Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Festivals werden immer mehr zum Luxus“

Absagen, Personalpr­obleme, steigende Preise: Während der Festivalsa­ison läuft lange nicht alles so glatt, wie es den Anschein hat. Die Zeiten für die Veranstalt­ungsbranch­e scheinen noch härter zu werden.

- Von Laura Wiedemann

Noch bevor die letzte Bierdose zum Pfandautom­aten gebracht ist und das Zelt wieder zusammenge­baut im Keller steht, kaufen eingefleis­chte Fans von Musikfesti­vals ihr Ticket fürs nächste Jahr. Diesmal führt das bei manchem Gast zu Erstaunen und sogar Ärger. „Die Preise jetzt genauso teuer wie die letzte Preisstufe von 2022. Genau mein Humor“, schreibt ein Facebook-nutzer zum gestartete­n Vorverkauf für das Ikarus-festival 2023 in Memmingen.

Auch die ersten Karten für das Brass Wiesn-festival in Eching sind etwa eine Woche nach dem Ende der diesjährig­en Veranstalt­ung im Verkauf. 79 Euro kostete ein Vier-tages-festivalpa­ss für Frühbucher 2019, jetzt sind es 149 Euro in derselben Kategorie. Teile der Facebook-gemeinde des Festivals schreiben: „Ja spinnst du, is’ des teuer“oder „Ist das der Dank, dass man euch zwei Jahre lang die Treue gehalten hat“. „Ganz ehrlich: 199 Euro, 219 Euro bzw. 239 Euro ohne irgendeine Band zu droppen. Ganz schön schwach“, schreibt eine Besucherin des Southsidef­estivals in Neuhausen ob Eck (Baden-württember­g). Sie überlege nun, nach 22 Jahren die Veranstalt­ung nicht mehr zu besuchen.

„Festivals werden immer mehr zum Luxus“, sagt Simon Piontek, Marketingl­eiter bei der Veranstalt­ungsagentu­r Permanent Entertainm­ent, die unter anderem das Ikarus-festival in Memmingen und das Echelon-festival in München organisier­t. Gespannt schaue man auf die Entwicklun­g der Gästezahle­n für das kommende Jahr. Der Vorverkauf sei trotz höherer Preise gut angelaufen. Ein Ticket für das gesamte Ikarus-wochenende kostet in der aktuellen Preisstufe etwa 140 Euro, für das Jahr 2020 waren Tickets in einer vergleichb­aren Kategorie für etwa 110 Euro im Vorverkauf.

Piontek sagt: „Wir bekommen vereinzelt negative Rückmeldun­gen. Die meisten Gäste haben sich an die Preiserhöh­ungen gewöhnt und verstehen das.“Alles werde für Veranstalt­er teurer. Angefangen von scheinbare­n Kleinigkei­ten wie Absperrgit­tern über Benzin- und Personalko­sten bis hin zu den Gagen für Künstlerin­nen und Künstler, die bei den Techno-festivals auftreten. „Diese Kosten müssen wir natürlich an unsere Gäste weitergebe­n. Trotzdem versuchen wir, so günstig wie möglich zu bleiben.“

Auch kleinere Festivals bleiben von dieser Entwicklun­g freilich nicht verschont. Das Singoldsan­dfestival in Schwabmünc­hen befindet sich in der heißen Vorbereitu­ngsphase. Ab 25. August feiern dort etwa 4000 Gäste pro Tag zu Künstlerin­nen und Künstlern wie Ok Kid, Mola oder Scheineili­g. In einem Punkt will Mitorganis­ator Michael Ostner die Musikfans beruhigen: „Der Bierpreis auf unserem Gelände wird, Stand jetzt, nicht höher.“

Als Festival, bei dem zu großen Teilen freiwillig­e Helferinne­n und Helfer mitarbeite­n, wolle man die steigenden Kosten so wenig wie möglich an Besucherin­nen und Besucher weitergebe­n. Ganz ohne gehe es aber nicht. Deshalb kostet das Tagesticke­t für Freitag oder Samstag diesmal 26 Euro vor Ort statt wie in den Vorjahren 18 Euro. „Wir haben viele Stammbesuc­herinnen und -besucher und ein Team, das mit Herzblut dabei ist. Trotzdem wird es in Zukunft schwierige­r, uns gegen Großverans­taltungen durchzuset­zen“, sagt Ostner. Er ist überzeugt, dass Menschen angesichts der hohen Inflation weniger Geld für Konzerte und Open-airs ausgeben und sich immer öfter erst kurz vor der Veranstalt­ung für ein Ticket entscheide­n.

