Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das klingt doch wie: Rymden!
Wer sich bei diesem Trio an e.s.t. erinnert fühlt, hatte diesmal wirklich allen Grund. Mit Dan Berglund, Magnus Öström und Bugge Wesseltoft ging ein hochkarätiger Jazzsommer zu Ende. Das nährt Erwartungen für die Zukunft.
Eigentlich sollte diese Kritik diesmal anders beginnen. Nicht wieder mit dem längst abgedroschenen Vergleich mit e.s.t., dem Esbjörn Svensson Trio, dem seit dem Unfalltod des Namensgebers 2008 immer noch Heerscharen von Fans hinterhertrauern. Obwohl zwei Drittel des legendären, bahnbrechenden Trios, dem es einst gelang, Jazz, Rock, Klassik und Pop zu versöhnen, jetzt das Fundament der aktuellen Band bilden, sollte es einzig und allein um Rymden gehen. Um ein nicht mehr ganz so neues, dafür fast genauso bahnbrechendes Trio. Sollte…
Aber dann ertönt gleich zu Beginn im Botanischen Garten dieser ostinate Basslauf von Dan Berglund, das unverwechselbare Shuffle-drumming von Magnus Öström – und die alten Songs beginnen plötzlich wieder im Kopf zu laufen: „From Gagarin’s Point Of View“, „Behind The Yashmak“, „Stange Place For Snow“. Auch der Pianist spielt einen Esbjörn-gedenk-akkord nach dem anderen, obwohl gerade er den Unterschied zu früher ausmachen sollte. Bugge Wesseltoft bedient neben dem Bechstein-flügel nämlich ein Fender Rhodes E-piano, einen Moog, eine Celesta sowie andere Preziosen aus der elektronischen Trickkiste. Dennoch schwebt der Geist des alten Freundes unverkennbar über diesem Opener, der den kryptischen Namen „The Life And Death Of Hugo Drax“trägt, angelehnt an den größenwahnsinnigen Schurken aus dem James-bondstreifen „Moonraker“. Kellertiefer Bass, stoisch wummernder Rhythmus, dann dramatische, wellenförmige Spannungsbögen.
Wenn man so will, ist „Space Sailors“, das zweite Stück des unfreiwilligen Abschlusskonzerts des Augsburger Jazzsommers (die Band musste den ursprünglich geplanten Auftritt vor gut zwei Wochen wegen einer Corona-erkrankung Öströms verschieben), dann doch irgendwie Rymden (schwedisch für „Raum“). Bugge Wesseltofts Synthie quietscht, pfeift und schrammt, Drums und Bass arbeiten wie eine Maschine. Immerhin stammen Wesseltoft, Berglund und Öström aus einer Zeit, in der Bond, „Star Wars“, Black Sabbath, Led Zeppelin, Pink Floyd oder Tangerine Dream zu den prägenden Einflüssen gehörten. Es war eine Ära, die heute den vergilbten Stempel „Retro“trägt und deren mystischer Zauber sich augenscheinlich nur ihrer Generation erschließt. 2022 aber steht diese Synthese aus Heavy Metal, Progrock, Psychedelic, Fusion, Krautrock, modernem Swing und feinen Aromen nordischer Folklore, geschickt verwoben mit Action-märchen, für den aktuellen Rymdensound: abenteuerlustig, brachial, nuancenreich. Die perfekte Spielwiese für ein Triumvirat großer Jungs mit grauen oder wenigen Haaren, alle zwischen 57 und 59, die mit derselben Leidenschaft ans Werk gehen wie eine Schülerband, nur eben weitaus virtuoser, erfahrener und professioneller.
Das Besondere an Rymden sind die Kontraste. Unmittelbar nach der lärmenden Lawine folgt mit „Söndan“eine reduzierte, fast zärtliche Ballade, ein extrem zurückgenommenes Stück, bei dem sich alle drei scheinbar auf Zehenspitzen durch die Taktstriche bewegen. Es sind ästhetische Meilensteine, ziemlich nahe dran an dem, was Puristen gerne unter dem Terminus „Jazz“verstehen wollen, obwohl es sich bei Lichte betrachtet eigentlich im besten Wortsinn nur um Songs von schlichter, ungeschminkter Schönheit handelt. Zwei, drei Akkorde, ein bisschen variiert, dazu ein simpler, tickender Basslauf und das kaum hörbare Rauschen der Besen – schöner hätte man den aufgehenden Vollmond über dem Rosenpavillon garantiert nicht begrüßen können.
Natürlich kennt jeder längst diesen Sound. Magnus Öström und Dan Berglund besitzen spätestens seit ihrer Zeit bei e.s.t. eine unverwechselbare Handschrift, die man überall sofort identifizieren kann. Die Bandbreite der beiden Schweden umfasst ein gewaltiges Spektrum an Genres, ohne dabei in Belanglosigkeit abzudriften. Im Prinzip entspricht das dem Grundprinzip des Jazz: die Freiheit, das zu tun, was einem gerade gefällt. Öström verwandelt sich innerhalb von Sekunden vom krachenden, brettharten Metal-drummer zum sensiblen Stepptänzer auf den Fellen, während Berglunds hölzerner Korpus wieder mehr wie ein Kontrabass und nicht mehr wie eine Gitarre klingt. Bestes Beispiel: Die mit dem Bogen ausgeführte Eröffnung von „My Life In A Mirror“gelingt ihm formidabel, bevor das Thema in eine melancholische Melodie auf dem Elfenbein und einen joggenden Beat auf dem Schlagzeug hinübergleitet. Bugge Wesseltoft, der norwegische Pionier des elektronischen Jazz, passt mit seinen Soundflächen und behutsamen Klavierläufen perfekt in dieses frische Konzept. Weil er Räume schafft für alles, was im weiten Feld zwischen Jazz, Rock und Klassik tönt.
Im Kanon der Konzerte des 30. Augsburger Jazzsommers nimmt das Gastspiel von Rymden sicherlich einen ganz besonderen Platz ein. Zwar blieben einige Stühle wegen der Terminverschiebung unbesetzt. Die, die gekommen waren, belohnten die intensive, faszinierende Darbietung aber mit teilweise stehenden Ovationen. Der gelungene Abschluss eines Jubiläumsfestivals, das wegen prominenter Namen wie John Mclaughlin, Kenny Garrett oder Hermeto Pascoal die Latte für künftige Programme doch recht hoch legt. Natürlich geht es auch im kommenden Jahr wieder um Verfügbarkeiten der Künstlerinnen und Künstler und selbstverständlich um eine gewisse finanzielle Ausstattung. Aber die durchwegs positive Publikumsresonanz sollte die Stadt ermutigen, den bisherigen Kurs auf jeden Fall beizubehalten. Denn die Jazzkonzerte im Botanischen Garten besitzen inzwischen ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in Deutschland, ja in ganz Europa. Stimmungsvoller geht es nicht! Da würde man gerne auch ein Regencape oder einen Schirm in Kauf nehmen, um bei schlechtem Wetter nicht mehr in das schnöde, ungastliche Gewächshaus ausweichen zu müssen.