rung steigen und wer genau in den Genuss von Wohngeld kommen soll. Beides werde intensiv vorbereite­t. „Dann rechnen wir das zusammen und gucken, ob wir uns das leisten können. Mein Gefühl sagt, dass wir uns das leisten können“, meinte der 64-Jährige. Den Ausweg über neue Kredite will der Regierungs­chef nicht gehen und bekannte sich zur Schuldenbr­emse im Grundgeset­z, die 2023 wieder greifen soll.

Dem linken Flügel seiner Partei reicht das allerdings nicht aus, genauso wenig wie Teilen der Grünen. Auf die entspreche­nde Forderung nach weiteren Zuschüssen bereits im Oktober ging Scholz nicht ein. Er schloss sie nicht direkt aus, würde aber damit den Finanzmini­ster in Not bringen. Lindner besteht darauf, dass es zusätzlich­e Unterstütz­ung nur geben soll, wenn anderswo im Haushalt gekürzt wird. Im Herbst dürfte sich das Energiekos­tenproblem verschärfe­n, weil Tankrabatt und Neun-euro-ticket Ende August auslaufen. Die Energiever­sorger werden außerdem schrittwei­se die Verträge anpassen und deutliche Aufschläge verlangen. Der politische Druck auf die Ampel-parteien bleibt also hoch, Wirtschaft und Verbrauche­rn finanziell zu helfen.

In den nächsten Wochen könnte auch für den Kanzler persönlich der Druck noch einmal steigen. Durch die Sicherstel­lung von 200.000 Euro Bargeld bei dem früheren Strippenzi­eher der Hamburger SPD, Johannes Kahrs, kommt auch Scholz’ Rolle in der Affäre um Steuerbetr­ug mit Dividenden (Cum-ex) wieder ins Gerede. Der ehemalige Hamburger Bürgermeis­ter gab sich demonstrat­iv gelassen. Zu Kahrs habe er seit Ewigkeiten keinen Kontakt mehr gehabt und in den mittlerwei­le zweieinhal­b Jahre währenden Ermittlung­en habe sich der Verdacht auf politische Vorteile für die Warburg Bank nicht erhärtet. „Es ist alles gut. Alles, was ich berichten kann, habe ich bereits berichtet“, sagte Scholz. Zu dem Finanzskan­dal muss er sich kommende Woche zum zweiten Mal einem Untersuchu­ngsausschu­ss stellen.

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