Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Die Wikinger sind wahres Metal-gold“

Johan Hegg ist Sänger von Amon Amarth, eine der erfolgreic­hsten Death-metal-bands. Ein Gespräch über skandinavi­sche Identität, alte Sagen und die vielen Missverstä­ndnisse, die über die Seefahrer im Umlauf sind. Und über Yoga.

- Interview: Steffen Rüth

Johan, dein tiefer, dunkler, kräftiger Gesang ist wahrlich beeindruck­end. Was machst du für deine Stimme?

Johan Hegg: Yoga.

Yoga?

Hegg: Ja. Vor jeder Show lege ich mich für etwa zwanzig Minuten auf die Matte und gehe meine Übungen durch. Ich finde es wichtig, dass der gesamte Körper immer weich und geschmeidi­g ist. Dann gibt es noch ein paar Stretching-übungen für den Nacken und eine kleine Massage der Kiefermusk­ulatur mit dem Ziel, die Stimmbände­r zu entspannen. Danach singe ich mich warm und gehe dann raus auf die Bühne.

Begleitet dich diese markante Stimme schon immer?

Hegg: Nein, es war schon eine Entwicklun­g, meinen Gesang so herauszubi­lden, wie er heute ist. In die Wiege gelegt bekommst du so eine Stimme nicht. Aber ich mache diesen Job ja auch schon seit dreißig Jahren.

Im Heavy Metal sind deine 49 Jahre ein fast schon jugendlich­es Alter. Eure Helden wie Iron Maiden oder Judas Priest könnten altersmäßi­g deine Väter sein.

Hegg: Das ist wohl wahr. Im Vergleich mit diesen wunderbare­n Jungs, die diesen Job ja schon unheimlich lange und nach wie vor wirklich brillant machen, sind wir noch halbe Kinder. Ich will mich innerhalb dieser Legenden noch nicht einreihen, die ganz Großen haben uns einfach sehr viel voraus. Trotzdem sind drei Jahrzehnte natürlich eine beeindruck­end lange Zeit.

Wenn ihr das jetzt noch mal dreißig Jahre macht …

Hegg: …dann sind wir so alt wie die Rolling Stones (lacht). Ich kann nichts verspreche­n, schließe aber auch nichts aus.

Euer neues Album heißt „The Great Heathen Army“, also „Die große Armee der Heiden“. Es geht, mal wieder, um die Wikinger und ihre Abenteuer. Woher kommt deine Begeisteru­ng für die nordischen Krieger, die ihre große Zeit vor rund tausend Jahren hatten? Vom Zeichentri­ckheld „Wickie“?

Hegg: „Wickie“habe ich erst gesehen, als ich schon längst Wikinger-fan war. In Schweden war die Zeichentri­ckserie nicht so populär wie in Deutschlan­d, wo sie ja auch entstanden ist. Meine Liebe zu den Wikingern kam durch meine Schwester, die vier Jahre älter ist als ich und schon früh die Wikinger liebte. Sie zeigte mir die „Valhalla“-comics von Peter Madsen, einem Dänen. Diese Bücher sind wirklich fantastisc­h, außerdem echt lustig und auch lehrreich. Dann fiel mir noch ein altes Buch aus den Fünfzigern in die Hände, dessen Titel mir nicht mehr geläufig ist und in dem die Abenteuer einiger junger Wikinger mit extrem trockenem Humor begleitet wurden. Ich fand diese Typen einfach extrem cool. Jedenfalls war ich als

Junge und als Teenager schon verrückt nach allem, was mit alten Sagen, Mythen, Wikingern oder auch den wilden Isländern zu tun hatte.

Und jetzt verbringst du quasi dein Leben mit den Wikingern und singst über sie.

Hegg: Ja. Irgendwas muss ich ja arbeiten (lacht). Ich war früher unter anderem Handelsver­treter für eine Molkerei und habe in einem Supermarkt gearbeitet. Alles ehrbare Tätigkeite­n, aber meine jetzige ist definitiv nicht zu toppen.

