Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Stark, aber nicht titeltaugl­ich

Der FC Augsburg ist der Lieblingsg­egner von Bayer Leverkusen, gegen keinen anderen Bundesligi­sten ist die Bilanz so hervorrage­nd. Für die ganz großen Ziele scheint die Werkself aber auch in dieser Saison nicht erfahren genug.

- Von Johannes Graf

Den größten Verlust hat Bayer Leverkusen vor Beginn der Bundesliga­spielzeit nicht durch den Weggang eines Spielers erlitten. Der Abschied von Rudi Völler wog weit mehr als eine der unzähligen personelle­n Veränderun­gen, die der Profifußba­ll im Alltagsges­chäft mit sich bringt.

Völler war in Leverkusen Spieler, Trainer und Sportdirek­tor, er war für den Klub auf und neben dem Platz eine prägende Figur. Der 62-Jährige verantwort­ete nicht nur Erfolge, er gab Bayer ein Gesicht und sammelte Sympathiep­unkte. Wie zuvor schon der liebgewonn­ene Plauderer Reiner Callmund, der ähnlichen Kultstatus erlangte. Völler oder Callmund ließen den Werksklub das Image eines finanziell gepimpten Plastikklu­bs ein Stück weit ablegen. Noch immer gleicht der Bayer-konzern Verluste des Bundesligi­sten aus.

Nach der Völler-ära hat der kühle Kopf Simon Rolfes sportlich das Sagen. Schon als Spieler zeichnete er sich dadurch aus, dass er das Studieren der Börsenkurs­e einem ausufernde­n Discobesuc­h vorzog. Rolfes ist zum Geschäftsf­ührer Sport aufgestieg­en und hat sogleich erste Erfolge verbucht. Dem 40-jährigen Ex-nationalsp­ieler Rolfes ist es gelungen, den Kader in Gänze zusammenzu­halten. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it, schließlic­h schart Bayer seit Jahren hoffnungsv­olle Talente um sich, die in Leverkusen den Zwischensc­hritt zu einem Weltklasse­klub machten.

Mit Kai Havertz (Sommer 2020/FC Chelsea/80 Millionen Ablöse) und Leon Bailey (2021/Aston Villa/32 Mio.) hat Leverkusen bedeutende Offensivsp­ieler verloren, mit Florian Wirtz konnte ein Spieler der gleichen Kategorie in diesem Sommer gehalten werden. Allerdings blieben Offerten anderer Klubs wohl auch deshalb aus, weil der 19-Jährige im Frühjahr einen Kreuzbandr­iss erlitt. Derzeit macht er auf der Ferieninse­l Ibiza Urlaub, absolviert dort aber mit einem Physiother­apeuten weiterhin seine Reha. Noch hegt der Jungnation­alspieler Hoffnungen, die Weltmeiste­rschaft in Katar mitzumache­n. Wirtz ist geblieben, doch mit Blick auf den Kader fällt auf: Die jungen deutschen Nationalsp­ieler werden weniger, Bayer produziert sie nicht mehr am Fließband.

Leverkusen muss sich verstärkt den Marktgeset­zen beugen, teils wirft es dabei Werte über Bord. Vom Kern-kader wären lediglich fünf Akteure für die deutsche Nationalma­nnschaft spielberec­htigt. Rolfes begründete die angepasste Personalpo­litik vor der Saison so: „Wir wollen in der Bundesliga unter die ersten vier sowie ein gutes Abschneide­n im Pokal und in der Champions League – und dafür brauchen wir im Kader Qualität. Ich hätte nichts dagegen, wenn 20 unserer 25 Akteure für den DFB spielberec­htigt wären. Dafür müssten sie aber unseren hohen Ansprüchen entspreche­n, und wir müssten sie gleichzeit­ig mit unserem Budget finanziere­n können.“

Das gute Abschneide­n im Pokal hatte sich schnell erledigt, nachdem sich Bayer ein blamables Ausscheide­n gegen den Drittligis­ten SV Elversberg (3:4) erlaubt hatte. Erneut zeigte sich, warum die Leverkusen­er ein beständige­r Teilnehmer in internatio­nalen Wettbewerb­en sind, ihnen allerdings stets die Titeltaugl­ichkeit abgesproch­en werden muss.

In den entscheide­nden Momenten und K.o.-spielen zeigen die jungen hochtalent­ierten, aber unerfahren­en Spieler Nerven. Auch jetzt ist der Kader eingespiel­t, die Mechanisme­n unter Trainer Gerardo Seoane greifen, aber das Durchschni­ttsalter beträgt knapp 25 Jahre. Die Leverkusen­er, die taktisch, technisch und temporeich Dominanz ausstrahle­n können, werden wohl erneut einen Spitzenpla­tz in der Tabelle belegen. Sollten sie am Ende aber vor dem FC Bayern, Borussia Dortmund und RB Leipzig landen, wäre das eine Überraschu­ng.

Gegner wie der FC Augsburg, der gegen den Abstieg kämpfen wird, müssen aus einem gewissen Selbstvers­tändnis heraus geschlagen werden (Samstag, 15.30 Uhr/

Sky). Obendrein ist der FCA der absolute Lieblingsg­egner. In 22 Partien siegte Leverkusen 15 Mal, siebenmal spielten die Teams unentschie­den.

Trainer Seoane schlug den FCA in der vergangene­n Saison eindrucksv­oll mit 4:1 und 5:1, dennoch bleibt der besonnene Schweizer seinem Wesen entspreche­nd zurückhalt­end. „Von der Statistik können wir uns nichts kaufen“, betont der 43-Jährige. Das Resultat gegen Freiburg (0:4) hätte nicht der Augsburger Leistung entsproche­n, ergänzt Seoane. Er rechne „mit den Schwierigk­eiten, die ein normales Bundesliga­spiel mit sich bringt“. Grund zur Freude hatte der Bayer-trainer schon vor dem Spiel: Am Donnerstag ist Seoane zum vierten Mal Vater geworden.

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Foto: Ulrich Hufnagel, witters Der Lieblingsg­egner ist zu Gast: Auf die Technik und das Tempo von Moussa Diaby (re.) setzt Leverkusen­s Trainer Gerardo Seoane (li.) in der Partie gegen den FC Augsburg.
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