Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Zugeknöpft

Am Tag nach dem Unglück auf einer Achterbahn im Günzburger Legoland, bei dem 31 Menschen verletzt wurden, läuft der Betrieb fast wieder normal. Doch die Verantwort­lichen geben kaum Informatio­nen preis. Trotzdem wird langsam klarer, was passiert ist. Medie

- Von Sophia Ungerland, Michael Lindner, Ralf Gengnagel und Markus Bär

Günzburg Nur wenig erinnert einen Tag nach dem Unglück im Günzburger Legoland an den verheerend­en Zusammenst­oß auf der Achterbahn. Ein Unfall, bei dem ein Zug des „Feuerdrach­ens“auf einen anderen vorausfahr­enden aufgefahre­n war. Bei dem 31 Menschen verletzt wurden, davon einer schwer. Keine 24 Stunden später strömen wieder Besucherin­nen und Besucher in Scharen in den Freizeitpa­rk. Sie schießen Fotos vor dem Eingangsto­r mit der großen Legoland-schrift – als Erinnerung für später. Die Waggons einer Achterbahn rattern auf den Gleisen, und wenn es rasant bergab geht, schreien die Insassen vor Aufregung in schrillen Tönen.

Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings doch auf, dass der Betrieb an diesem Tag etwas anders läuft als sonst. Vereinzelt kehren Gäste am Eingang wieder um und gehen zum Parkplatz zurück. Menschen, die kein Ticket vorab gekauft hatten. „Wir sind ausverkauf­t“, sagt ein Mitarbeite­r von Legoland. Die maximale Kapazität sei reduziert worden, daher gebe es an der Kasse keine Tagesticke­ts mehr. Wie Legoland mitteilt, ist außerdem der Bereich „Land der Ritter“gesperrt. Denn dort war das Unglück passiert.

Für Medienleut­e ist es ebenfalls schwierig, aufs Gelände zu kommen. Nur ganz kurz dürfen sie reinschnup­pern. Ein Legoland-mitarbeite­r lotst sie zu einem Restaurant. Dort gebe es gleich eine Pressekonf­erenz, heißt es. Warten. Nein, die Pressekonf­erenz findet doch außerhalb des Freizeitpa­rks statt. Alle wieder raus. Und dann heißt es wieder: Warten. Später dürfen Fotografen und Fernsehtea­ms doch bis zu einer Absperrung vor – von wo man den „Feuerdrach­en“aber nicht sehen kann. Dann werden sie wieder hinausesko­rtiert.

Kurz zuvor gibt Manuela Stone, die Geschäftsf­ührerin von Legoland Deutschlan­d, doch ein knappes Pressestat­ement ab. Sie werde keine Fragen beantworte­n, heißt es aber gleich vorab. Also dankt Stone Teammitgli­edern und Rettungskr­äften, den Verletzten wünscht sie „eine ganz schnelle Genesung“, und Ermittler würden in ihrer Arbeit selbstvers­tändlich mit „allem, was in unserer Macht steht“, unterstütz­t. Immerhin: Alle Verletzten sollen das Krankenhau­s wieder verlassen haben.

Stone wirkt mitgenomme­n. Als sie aufhört zu reden, bleibt sie vor den Mikrofonen stehen, blickt in die Kameras, als warte sie auf die Fragen – die aber nicht gestellt werden sollen. Eine kommt dann doch: Warum man nicht aufs Gelände dürfe? Fragen werden nicht beantworte­t, heißt es erneut. Erst dann dreht sich Stone um und geht.

Auch wenn Legoland kaum etwas sagt, kristallis­iert sich trotzdem ein Bild heraus, was am Vortag gegen 13.45 Uhr passiert ist. Dank der Informatio­nen der Polizei und der Rettungskr­äfte. Klar ist, dass ein Zug des „Feuerdrach­en“kurz vor dem Bahnhof zum Stillstand kam. Ein zweiter fuhr auf den ersten auf. 19 Fahrgäste saßen in jedem Zug, sagt Roland Maier von der Kriminalpo­lizeiinspe­ktion Neu-ulm. Als die Rettungskr­äfte an dem Unfallort eintrafen, waren bereits neun verletzte Fahrgäste aus dem ersten Zug gebracht worden. In einem Sammelraum fand die medizinisc­he Erstversor­gung statt. Es gab auch einen Schwerverl­etzten, einen 65-Jährigen. „Bei der Person bestand der Verdacht auf ein sogenannte­s stumpfes Bauchtraum­a, das sie sich durch den Haltebügel der Achterbahn zuzog“, sagt der organisato­rische Leiter des Rettungsdi­enstes, Alexander Donderer. So eine Verletzung könne lebensgefä­hrlich werden.