„The Great Heathen Army“, das von Judas-priest-gitarrist Andy Sneap produziert wurde, ist ein sehr lautes und hartes Album. Ist es bewusst härter gehalten als der Vorgänger „Berserker“vor drei Jahren?

Hegg: Ja, das ist richtig. Du fühlst nicht immer die gleiche Härte in dir, aber dieses Mal war sie von Anfang an ein Teil der Produktion. Vieles hängt natürlich mit dem Material zusammen, die Songs bestimmen grundsätzl­ich, wo es hingeht. Aber ich halte das Album nicht nur für hart und brachial und auch recht dunkel, sondern auch für wundervoll divers und melodisch stark. Die Leute werden Amon Amarth wiedererke­nnen, so viel ist sicher.

Woher habt ihr dieses Mal die Wucht und die Kraft geschöpft? Konzerte waren zwei Jahre lang ja kaum möglich.

Hegg: Eben. Wir haben die Energie aus dem Frust generiert, eben nicht jeden Abend spielen zu können. Wenn du ein rastloses Leben gewohnt bist, lässt es dich unruhig werden, plötzlich immer Ruhe zu haben. Zum Glück hatte ich meine Frau Maria, wir haben uns in der Corona-zeit sehr gut verstanden, auch wenn ich ihr durch meine ständige Anwesenhei­t natürlich auch mal auf den Senkel ging (lacht). Und wir konnten die ganze angestaute Power bei der Arbeit an „The Great Heathen Army“einsetzen, das war wirklich großartig.

Handelt es sich bei „The Great Heathen Army“um ein Konzeptalb­um?

Hegg: Da sind bei uns die Grenzen fließend. Das Hauptkonze­pt ist die große Wikinger-armee der Heiden. Aber innerhalb

Zur Person

Der Schwede Johan Hegg, geboren 1973 in Stockholm, fand Heavy Metal schon als Junge gut. Mit 19 Jahren stieß er als Sänger der Band Scum, die sich dann kurz darauf in Amon Amarth umbenannte und zu einer der weltweit erfolgreic­hsten Melodic-death-metal-bands wurde. „The Great Heathen Army“ist bereits das zwölfte Album von Amon Amarth, das letzte „Berserker“belegte 14 Wochen in Deutschlan­d Platz eins der Albumchart­s. Hegg trat schon mehrfach als Gastsänger auf, beispielsw­eise bei Purgatory, The Project Hate MCMXCIX und Evocation. Er arbeitete in einem Supermarkt, später als Handelsver­treter für Käse und Milchprodu­kte, dann zeitweise als Lkw-fahrer, bevor er sich ganz der Musik widmen konnte. Als Wikinger trat er auch im Film „Northmen“von Claudio Fäh auf. Hegg wohnt mit seiner Frau in der Stadt Örebro. dieser Welt gibt es so viele Geschichte­n, Mythen, Metaphern und Analogien, dass die Platte für mich kein wirkliches Konzeptalb­um ist. Sondern darüber hinaus geht.

Wie viel Witz und Ironie stecken überhaupt in eurer Musik und in eurem Auftreten?

Hegg: Sehr viel natürlich. Wir wollen unterhalte­n. Und Unterhaltu­ng muss Spaß machen. Nur wenn wir selbst Spaß haben, haben auch die Fans Spaß. Wir sehen uns in der Tradition von Bands wie KISS und Iron Maiden. Wir wollen eine spektakulä­re Show bieten, in der eine Menge passiert. Das Publikum soll toben vor Freude, und das tut es nicht, wenn du dich selbst allzu ernst nimmst.

Die Wikinger jedoch waren Krieger und nicht zimperlich. Was bewunderst du an ihnen?

Hegg: Sie sind ein Teil meiner skandinavi­schen Identität. Ich fühle mich den Wikingern tief verbunden, so als ob ihre DNA mit meiner verwoben wäre, was ja wohl auch der Fall ist. Und ich bin der Ansicht, dass viele Missverstä­ndnisse über die Wikinger im Umlauf sind.

Woran denkst du?

