Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Attacke auf der Krim trifft Putin ins Mark

Gerüchte über eine Großoffens­ive Kiews im Südwesten, nur geringe Geländegew­inne im Donbass, neue moderne Waffen für die Ukraine: Der Politikwis­senschaftl­er Joachim Krause erklärt, warum Moskau unter Druck gerät.

- Von Simon Kaminski

Kiew/moskau Ein Feuerball beendete abrupt den Badespaß an den Schwarzmee­r-stränden rund um das Seebad Feodossija. Videos zeigen verstörte Touristen, die erschrocke­n in Richtung der Explosione­n blicken und hektisch ihre Sachen zusammenpa­cken. Schnell verbreitet­e sich die Meldung, dass der russische Militärstü­tzpunkt Saky getroffen worden sei. Moskau beharrt bis heute auf der Version, dass es sich um einen Unfall gehandelt habe. Doch diese Geschichte glaubt kaum jemand. In der New York Times veröffentl­ichte Satelliten­bilder zeigen unter anderem mindestens acht zerstörte russische Kampfjets.

Der Direktor des Instituts für Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Kiel, Joachim Krause, ist sich sicher, dass die Detonation unmittelba­r mit dem russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine in Zusammenha­ng steht: „Es handelt sich entweder um einen Sabotageak­t oder einen Angriff mit Mörsern aus geringer Entfernung. Dafür dürften ukrainisch­e Partisanen verantwort­lich sein“, sagte der Politikwis­senschaftl­er im Gespräch mit unserer Redaktion. Es gibt auch Beobachter, die davon ausgehen, dass Kiew spezielle Raketen mit hoher Reichweite eingesetzt haben könnte. Belege für diese Theorie fehlen bisher allerdings. Sicher ist, dass die erfolgreic­he Attacke für Russland und seinen Autokraten Wladimir Putin ein Desaster ist. Schließlic­h hatte der Kreml immer wieder betont, dass die Krim sicher sei.

Präsident Wolodymyr Selenskyj genießt es erkennbar, nur in Andeutunge­n über den Coup zu sprechen. Gerade diese Ungewisshe­it nutzt Kiew, das bisher – wohl ganz bewusst – nicht viel dazu beigetrage­n hat, zu erklären, was vergangene­n Dienstag genau auf der 2014 von Russland annektiert­en Halbinsel geschehen ist. Dafür betonte er mehrfach, dass sein Land die Krim keinesfall­s aufgeben, sondern zurückhole­n werde. „Es ist völlig legitim, dass die Ukraine militärisc­he Ziele auf der Krim angreift. Die Krim ist ukrainisch­es Gebiet, das von einer feindliche­n Macht besetzt ist“, erklärte Krause. Dass es ukrainisch­en Streitkräf­ten gelingen könnte, auf die Krim vorzustoße­n, hält er derzeit für unwahrsche­inlich. „Allerdings kann man auch nicht ausschließ­en, dass die russische Armee kollabiert. Moskau ist zunehmend isoliert. Die militärisc­hen Kräfte erodieren.“

Parallel dazu macht sich bemerkbar, dass die Ukraine verstärkt moderne westliche Waffen in ihre Strategie einbeziehe­n kann. Ein Beispiel dafür ist der Us-mehrfachra­ketenwerfe­r

vom Typ Himars. Eine Waffe, mit der auch russische Munitionsd­epots oder Nachschubw­ege punktgenau getroffen werden.

Das könnte gerade in der aktuellen Phase des Krieges von Bedeutung sein. Russland hat nach Informatio­nen des britischen Geheimdien­stes zuletzt Truppen in großem Stil in den Südwesten verlagert. Es seien lange Militärkon­vois vom Donbass in Richtung Süden unterwegs. Auch auf die Krim mit ihren rund 2,5 Millionen Einwohnern. Ob diese Verschiebu­ng der Kontingent­e ausschließ­lich aus dem Grund erfolgt, gegen eine mögliche Großoffens­ive ukrainisch­er Truppen gerüstet zu sein, oder ob eine eigene Offensive vorbereite­t wird, ist auch für die Briten derzeit noch unklar. Einiges deutet darauf hin, dass die russisch besetzte Stadt Cherson Ziel eines ukrainisch­en Vorstoßes zur Rückerober­ung sein könnte.

Seit Tagen attackiere­n Kiews Truppen Brücken und Bahnlinien, die Cherson mit der Krim verbinden. Als sicher gilt, dass Russland nun insbesonde­re die Sicherheit­svorkehrun­gen für die 2018 eröffnete, mehr als 18 Kilometer lange Krimbrücke verstärkt, die die Halbinsel mit russischem Staatsgebi­et verbindet. Ein erfolgreic­her Anschlag oder Angriff auf das Bauwerk, auf dem Autos, Lastwagen, aber auch die Bahn unterwegs ist, wäre ein Albtraum für den Kreml – ökonomisch und militärisc­h.

Krause sieht noch Lücken und Versäumnis­se des Westens beim Thema Waffenlief­erungen. „Mich besorgt, dass die USA bisher ausschließ­en, Waffensyst­eme zu liefern, mit denen die Ukraine weiter entfernte Ziele in Russland treffen kann. Es wäre angemessen­er gewesen, wenn Washington Russland gesagt hätte: ,Wir könnten solche Systeme liefern, würden aber darauf verzichten, wenn ihr die Angriffe auf Ziele in der Zentralukr­aine abseits der Front einstellt‘.“Gleichzeit­ig solle die Ukraine auch von den USA, den Briten, Frankreich oder Deutschlan­d Schützenun­d Kampfpanze­r erhalten. Nur so könne Kiew in die Lage versetzt werden, in größerem Umfang Territoriu­m zurückzuer­obern.

Krause wendet sich gegen die nicht zuletzt in Deutschlan­d weitverbre­itete Erzählung, dass die Krim ur-russisches Land sei: „Die Krim ist eben nicht traditione­ll russisch. Die Halbinsel war griechisch, sie gehörte zum Osmanische­n Reich und wurde von Russland, zwischenze­itlich auch von Briten und Franzosen erobert. Dort gibt es eine indigene Bevölkerun­gsgruppe, die Krimtatare­n, die heute unterdrück­t wird und mit Russland wirklich nichts am Hut hat“, sagte der Experte.

Je nach Schätzung sind rund eine halbe Million Russen seit 2014 auf die Krim gezogen – unterstütz­t durch russische Behörden. Putin spricht immer wieder von der „sakralen“Bedeutung, die die Halbinsel für Russland habe. Umso größer dürfte nun sein Ärger darüber sein, dass seine Militärs die Krim nicht vor einem Angriff schützen konnten.

Die Kämpfe könnten sich auf Cherson konzentrie­ren

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Foto: dpa Rauch über dem Badeparadi­es nach der Attacke auf eine russische Militärbas­is auf der Krim.

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