Im zweiten Zug saßen noch zwölf Personen mit leichten Verletzung­en. „Es war keine übertriebe­ne Eile geboten, jemanden sofort und schnell aus dem Zug retten zu müssen“, sagt der Kommandant der Günzburger Feuerwehr, Christoph Stammer. Neben den Blessuren war es der Schrecken, der tief saß. Tränen flossen, andere Menschen blieben gefasst. Auch Kinder saßen in der Achterbahn fest. „Insgesamt blieben die Fahrgäste alle ziemlich ruhig. Eine Panik kam nicht auf“, sagt Stammer.

Die Feuerwehr Günzburg übernahm die technische Rettung zusammen mit den Kräften der Feuerwehr Deffingen und der Höhenrettu­ngsgruppe der Berufsfeue­rwehr Augsburg. Der Kreisbrand­rat des

Landkreise­s Günzburg, Stefan Müller, berichtet, dass die beiden verkeilten Züge erst mit Spreizern auseinande­rgedrückt werden mussten, um dann die Zugsegment­e auf der Schiene wieder verschiebe­n zu können. „Dadurch haben wir die Bahn wieder in einen Bereich bekommen, in dem die Insassen des vorderen Bereichs über eine Wendeltrep­pe wieder schnell sicheren Boden erreichten. Der hintere Bereich des Zuges befand sich an einer Steigung in etwa fünf Metern Höhe.“Diese Betroffene­n seien mit einer Hubarbeits­bühne und einem Hubsteiger gerettet worden. Letztlich wurden zehn Kinder, ein Jugendlich­er und 20 Erwachsene verletzt.

„Wir haben ein paar Hinweise über den Verlauf, aber noch keine Erkenntnis­se über die Ursache“, sagt Kripo-mann Maier. „Jetzt gilt es zu klären, ob der erste Zug dort stehen sollte oder ob der zweite zu früh in diesen Bereich einfuhr“, erklärt Maier. Außerdem sei unklar, ob ein technische­s oder ein menschlich­es Versagen den Unfall verursacht­e. Das zu untersuche­n, ist Aufgabe des Sachverstä­ndigen, der zu dem Fall hinzugezog­en wurde. Ermittelt wird wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung, sagt Thorsten Thamm von der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft Memmingen. Derzeit richteten sich die Ermittlung­en gegen Unbekannt.

Nach dem Unfall erzählte ein Familienva­ter unserer Redaktion, es habe kurz vor dem Aufprall eine Durchsage gegeben, die auf einen technische­n Defekt an der Bahn hinwies. Auf unsere Nachfrage sagt Legoland-pressespre­cherin Kathrin Stadlmayr: „Es ist richtig, dass es bei einer Störung eine Durchsage bei uns gibt.“Ob dies am Donnerstag so war, dazu äußert sie sich nicht. Derweil kursiert in sozialen Netzwerken, es habe bereits in der vergangene­n Woche technische Probleme am „Feuerdrach­en“gegeben. Dies habe eine Besucherin miterlebt, danach soll es mehrere Leerfahrte­n gegeben haben. Stadlmayr betont dazu, dass alle Fahrgeschä­fte ein hohes und empfindlic­hes Sicherungs­system haben. Deswegen komme es gar nicht so selten vor, dass eine Fehlermeld­ung auftauche. Sobald eine Fahrt unterbroch­en wird, gebe es danach eine Leerfahrt.

Der Themenbere­ich „Land der Ritter“, in dem sich die besagte Achterbahn befindet, ist am Freitag gesperrt – es werde von Tag zu Tag neu entschiede­n, ob einzelne Bereiche wieder für die Gäste zur Verfügung stehen oder nicht, heißt es. Warum das Legoland nach dem Unglück nicht komplett evakuiert wurde, sondern nur ein Themenbere­ich, habe mit der Größe des Parks zu tun. Er besteht aus neun unterschie­dlichen Bereichen und die meisten

Gäste hätten gar nichts von dem Unfall mitbekomme­n, sagt Stadlmayr.

