Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zugeknöpft
Am Tag nach dem Unglück auf einer Achterbahn im Günzburger Legoland, bei dem 31 Menschen verletzt wurden, läuft der Betrieb fast wieder normal. Doch die Verantwortlichen geben kaum Informationen preis. Trotzdem wird langsam klarer, was passiert ist. Medie
Günzburg Nur wenig erinnert einen Tag nach dem Unglück im Günzburger Legoland an den verheerenden Zusammenstoß auf der Achterbahn. Ein Unfall, bei dem ein Zug des „Feuerdrachens“auf einen anderen vorausfahrenden aufgefahren war. Bei dem 31 Menschen verletzt wurden, davon einer schwer. Keine 24 Stunden später strömen wieder Besucherinnen und Besucher in Scharen in den Freizeitpark. Sie schießen Fotos vor dem Eingangstor mit der großen Legoland-schrift – als Erinnerung für später. Die Waggons einer Achterbahn rattern auf den Gleisen, und wenn es rasant bergab geht, schreien die Insassen vor Aufregung in schrillen Tönen.
Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings doch auf, dass der Betrieb an diesem Tag etwas anders läuft als sonst. Vereinzelt kehren Gäste am Eingang wieder um und gehen zum Parkplatz zurück. Menschen, die kein Ticket vorab gekauft hatten. „Wir sind ausverkauft“, sagt ein Mitarbeiter von Legoland. Die maximale Kapazität sei reduziert worden, daher gebe es an der Kasse keine Tagestickets mehr. Wie Legoland mitteilt, ist außerdem der Bereich „Land der Ritter“gesperrt. Denn dort war das Unglück passiert.
Für Medienleute ist es ebenfalls schwierig, aufs Gelände zu kommen. Nur ganz kurz dürfen sie reinschnuppern. Ein Legoland-mitarbeiter lotst sie zu einem Restaurant. Dort gebe es gleich eine Pressekonferenz, heißt es. Warten. Nein, die Pressekonferenz findet doch außerhalb des Freizeitparks statt. Alle wieder raus. Und dann heißt es wieder: Warten. Später dürfen Fotografen und Fernsehteams doch bis zu einer Absperrung vor – von wo man den „Feuerdrachen“aber nicht sehen kann. Dann werden sie wieder hinauseskortiert.
Kurz zuvor gibt Manuela Stone, die Geschäftsführerin von Legoland Deutschland, doch ein knappes Pressestatement ab. Sie werde keine Fragen beantworten, heißt es aber gleich vorab. Also dankt Stone Teammitgliedern und Rettungskräften, den Verletzten wünscht sie „eine ganz schnelle Genesung“, und Ermittler würden in ihrer Arbeit selbstverständlich mit „allem, was in unserer Macht steht“, unterstützt. Immerhin: Alle Verletzten sollen das Krankenhaus wieder verlassen haben.
Stone wirkt mitgenommen. Als sie aufhört zu reden, bleibt sie vor den Mikrofonen stehen, blickt in die Kameras, als warte sie auf die Fragen – die aber nicht gestellt werden sollen. Eine kommt dann doch: Warum man nicht aufs Gelände dürfe? Fragen werden nicht beantwortet, heißt es erneut. Erst dann dreht sich Stone um und geht.
Auch wenn Legoland kaum etwas sagt, kristallisiert sich trotzdem ein Bild heraus, was am Vortag gegen 13.45 Uhr passiert ist. Dank der Informationen der Polizei und der Rettungskräfte. Klar ist, dass ein Zug des „Feuerdrachen“kurz vor dem Bahnhof zum Stillstand kam. Ein zweiter fuhr auf den ersten auf. 19 Fahrgäste saßen in jedem Zug, sagt Roland Maier von der Kriminalpolizeiinspektion Neu-ulm. Als die Rettungskräfte an dem Unfallort eintrafen, waren bereits neun verletzte Fahrgäste aus dem ersten Zug gebracht worden. In einem Sammelraum fand die medizinische Erstversorgung statt. Es gab auch einen Schwerverletzten, einen 65-Jährigen. „Bei der Person bestand der Verdacht auf ein sogenanntes stumpfes Bauchtrauma, das sie sich durch den Haltebügel der Achterbahn zuzog“, sagt der organisatorische Leiter des Rettungsdienstes, Alexander Donderer. So eine Verletzung könne lebensgefährlich werden.
