Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Eine Frage der Ehre

Es ist in der Geschichte der Republik einmalig: Gerhard Schröder klagt gegen den Bundestag, um sein Altkanzler­büro wiederzube­kommen. Die Entscheidu­ng erinnere an einen „absolutist­ischen Fürstensta­at“, sagen seine Anwälte.

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Berlin/hannover Selbst für einen erfahrenen Politiker wie Gerhard Schröder dürfte es eine besondere Woche sein. Am Montag lehnte die Spd-schiedskom­mission seines Heimat-unterbezir­ks Region Hannover seinen Rauswurf aus der Partei ab, weil nicht nachzuweis­en sei, dass Schröder mit seinem Engagement für russische Staatskonz­erne gegen die Parteiordn­ung verstoßen habe. Nun geht der Altkanzler sogar in die Offensive. In einem in der bundesdeut­schen Geschichte einmaligen Vorgang klagt Schröder vor dem Berliner Verwaltung­sgericht gegen die Entscheidu­ng des Bundestags-haushaltsa­usschusses und verlangt seine ihm im Mai teilweise entzogenen Sonderrech­te zurück – vor allem sein Büro und das Anrecht auf eigene Mitarbeite­r.

„Solcherart Entscheidu­ngen, die im Hinblick auf die Art und Weise ihrer Entstehung eher an einen absolutist­ischen Fürstensta­at erinnern, dürfen in einem demokratis­chen Rechtsstaa­t keinen Bestand haben. Die Entscheidu­ng ist willkürlic­h“, schreibt Schröders Hannoveran­er Anwalt Michael Nagel dazu in einer vorliegend­en Erklärung. Und weiter: „Die Verantwort­lichen bestimmten zur Legitimati­on der nunmehr angefochte­nen Entscheidu­ng neue Regeln. Den zugrunde gelegten Sachverhal­t zumindest nach ihren eigenen neuen Maßstäben vorab aufzukläre­n, war hingegen der Mühe nicht wert. Stattdesse­n wird behauptet, Herr Bundeskanz­ler a.d. Gerhard Schröder nehme die sog. „nachwirken­den Dienstpfli­chten“nicht mehr wahr. Es wird aber nicht festgelegt, was „nachwirken­de Dienstpfli­chten“überhaupt sind, wie ihre Wahr- bzw. Nichtwahrn­ehmung zu ermitteln ist und welches Prozedere es im Übrigen dabei einzuhalte­n gilt.“Dem ganzen Vorgang stehe auf „die Stirn geschriebe­n“, dass es andere Gründe gebe und die Argumentat­ion der Bundestags­haushälter nur vorgeschob­en sei.

Der Hannoveran­er Strafverte­idiger Nagel ist ein in politisch-juristisch­en Schlachten erprobter Staranwalt. Er verteidigt­e schon in einem anderen aufsehener­regenden Verfahren den der Korruption angeklagte­n früheren Bundespräs­identen Christian Wulff. Der Prozess endete für Wulff 2014 mit einem Freispruch, sein Ruf aber blieb lädiert.

Das ist im Falle Schröders untertrieb­en. Der Altkanzler wird als „Putin-freund“und wegen seiner Aufsichtsp­osten in der russischen Energieind­ustrie als „Gas-gerd“geächtet. Und das nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskr­iegs auf die Ukraine.

So war auch beständig der Druck auf Bundesregi­erung und Bundestag gewachsen, gegen Schröder vorzugehen. Als dann das Europäisch­e Parlament im Mai mit großer Mehrheit Sanktionen gegen Schröder forderte, handelte auch der Haushaltsa­usschuss des Bundestage­s. Die Parlamenta­rier erließen geschickt eine pauschale Regelung, die auch künftige Kanzler treffen könnte: Altkanzler, die keine Verpflicht­ungen aus ihrem Amt mehr wahrnehmen, sollten auch kein Büro mehr bekommen.

Das Ergebnis für Schröder: Seine Pension von etwa 8300 Euro durfte er ebenso behalten wie Personensc­hutz und Fahrdienst. Aber das Büro nahmen ihm die Abgeordnet­en weg. Schröder waren damals aus Protest gegen die Haltung ihres Chefs ohnehin die Mitarbeite­r weggelaufe­n. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD), einst Schröders Spd-generalsek­retär, begrüßte die Maßnahme als „folgericht­ig“.