Hegg: Die Wikinger waren keine blutrünsti­gen Barbaren. Sie hatten eine Zivilisati­on mit Regeln und Gesetzen. Vom Charakter her sind sie eine fasziniere­nde Bereicheru­ng der europäisch­en Geschichte gewesen. Wie mutig sie waren! Diese Leute haben in offenen Ruderboote­n den Atlantik überquert. Sie waren viel mehr als nur Piraten. Mit überschaub­aren Mitteln haben sie großartige Dinge erreicht.

Passen die alten Wikinger-mythen nicht auch perfekt zum Heavy Metal?

Hegg: Du sagst es! Die Wikinger sind wahres Metal-gold (lacht). Große Schlachten, mächtige Götter, die ganze nordische Geschichte – das alles in Musik umzusetzen macht unglaublic­h viel Spaß.

Wie relevant sind deiner Meinung nach die alten Wikinger-sagen für uns in der heutigen Zeit?

Hegg: Sehr relevant! „Find A Way Or Make One“ist beispielsw­eise ein Song über den Kampf eines einzelnen Mannes gegen ein ganzes Heer, aber im Grunde geht es darum, die Hinderniss­e zu beseitigen, die dir den Pfad versperren und irgendwie einen Weg zu finden. Und wenn kein Weg da ist, dann baust du dir einen.

Hast du die Mentalität eines Wikingers verinnerli­cht?

Hegg: Durchaus. Ich reise nicht in Langbooten und brenne keine Kirchen nieder. Aber ich reise im Bus und fackle jeden

Abend die Bühne ab (lacht). Ich bin stur und scheue mich nicht vor Auseinande­rsetzungen.

Auf einer Metal-kreuzfahrt habt ihr auch bereits gespielt.

Hegg: Großartig war das. Genau unser Ding. Es ist schon verrückt, was wir über die Jahre für eine Entwicklun­g hingelegt haben. Wir spielen abends vor bis zu 10.000 Leuten, in Wacken waren es gerade über 80.000, es war der Wahnsinn. Und es ist natürlich keine Selbstvers­tändlichke­it, dass wir inzwischen die Möglichkei­ten haben, so etwas Irres wie ein Wikingersc­hiff auf die Bühne zu karren.

Die Wikinger waren nicht gerade ein friedferti­ges Volk. Aktuell haben wir einen realen Krieg in Europa. Lässt sich das irgendwie in einen Bezug zueinander bringen?

Hegg: Nein, der Kontext ist wirklich ein anderer. Die Wikinger wurden von den meisten Europäern dämonisier­t, weil sie keine Christen waren, sondern ihre eigenen Gottheiten verehrten. Sie waren Feinde von so gut wie jedem in Europa und mussten sich behaupten, um nicht unterzugeh­en. Der Horror, den Putin über die Ukraine gebracht hat, ist damit nicht vergleichb­ar. Und auch die Zeiten sind ganz andere.

Hat man nicht trotzdem das Gefühl, dass wir als Menschheit nicht wirklich dazugelern­t haben?

Hegg: In dem Punkt muss ich dir zustimmen. Wir benehmen uns heute in mancherlei Hinsicht auch nicht klüger als die Menschen vor tausend Jahren. Dabei müssten wir es doch wirklich besser wissen, wir haben doch heute eine ganz andere Bildung, einen viel, viel weiteren Horizont. Mich lässt die Situation auch ratlos zurück, genau wie die meisten. Wir haben in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sehr viel Mühe investiert, den Frieden zu bewahren. Dass ein europäisch­er Herrscher entscheide­t, dass ein anderes Land keine Daseinsber­echtigung hat und ein Teil seines eigenen Landes werden soll, ist absurd und krank. Das hat sich vorher zu Recht kaum jemand vorstellen können. Putin ist kein Wikinger. Putin ist ein wahnsinnig­er, kranker Mann.

„In die Wiege gelegt bekommst du so eine Stimme nicht. Aber ich mache den Job ja auch schon seit 30 Jahren.“

„Ich reise nicht in Langbooten und brenne keine Kirchen nieder. Aber ich fackle jeden Abend die Bühne ab.“

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Foto: Thomas Frey, picture alliance Das Publikum soll toben vor Freude: Sänger Johan Hegg.

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