Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Von Lea Thies

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Der Albtraum begann für Daniel Siegmund mit einem Anruf. Es war an einem Sonntag, er hatte gerade mit seiner Familie zu Abend gegessen, als er die Info aus der IT bekam: Seine Firma war angegriffe­n worden. Gehackt. Er wusste sofort, was das heißt. Siegmund ist Mitglied der Geschäftsl­eitung der Siegmund-gruppe im Landkreis Augsburg, die unter anderem Schweißtis­che herstellt sowie Masken und Desinfekti­onsmittel vertreibt. Er ist für die Computersi­cherheit zuständig und kennt sich mit der It-struktur seines Unternehme­ns aus. Nun war also das passiert, was nicht passieren sollte: Jemand war unerlaubt ins Netzwerk eingedrung­en, hatte die Computer verschlüss­elt, die Firma vor ihren eigenen Daten ausgesperr­t. Siegmund fühlte sich in dem Moment unsicher, fast nackt, so wird er es Monate später sagen. Wie groß ist der Schaden, was wurde erbeutet? Alles noch unklar, als er ins Auto stieg und sofort in die Zentrale der Bernd Siegmund Gmbh in Oberottmar­shausen an der B17 fuhr, um die Stecker zu ziehen und sich mit seinem Krisenstab zu beraten. Wenig später wählte er die 110 und lernte kurz darauf Karen Mergner kennen.

Täglich zigfach finden in Deutschlan­d solche Angriffe wie der auf die Firma Siegmund statt. Die Angst geht um. Wie der Digitalver­band Bitkom in seiner jüngsten Studie herausgefu­nden hat, sind neun von zehn der mehr als 1000 befragten Unternehme­n bereits Opfer von Hacking geworden. Im vergangene­n Jahr sei der deutschen Wirtschaft dadurch ein Schaden von 203 Milliarden Euro entstanden – in den Jahren 2018/2019 sollen es noch 103 Milliarden Euro gewesen sein. Das Gros der Angriffe kam von profession­ellen Hacker-gruppen

und wurde häufig aus Russland und China gesteuert. „Spätestens mit dem russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine und einer hybriden Kriegsführ­ung auch im digitalen Raum ist die Bedrohung durch Cyberattac­ken für die Wirtschaft in den Fokus von Unternehme­n und Politik gerückt“, sagt Bitkompräs­ident Achim Berg. Die kritische Infrastruk­tur werde ebenfalls immer häufiger angegriffe­n, zum Teil mit schwerwieg­enden Folgen für die Gesellscha­ft: Die Uniklinik Düsseldorf etwa konnte nach einer Attacke 13 Tage lang keine Notfallpat­ienten aufnehmen. Laut der Bitkom-studie stellen sich die Betreiber kritischer Infrastruk­tur künftig auf noch heftigere Attacken ein.

Auch in der Region gibt es zahlreiche Firmen und Unternehme­n, die schon angegriffe­n wurden: Hacker haben zum Beispiel an Ostern Computersy­steme der Donau-stadtwerke in Dillingen und im August der Industrie- und Handwerksk­ammer Schwaben (IHK) lahmgelegt, weil sie die zuständige­n It-dienstleis­ter angegriffe­n hatten. Wie viele Unternehme­n schon gehackt wurden, darüber wird keine Statistik geführt, viele Betroffene sprechen aus Scham oder Angst vor rechtliche­n Konsequenz­en auch nicht über die Angriffe. Einer Umfrage der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben zufolge war bereits 2019 jedes dritte Unternehme­n Opfer von Hackern geworden. Immer häufiger treffe es auch kleine und mittlere Firmen, für die es vielfach deutlich schwierige­r sei, sich zu schützen. Laut der Ihk-umfrage halten 85 Prozent der Unternehme­n Cyberangri­ffe für eine relevante Gefahr. 72 Prozent der befragten Unternehme­n erklärten, dass aus ihrer Sicht das fehlende Know-how der Belegschaf­t das größte Risiko darstellt. Generell gilt der Faktor Mensch neben Systemschw­achstellen als das größte Einfallsto­r

für Cyberattac­ken. Die Bedrohungs­lage sei angespannt bis kritisch, heißt es beim Landesamt für Verfassung­sschutz (LFV) in München wie auch beim Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) in Bonn. Längst ist klar: Es kann jeden treffen, die Frage ist nur, wann – einen hundertpro­zentigen Schutz gibt es nicht. Die Behörden sind in Alarmberei­tschaft. „Da ist ein kriminelle­s Wirtschaft­sbiotop entstanden, das sich gegenseiti­g Dienstleis­tungen anbietet und Informatio­nen abkauft“, sagt ein Bsi-sprecher. Der Kapuzenpul­lover tragende Hacker, der aus einem dunklen Keller heraus oder am Strand liegend Firmen angreift – das war einmal. „Inzwischen sind profession­elle Hacking-netzwerke aktiv, die mit neuen Werkzeugen und Methoden arbeiten, die früher nur staatliche­n Akteuren vorbehalte­n waren“, sagt der Bsi-sprecher.

Heute müsse ein Hacker deswegen technisch weniger können, um großen Schaden anzurichte­n, als früher. Voraussich­tlich im Oktober erscheint der neue Lageberich­t des BSI. Es ist keine Entspannun­g in Sicht. Im Bereich der Informatio­nssicherhe­it sah Bsi-präsident Arne Schönbohm schon vor einem Jahr in Teilbereic­hen die Alarmstufe Rot.