Die Klage ist nun der nächste Akt in einem Schauspiel, das bislang nur Verlierer kennt. Schröder kämpft um seine Ehre, seine Reputation. Die Bundesregi­erung und Bundestag möchten ihn am liebsten vergessen machen. Das aber weiß Medienprof­i Schröder zu verhindern, zuletzt in einem aufsehener­regenden Interview mit der Illustrier­ten stern und Rtl/n-tv.

Dort fragte er provokant: „Wofür soll ich mich entschuldi­gen?“Gleichzeit­ig verwies er darauf, dass die beidseitig nicht widerrufen­e Freundscha­ft zu Russlands Präsidente­n Wladimir Putin noch für die Vermittlun­g eines möglichen Waffenstil­lstands wichtig werden könne. Bundeskanz­ler Scholz kann sich das kaum vorstellen: „Ich wüsste nicht“, sagte er erst am Donnerstag bei seiner Sommerpres­sekonferen­z dazu auf Journalist­en-fragen.

In seinem stern-interview analysiert­e Schröder damals auch lustvoll die Abhängigke­it Deutschlan­ds von russischer Energie, die viel höher sei als zu seiner Amtszeit („damals nur 35 Prozent“), bevor er für sich und die Reporter Pizza orderte, die seine Sicherheit­sbeamten abholen mussten. Der Titel mit Schröder war für das

Magazin der meistverka­ufte seit langer Zeit, wird aus Verlagskre­isen bestätigt.

Dieses demonstrat­ive Selbstbewu­sstsein des 78-Jährigen lässt im politische­n Berlin Krisenbewä­ltiger kochen. Sein Nach-nachfolger im Amt, Olaf Scholz, etwa müht sich redlich, Führungskr­aft auszustrah­len. Kaum ein Tag vergeht ohne einen Scholz-besuch auf einem Werksgelän­de der Energieind­ustrie. Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) bastelt an milliarden­schweren Entlastung­spaketen für die beunruhigt­en Bürger, Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) ist Handlungsr­eisender in Sachen Gas. Längst lautet das oberste Motto der Ampel-koalition nicht mehr: „Die Rente ist sicher“, sondern: „Alle werden es im Winter warm haben.“

Schröder aber bestimmt die aktuelle politische Debatte mehr mit als wohl alle Altkanzler vor ihm in ihrer jeweiligen Zeit. Die verlorene Ehre erhält er wohl nicht mehr zurück, aber Genugtuung – die könnte er vor Gericht erlangen.

In der aktiven Politik reichen die Reaktionen von demonstrat­iver Gelassenhe­it bis hin zu offenem Ärger. „Gerhard Schröder hat jedes Gespür für Anstand verloren“, schrieb Csu-generalsek­retär Martin Huber auf Twitter. „Als Putinlobby­ist vertritt er definitiv keine deutschen Interessen. Dafür will er Sonderrech­te auf Kosten des Steuerzahl­ers? Dreist!“Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki hingegen sagt: „Ich halte zwar die Erfolgswah­rscheinlic­hkeit der Klage Gerhard Schröders gegen den Deutschen Bundestag für extrem gering, dies aber gerichtlic­h überprüfen zu lassen, ist sein gutes Recht.“Unabhängig von dieser juristisch­en Auseinande­rsetzung wäre es grundsätzl­ich sinnvoll, wenn es klare Leitlinien für die Nachlaufbü­ros der Bundeskanz­ler geben würde. „Eine jahre- bis jahrzehnte­lange personelle und sächliche Vollaussta­ttung ist aus meiner Sicht völlig unverhältn­ismäßig und unzumutbar für den Steuerzahl­er.“Eine zeitlich befristete Regelung analog derer der Bundestags­präsidente­n wäre sinnvoller, sagte Kubicki.

Für das Büro von Schröder flossen im vergangene­n Jahr Personalau­sgaben von etwa 407.000 Euro aus der Staatskass­e, seit 2016 waren es mehr als 3 Millionen Euro. (Sven Gösmann, dpa)

„Schröder hat jedes Gespür für Anstand verloren.“

Martin Huber, CSU

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Foto: Imago Gerhard Schröder auf einem Bild aus dem Jahr 2007 in seinem Berliner Büro.

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