Im zweiten Zug saßen noch zwölf Personen mit leichten Verletzungen. „Es war keine übertriebene Eile geboten, jemanden sofort und schnell aus dem Zug retten zu müssen“, sagt der Kommandant der Günzburger Feuerwehr, Christoph Stammer. Neben den Blessuren war es der Schrecken, der tief saß. Tränen flossen, andere Menschen blieben gefasst. Auch Kinder saßen in der Achterbahn fest. „Insgesamt blieben die Fahrgäste alle ziemlich ruhig. Eine Panik kam nicht auf“, sagt Stammer.
Die Feuerwehr Günzburg übernahm die technische Rettung zusammen mit den Kräften der Feuerwehr Deffingen und der Höhenrettungsgruppe der Berufsfeuerwehr Augsburg. Der Kreisbrandrat des
Landkreises Günzburg, Stefan Müller, berichtet, dass die beiden verkeilten Züge erst mit Spreizern auseinandergedrückt werden mussten, um dann die Zugsegmente auf der Schiene wieder verschieben zu können. „Dadurch haben wir die Bahn wieder in einen Bereich bekommen, in dem die Insassen des vorderen Bereichs über eine Wendeltreppe wieder schnell sicheren Boden erreichten. Der hintere Bereich des Zuges befand sich an einer Steigung in etwa fünf Metern Höhe.“Diese Betroffenen seien mit einer Hubarbeitsbühne und einem Hubsteiger gerettet worden. Letztlich wurden zehn Kinder, ein Jugendlicher und 20 Erwachsene verletzt.
„Wir haben ein paar Hinweise über den Verlauf, aber noch keine Erkenntnisse über die Ursache“, sagt Kripo-mann Maier. „Jetzt gilt es zu klären, ob der erste Zug dort stehen sollte oder ob der zweite zu früh in diesen Bereich einfuhr“, erklärt Maier. Außerdem sei unklar, ob ein technisches oder ein menschliches Versagen den Unfall verursachte. Das zu untersuchen, ist Aufgabe des Sachverständigen, der zu dem Fall hinzugezogen wurde. Ermittelt wird wegen fahrlässiger Körperverletzung, sagt Thorsten Thamm von der zuständigen Staatsanwaltschaft Memmingen. Derzeit richteten sich die Ermittlungen gegen Unbekannt.
Nach dem Unfall erzählte ein Familienvater unserer Redaktion, es habe kurz vor dem Aufprall eine Durchsage gegeben, die auf einen technischen Defekt an der Bahn hinwies. Auf unsere Nachfrage sagt Legoland-pressesprecherin Kathrin Stadlmayr: „Es ist richtig, dass es bei einer Störung eine Durchsage bei uns gibt.“Ob dies am Donnerstag so war, dazu äußert sie sich nicht. Derweil kursiert in sozialen Netzwerken, es habe bereits in der vergangenen Woche technische Probleme am „Feuerdrachen“gegeben. Dies habe eine Besucherin miterlebt, danach soll es mehrere Leerfahrten gegeben haben. Stadlmayr betont dazu, dass alle Fahrgeschäfte ein hohes und empfindliches Sicherungssystem haben. Deswegen komme es gar nicht so selten vor, dass eine Fehlermeldung auftauche. Sobald eine Fahrt unterbrochen wird, gebe es danach eine Leerfahrt.
