Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wie hoch ist mein Risiko, an Brustkrebs zu erkranken?
Bei manchen Genveränderungen wächst die Gefahr für Tumorerkrankungen. Auch Männer können betroffen sein. Warum eine Beratung so wichtig ist. Eine Ärztin der Universitätsklinik Augsburg klärt auf.
Brustkrebs ist eine häufige Diagnose: Etwa jede achte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an diesem Tumor. Bei bis zu zehn Prozent aller Fälle steckt eine nachweisbare Genveränderung dahinter, heißt es bei der Deutschen Krebsgesellschaft. Was bedeutet es für Patientinnen, wenn bei ihnen eine solche vererbbare Mutation festgestellt wird? Die Augsburger Brustkrebsspezialistin Prof. Dr. Nina Ditsch berichtet aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Beratung von Patientinnen und auch von Patienten.
Die Schauspielerin Angelina Jolie hat sich beide Brüste amputieren lassen, da sie wegen ihrer Gene ein stark erhöhtes Brustkrebsrisiko hatte. Wie war Ihre Reaktion, als Sie davon gelesen haben?
Prof. Dr. Nina Ditsch: Ich fand das sehr gut für unsere Patientinnen. Manche haben sich dadurch noch einmal mit dem Thema auseinandergesetzt und gesagt: Jetzt hat Angelina Jolie diesen Schritt gewagt, jetzt traue ich mich auch. Früher war erblicher Brustkrebs in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Frauen wurden verurteilt, wenn sie sich prophylaktisch die Brüste entfernen ließen. Leider hat das Outing von Angelina Jolie aber auch bewirkt, dass Frauen prophylaktisch eine Amputation beider Brüste durchführen lassen wollten, obwohl keine Indikation bestand.
Inwiefern?
Ditsch: Es gibt bestimmte familiäre Risikokonstellationen, die mit einem erhöhten Risiko für einen Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs einhergehen. Bestehen diese Risiken nicht und wurde keine genetische Veränderung nachgewiesen, besteht im Regelfall keine Indikation einer prophylaktischen Operation, also der Entfernung gesunder Organe, hier Brust- und Eierstöcke beziehungsweise Eileiter. Man darf das Komplikationsrisiko bei solchen Operationen allerdings nicht unterschätzen. Deshalb umfasst eine Beratung in unserer Sprechstunde immer mehrere Gespräche, um den Risikobereich festzulegen und eine adäquate Lösung zu finden.
Ist man nach einer Amputation vor Brustkrebs sicher?
Ditsch: Nein. Aber das Risiko ist verglichen mit dem Risiko, das man vorher hatte, verschwindend gering. Um die Frauen hinsichtlich ihrer Einschätzung, Ängste und Wünsche bei sich selbst abzuholen, frage ich auch, was für ein Typ Mensch sie sind. Es gibt Menschen, die mit einer regelmäßigen Überwachung der Brust bei hohem Risiko sehr gut leben können. Es gibt aber auch andere. Zum Beispiel stellte sich eine 25-Jährige in meiner Sprechstunde vor, deren Schwester an Brustkrebs gestorben war und die sich deshalb beide Brüste amputieren lassen wollte. Die Frau war gesund, es bestätigte sich aber, dass sie dieselbe Genveränderung geerbt hatte, die bei der Schwester Brustkrebs verursacht hatte. Daher war für sie klar, dass sie nur den Weg der prophylaktischen Brustentfernung wählen würde. Aus ärztlicher Sicht war dieser Weg gut nachvollziehbar, da sie sehr gut aufgeklärt und informiert war und daher wusste, worauf sie sich einlässt. Zur umfassenden Aufklärung gehört auch die umfassende, ehrliche Aufklärung zu Komplikationen und Folgeschäden. Ich habe damit nur vereinzelt Frauen erlebt, die ihre Entscheidungen bereut haben.
Wem würden Sie einen Gentest empfehlen?
Ditsch: Dazu gibt es definierte Kriterien, die zum Beispiel auf den Seiten der Deutschen Krebsgesellschaft im Internet festgehalten sind. Allgemein ist das Risiko für eine Genmutation vor allem dann hoch, wenn man sehr jung erkrankt und mehrere Fälle in der Familie hat – egal von welcher Seite, also mütterlicher- oder väterlicherseits. Wichtig ist auch, auf die Empfehlungen für Männer zu achten: Bei bestimmten Genveränderungen, zum Beispiel BRCA2, können sie ebenfalls deutlich häufiger an Brustkrebs erkranken.