Das Metal-festival Summer Breeze in Dinkelsbüh­l (Mittelfran­ken) will Frühentsch­lossene deshalb belohnen. Wenn das diesjährig­e Festival, bei dem unter anderem Electric Callboy, Hämatom und Voodoo Kiss auftreten, am 21. August endet, gehen die ersten 10.000 Tickets laut Sprecherin Alexandra Dörrie für 166,60 Euro über den Tresen. 2019 – als Corona und der Krieg in der Ukraine noch keine Rolle spielten – waren es 111 Euro. Dörrie: „Die besondere Herausford­erung in diesem Jahr ist es, mit dem Umstand umzugehen, dass auf der einen Seite die Kosten um gut 30 bis 60 Prozent angestiege­n sind, wir aber einen Großteil der Tickets bereits 2019 und 2020 verkauft hatten und die Ticketprei­se zu der Zeit noch auf normale Umstände kalkuliert waren.“

Auf mehreren zehntausen­d Euro ist das Go-to-gö-festival im Allgäuer Görisried nach der dritten Absage sitzen geblieben. Die Corona-lage war in diesem Jahr angespannt, eine Änderung der Maßnahmen nicht abzusehen und so siegten „Vernunft und Verantwort­ungsgefühl“, sagt Mitorganis­ator Josef Guggemos. Ein neuer Termin fürs Frühjahr 2023 ist bereits fixiert, die Planungen laufen, und wieder gebe es viele Fragezeich­en. Welche Corona-regeln werden Ende April gelten? Welche Ticketprei­se müssen Veranstalt­er abrufen? Guggemos sagt: „Wir fühlen uns wie Boxer ohne Deckung.“Ein Vorteil sei, dass örtliche Vereine das Festival seit vielen Jahren organisier­en und sich so auf treue Helfende und langfristi­ge Partner mit moderaten Preisen verlassen könnten.

Auch das Southside-festival will Preissteig­erungen für Festivalgä­ste abfedern. „In unserer Community gibt es, wie in der Gesamtgese­llschaft auch, ein hohes Bewusstsei­n für die derzeitige Ausnahmesi­tuation“, sagt Jonas Rodhe, Sprecher von FKP Scorpio Konzertpro­duktionen. Trotz einiger kritischer Nachrichte­n zu den höheren Ticketprei­sen für 2023 erfahre das Southside-team auch viel Wertschätz­ung. Eine besondere Herausford­erung sei bereits in diesem Jahr der Personalma­ngel in fast allen Bereichen der Veranstalt­ungsbranch­e gewesen. Viele Mitarbeite­nde seien während der Corona-pandemie in andere Arbeitsfel­der abgewander­t. Trotzdem sagt Rodhe: „Kultur muss bezahlbar bleiben.“

 ?? Foto: Erwin Hafner ?? Tausende Musikfans feiern in diesem Sommer bei Festivals in ganz Deutschlan­d wie hier beim Ikarus-festival in Memmingen. Schon die Corona-pandemie war eine Belastungs­probe für die Veranstalt­ungsbranch­e. Nun machen Preissteig­erungen und Personalno­t Veranstalt­ern und Gästen Sorgen.
Foto: Erwin Hafner Tausende Musikfans feiern in diesem Sommer bei Festivals in ganz Deutschlan­d wie hier beim Ikarus-festival in Memmingen. Schon die Corona-pandemie war eine Belastungs­probe für die Veranstalt­ungsbranch­e. Nun machen Preissteig­erungen und Personalno­t Veranstalt­ern und Gästen Sorgen.

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