Der Themenbereich „Land der Ritter“, in dem sich die besagte Achterbahn befindet, ist am Freitag gesperrt – es werde von Tag zu Tag neu entschieden, ob einzelne Bereiche wieder für die Gäste zur Verfügung stehen oder nicht, heißt es. Warum das Legoland nach dem Unglück nicht komplett evakuiert wurde, sondern nur ein Themenbereich, habe mit der Größe des Parks zu tun. Er besteht aus neun unterschiedlichen Bereichen und die meisten
Gäste hätten gar nichts von dem Unfall mitbekommen, sagt Stadlmayr.
Der Hersteller des „Feuerdrachens“sitzt im niederbayerischen Deggendorf. Doch viel erfährt man dort nicht. „Kein Kommentar“heißt es freundlich, aber bestimmt von der Sprecherin des Unternehmens Zierer Karussell- und Spezialmaschinenbau. Zu dem Vorfall äußere sich die Firma nicht. Immerhin lässt sich aber sagen, dass das Unternehmen wohl ein Profi in diesem Segment ist, existiert es doch seit 1930. Zierer operiert weltweit und wirbt selbstbewusst bei Kunden für sich: „Auf der Suche nach dem nächsten Kick beschreitet die Zierer Karussell- und Spezialmaschinenbau Gmbh immer wieder neue Wege, sei es durch den Einsatz neuartiger, schulterbügelfreier Rückhaltesysteme, speziell geformter Sitze oder durch einzigartige Designs.“75 Beschäftigte sind dort tätig. Und die Kunden von
Die Herstellerfirma des „Feuerdrachens“exportiert weltweit
Zierer sitzen auf der ganzen Welt. Der Günzburger „Feuerdrachen“wird in Deggendorf als Modell „Force Five“geführt und vom Unternehmen mit folgenden technischen Daten beschrieben: Schienenlänge 457 Meter, Höhe bis 16 Meter, maximale Geschwindigkeit 60 Stundenkilometer und 20 Personen Fassungsvermögen pro Zug.
Wenig Informationen erhält man auch von der Prüfinstanz des „Feuerdrachens“, beim TÜV Süd. „TÜV Süd war im Legoland an der Achterbahn Feuerdrache mit der jährlich wiederkehrenden Prüfung beauftragt“, teilt Sprecherin Sabine Krömer auf Nachfrage unserer Redaktion mit. Aber: „Wir bitten um Verständnis, dass wir aufgrund der laufenden Ermittlungen derzeit keine weiteren Angaben machen können. Auch zum aktuellen Unfall können wir keine Aussage machen.“
Bei den Besuchern des Freizeitparks ist die Stimmung am Freitag weitgehend entspannt. „Wir hatten die Tickets schon gekauft“, erzählt die Mutter einer Familie aus Esslingen. Der Besuch im Legoland sei schon länger geplant gewesen. „Die Kinder haben sich so darauf gefreut“, sagt die Frau. Die Tochter, 7, und der Sohn, 1, seien noch zu klein, um mit den großen Achterbahnen zu fahren. Daher sei sie nicht übermäßig beunruhigt. „Ein bisschen ein mulmiges Gefühl hat man schon. Eigentlich muss man immer mit so etwas rechnen, aber man versucht es zu verdrängen.“Ihr selbst sei bei Fahrgeschäften immer „ein bisschen bang“. Trotzdem gehe sie davon aus, dass „alles sicher ist“.
Viele weitere Besucherinnen und Besucher erzählen, generell Vertrauen in die Anlagen zu haben. Sie gingen davon aus, dass gerade jetzt, nach dem Unglück, die Sicherheit besonders gründlich überprüft worden sei. Eine Frau erzählt, sie habe ihr Ticket sogar erst gekauft, nachdem sie bereits von dem Unfall erfahren habe.
Aus den noch betriebenen Fahrgeschäften des Parks hört man wieder schrilles Kreischen. Der Betrieb geht weiter. Ein Gutachten, das die Dekra erstellen und Klarheit bringen soll, wird in Auftrag gegeben. Doch bis das vorliegt, werden noch Wochen oder Monate vergehen.