Weil es manchen Hackergrup­pen ums Sabotieren, Spionieren und Desinformi­eren geht, befasst sich auch der Verfassung­sschutz mit Cyberangri­ffen. „2013 ist eine Zeitenwend­e eingetrete­n, es ist nicht mehr so klar zu unterschei­den, ob Cybercrime oder Cyberspion­age“, sagt Michael George, Leiter des Cyber-allianz-zentrums (CAZ) im bayerische­n Landesamt für Verfassung­sschutz in München. Wie angespannt die Lage ist, zeigt auch dies: In dem Backsteing­ebäude in Milbertsho­fen müssen Gäste ihre Handys einschließ­en. Sicher ist sicher, schließlic­h hat heute fast jeder einen Computer in der Hosentasch­e, mit dem Daten gestohlen werden können.

„Wir sehen eine Veränderun­g im Geschäftsm­odell der Angreifer und gleichzeit­ig durch die Digitalisi­erung auch eine größere Angriffsfl­äche. Das ist ein Problem“, sagt George. Im Ukraine-krieg mischen bereits private Hackergrup­pen mit und versuchen, Daten und Informatio­nen von der Gegenseite zu erlangen, Systeme zu sabotieren. Wer hacken kann, hat Macht: kann zerstören oder beschützen, angreifen oder verteidige­n, kann Krieg führen, ohne sein Leben in Gefahr zu bringen. Oder einfach auch nur für ein riesiges Chaos sorgen.

Eine, die gegen das Chaos und auf der Seite der Guten kämpft, ist also Karen Mergner, die auch der Firma Siegmund half. Wer sie bei der Arbeit besucht, muss erst einmal durch die Schleuse im Polizeiprä­sidium Schwaben Nord in Augsburg. An der Tür hängt ein etwas ausgebleic­htes Plakat: „Amok verhindern. Teamwork erleben.“Die Polizei sucht damit It-fachkräfte für den Cyberkampf. Menschen wie Karen Mergner, die wissen, was hinter Computerbi­ldschirmen abläuft, die sich mit Netzwerkst­rukturen auskennen und mit digitalen Angriffen. Die Informatik­erin leitet das Quick Reaction Team (QRT) der Kriminalpo­lizei in Augsburg, das vor gut einem Jahr gegründet wurde und rund um die Uhr einsatzber­eit ist, um Unternehme­n und Betriebe der kritischen Infrastruk­tur nach Cyberattac­ken zu beraten und zu unterstütz­en. Auch am Wochenende und an Feiertagen, wenn Hackergrup­pen besonders gerne angreifen, weil sie dann mehr Zeit haben, ehe ihre digitalen Spuren entdeckt werden. Karen Mergner hat die neue Qualität der Angriffe auch schon in der Praxis festgestel­lt.

„Früher wollten sich Einzeltäte­r profiliere­n, da ging es bei Attacken um Ansehen,

vielleicht auch um Machtdemon­stration. Heute geht es bei der Cyberkrimi­nalität in erster Linie ums Geld“, sagt die Itermittle­rin. Profession­ell organisier­te Gruppen greifen an, gehen gezielt vor und teilen sich die Arbeit wie in einem Unternehme­n auf: Die einen suchen die Schwachste­lle, die anderen dringen ein, die nächsten recherchie­ren, was zu holen ist und wo die Schmerzgre­nze des Unternehme­ns liegen könnte, ein anderes Team wiederum kümmert sich um die Verschlüss­elung. „Die haben sogar eine 24/7-Hotline, die die Opfer nach der Lösegeldza­hlung berät, wie sie wieder an ihre Daten kommen können“, sagt Karen Mergner. Viel genauer kann sie die Tätergrupp­e nicht eingrenzen, da die Angriffe meist aus dem Ausland kommen, wo die Kriminelle­n nur schwer aufzuspüre­n seien. Die It-branche ist männlich dominiert, höchstwahr­scheinlich gibt es also auch unter den kriminelle­n Computerex­perten mehr Männer als Frauen.

20 bis 35 Mal ist das QRT bisher in der Region ausgerückt, nur ein Bruchteil der wirklich Betroffene­n. Karen Mergner vermutet: Aus Angst, dass Akten beschlagna­hmt, Computer mitgenomme­n werden oder es gar strafrecht­liche Konsequenz­en gibt, würden sich viele Firmen gar nicht erst an die Polizei wenden. „Unser erstes Ziel ist, weitere Schäden zu verhindern, wir behindern nicht, wir beraten die Firmen, helfen beim Spurenfind­en, sammeln Beweise für die strafrecht­liche Verfolgung des kriminelle­n Angriffs“, betont die Itermittle­rin. Dabei habe die schnellstm­ögliche Wiederhers­tellung der betrieblic­hen Abläufe Priorität.

Für ihre Einsätze benutzt das Cyber-ermittlung­steam einen digital aufgerüste­ten VW-BUS, der auch als mobiler Besprechun­gsraum umfunktion­iert werden kann. Auch wenn es für ihr Team unwahrsche­inlich sei, den oder die Täter gleich zu finden und gar festzunehm­en, so werde Material über den Angriff und die Hacker gesammelt, das dann mit Ermittlung­steams anderer Polizeidie­nststellen in Deutschlan­d oder auch dem Ausland geteilt wird - durch diese Zusammenar­beit seien auch schon Täter gefasst worden, sagt die Qrt-leiterin.

„Heute geht es bei der Cyberkrimi­nalität in erster Linie ums Geld.“

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