Was heißt eigentlich „Fälle in der Familie“? Bin ich auch schon vorbelastet, wenn eine Tante oder Oma Brustkrebs hatte?
Ditsch: Zunächst geht es um die direkten Verwandten über drei Generationen. Daher wird in der Spezialsprechstunde ein Stammbaum erstellt. Die veränderten Gene werden zu 50 Prozent an Töchter und/ oder Söhne vererbt. Dies ist über die Mutter oder auch den Vater möglich. Viel zu oft wird die väterliche Seite vernachlässigt, da Männer sehr viel seltener als Frauen an Brustkrebs erkranken.
Was weiß man über die wichtigsten Risikogene?
Ditsch: Es gibt verschiedene Hochrisikogene. Am längsten bekannt und am besten erforscht sind BRCA1 und 2. Bei Veränderungen in diesen Genen liegt das Risiko, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu erkranken, bei bis zu 70 Prozent. Daneben kann es viele weitere Mutationen geben, manche davon bedeuten ein moderates, andere ein niedriges Risiko. Einige kann man auch noch nicht allumfassend einschätzen. Inzwischen versucht man bei der Genanalyse, viele verschiedene Faktoren mit einzubeziehen, um den sogenannten polygenen Risikoscore zu berechnen. Das wird in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen.
Die Beratung sollte also möglichst individuell sein?
Ditsch: Ja, und man muss sich auch Zeit nehmen. Das Thema ist so schwierig und kompliziert und bedarf einer ausführlichen Erklärung. Deshalb rate ich: Gehen Sie dahin, wo sich jemand damit auskennt, also in Spezialzentren für erblichen Brust- und Eierstockkrebs. Hier in Augsburg gibt es bereits eine Spezialsprechstunde. Im sogenannten Tumordispositionsboard werden die Befunde gemeinsam von Klinikern und Genetikern diskutiert und bewertet. Ich möchte, dass sich hieraus für die Region eine bessere Versorgung zu Beratung, Früherkennung und auch prophylaktischen Maßnahmen ergibt, die unseren Patienten weite Wege erspart.
Braucht man eine Überweisung, wenn man zu Ihnen will?
Ditsch: Ja, bitte sprechen Sie sich mit Ihrem Fach- oder Hausarzt ab, der diese ausstellt.
Wie reagieren Patienten, wenn sie die Nachricht bekommen, dass sie ein hohes Risiko haben? Ist das nicht ein Albtraum?
Ditsch: Nein. Es kommt immer darauf an, wie Sie beraten werden. Abgesehen davon wissen die meisten, die sich bei uns vorstellen, im Grunde schon, dass sie ein besonderes Risiko haben. Wenn es viele Fälle in der Familie gegeben hat, kann man das ahnen. Im Prinzip wird oft nur ein dringender Verdacht bestätigt, der aber dann auch eine adäquate Betreuung und verbesserte Versorgung ermöglicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich sowohl gesunde Ratsuchende als auch Erkrankte besser aufgehoben fühlen, da damit ein strukturiertes Vorgehen wie auch ein „Kümmern“möglich ist. Man fühlt sich nicht mehr alleine.
Sie machen also oft die Erfahrung, dass die Leute Bescheid wissen wollen?
Ditsch: Unsere Sprechstunde ist sehr gut besucht, was dafür spricht. Die Leute, die es nicht wissen wollen, sehen wir in den Sprechstunden nicht. Eine Beratung, gerade auch wenn man bezüglich des Risikos unsicher ist, macht in jedem Fall Sinn. Man hat danach immer die Wahl, einen genetischen Test durchführen zu lassen. Manchmal kann bereits nach der Beratung das Risiko für das Vorliegen einer vererbten pathogenen, also krankhaften, Veränderung als so niedrig eingestuft werden, dass der Test gar nicht notwendig ist. Und man darf auch nicht vergessen, dass das Risiko der Vererbung bei 50 Prozent liegt. Damit hat man zu 50 Prozent auch die Möglichkeit, dass das hohe Risiko nicht vererbt wurde.
Was kann eine Frau mit erhöhtem Risiko denn noch tun, um sich zu schützen? Bringt es etwas, auf die Ernährung zu achten?
Ditsch: Dazu gibt es Studien. Man hat bereits in ersten Auswertungen gesehen, dass sich mediterrane Ernährung und Sport positiv auswirken. Interview: Angela Stoll