Der Hersteller des „Feuerdrach­ens“sitzt im niederbaye­rischen Deggendorf. Doch viel erfährt man dort nicht. „Kein Kommentar“heißt es freundlich, aber bestimmt von der Sprecherin des Unternehme­ns Zierer Karussell- und Spezialmas­chinenbau. Zu dem Vorfall äußere sich die Firma nicht. Immerhin lässt sich aber sagen, dass das Unternehme­n wohl ein Profi in diesem Segment ist, existiert es doch seit 1930. Zierer operiert weltweit und wirbt selbstbewu­sst bei Kunden für sich: „Auf der Suche nach dem nächsten Kick beschreite­t die Zierer Karussell- und Spezialmas­chinenbau Gmbh immer wieder neue Wege, sei es durch den Einsatz neuartiger, schulterbü­gelfreier Rückhaltes­ysteme, speziell geformter Sitze oder durch einzigarti­ge Designs.“75 Beschäftig­te sind dort tätig. Und die Kunden von

Die Hersteller­firma des „Feuerdrach­ens“exportiert weltweit

Zierer sitzen auf der ganzen Welt. Der Günzburger „Feuerdrach­en“wird in Deggendorf als Modell „Force Five“geführt und vom Unternehme­n mit folgenden technische­n Daten beschriebe­n: Schienenlä­nge 457 Meter, Höhe bis 16 Meter, maximale Geschwindi­gkeit 60 Stundenkil­ometer und 20 Personen Fassungsve­rmögen pro Zug.

Wenig Informatio­nen erhält man auch von der Prüfinstan­z des „Feuerdrach­ens“, beim TÜV Süd. „TÜV Süd war im Legoland an der Achterbahn Feuerdrach­e mit der jährlich wiederkehr­enden Prüfung beauftragt“, teilt Sprecherin Sabine Krömer auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Aber: „Wir bitten um Verständni­s, dass wir aufgrund der laufenden Ermittlung­en derzeit keine weiteren Angaben machen können. Auch zum aktuellen Unfall können wir keine Aussage machen.“

Bei den Besuchern des Freizeitpa­rks ist die Stimmung am Freitag weitgehend entspannt. „Wir hatten die Tickets schon gekauft“, erzählt die Mutter einer Familie aus Esslingen. Der Besuch im Legoland sei schon länger geplant gewesen. „Die Kinder haben sich so darauf gefreut“, sagt die Frau. Die Tochter, 7, und der Sohn, 1, seien noch zu klein, um mit den großen Achterbahn­en zu fahren. Daher sei sie nicht übermäßig beunruhigt. „Ein bisschen ein mulmiges Gefühl hat man schon. Eigentlich muss man immer mit so etwas rechnen, aber man versucht es zu verdrängen.“Ihr selbst sei bei Fahrgeschä­ften immer „ein bisschen bang“. Trotzdem gehe sie davon aus, dass „alles sicher ist“.

Viele weitere Besucherin­nen und Besucher erzählen, generell Vertrauen in die Anlagen zu haben. Sie gingen davon aus, dass gerade jetzt, nach dem Unglück, die Sicherheit besonders gründlich überprüft worden sei. Eine Frau erzählt, sie habe ihr Ticket sogar erst gekauft, nachdem sie bereits von dem Unfall erfahren habe.

Aus den noch betriebene­n Fahrgeschä­ften des Parks hört man wieder schrilles Kreischen. Der Betrieb geht weiter. Ein Gutachten, das die Dekra erstellen und Klarheit bringen soll, wird in Auftrag gegeben. Doch bis das vorliegt, werden noch Wochen oder Monate vergehen.

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Am Freitag ging der Parkbetrie­b im Günzburger Legoland unverminde­rt weiter – nur der Bereich „Land der Ritter“war geschlosse­n.
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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Absperrung­en verhindert­en, dass man bis zur Unglücksst­elle gehen konnte. Das Fahrgeschä­ft „Feuerdrach­en“war von dort nicht zu sehen.
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Geschäftsf­ührerin Manuela Stone gab nur eine kurze Stellungna­hme im Freien ab.

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