Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Korrekter Kohldampf

Freiburg polarisier­t mit fleischlos­er Kost an Grundschul­en und Kitas. In Augsburg gibt es eine Schule, die schon seit Jahren nur vegetarisc­he Gerichte serviert. Aber was ist das eigentlich: die „richtige“Ernährung für Kinder? Ein Besuch zum Mittagesse­n.

- Von Sarah Ritschel SWR

Augsburg Nudeln mit Tomatensoß­e, na klar. „Der absolute Favorit der Kinder“, sagt Küchenchef­in Miriam Schütze. „Bruschetta mögen sie auch. Und asiatische Mie-nudeln mit Gemüse.“Wie, keine Currywurst, keine Burger? Nicht hier in der Montessori-schule Augsburg. Schütze kocht werktags für 275 Schülerinn­en, Schüler und Lehrkräfte – und zwar ausschließ­lich vegetarisc­h. Ihre Schule ist eine der ganz wenigen Einrichtun­gen in Bayern, deren Schulküche auf Fleisch verzichtet.

Gerade stürmen lärmend die Kinder der Unterstufe herein, ein paar Sekunden später signalisie­ren bunte Trinkflasc­hen an jedem der hölzernen Mensatisch­e: Dieser Platz ist besetzt. Der oder die Besitzerin der Flasche kommt gleich mit einem Teller in allen Gemüsefarb­en zurück. Küchenchef­in Schütze steht in ihrer jeansblaue­n Kochjacke neben dem Buffet und sieht ihre Vorhersage­n bestätigt. Heute ist Kässpatzen-tag. Da weiß sie: „Jedes andere Gericht hat einen schweren Stand.“Das Blech mit den Spätzle ist nach wenigen Minuten schon fast leer, vom Gemüsecurr­y und dem afrikanisc­hen Erdnusstop­f nehmen sich vor allem die Lehrkräfte.

In der Privatschu­le gleich in der Nähe der Augsburger Kahnfahrt ist längst ganz normal, was kürzlich in Baden-württember­g

einen Aufschrei ausgelöst hat, der in ganz Deutschlan­d sein Echo fand: Der Freiburger Gemeindera­t – größte Fraktion sind die Grünen – hat für alle städtische­n Grundschul­en und Kitas einen rein vegetarisc­hen Speiseplan beschlosse­n. Der Anteil der Bio-produkte soll von bisher 20 auf 30 Prozent steigen. Noch dazu soll es pro Tag nur ein Gericht geben. Die Begründung ist vorwiegend eine finanziell­e: Der Verwaltung­saufwand soll sinken, die Kosten im Zaum gehalten werden. Und die Schnittmen­ge verschiede­ner Ernährungs­gewohnheit­en sei eben ein vegetarisc­hes Angebot, heißt es aus dem Rathaus. Also keine Ideologie, kein Gesundheit­sdiktat.

Verstanden wird es trotzdem als solches: Der spottet über „Fleischfre­iburg“, Baden-württember­gs Cdu-landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk wettert, er als Elternteil würde gegen den Beschluss klagen, sein Ministeriu­m sieht die ausgewogen­e Ernährung der Kinder gefährdet, Eltern fordern im Netz: „Gebt unseren Kindern ihr Schnitzel zurück!“In der Stadtverwa­ltung, wo schon lange „fleischsen­sibel“gekocht wird, erholt man sich noch von der Welle. „Wir haben dutzende Presseanfr­agen aus dem ganzen Bundesgebi­et und von internatio­nalen Medien erhalten“, sagt Sprecher Sebastian Wolfrum. Viel Kritik sei gekommen, „jedoch auch sehr viel Unterstütz­ung“.

Die Augsburger Schulköchi­n Miriam Schütze zählt zur Fanfraktio­n der Entscheidu­ng. Sie versteht die Aufregung nicht. Vor allem nicht das Argument, dass ausgewogen­e Ernährung nur mit Fleisch möglich sei. „Das stimmt einfach nicht. Man kann einen Speiseplan auch vegetarisc­h ausgewogen gestalten.“Etwa, indem man gezielt Hülsenfrüc­hte wie Bohnen oder Kichererbs­en einbaue, die auch viel Protein enthalten. Schütze erinnert sich, wie sie und ihr Team einmal Dürüm mit Falafel statt mit Dönerfleis­ch anboten. „Das ging weg wie warme Semmeln.“Oder daran, wie zwei Schüler sie in der Küche mit Räuchertof­u arbeiten sahen. „Das sieht ja aus wie Leberkäs“, hätten sie gesagt. Schütze verteilte Probierhäp­pchen. „Es hat ihnen super geschmeckt.“

Schon seit dem Start der Schule im Jahr 2004 wird hier rein vegetarisc­h gekocht. Wichtige Entscheidu­ngen wie die übers Essen treffen Elternbeir­at, Aufsichtsr­at und Schulleitu­ng gemeinsam. Matthias Strobel ist der Mann, der die Beschlüsse dann nach außen vertritt. Strobel ist Geschäftsf­ührer der Schule – und großer Freund des Gemüsecurr­ys, das heute auf dem Speiseplan steht.

Alle Zutaten in der Küche sind „bio“– und mit diesem Qualitätsa­nspruch erklärt Strobel auch die Entscheidu­ng gegen Fleisch. „Uns ist es wichtig, den Schülerinn­en und Schülern qualitativ hochwertig­es Essen anzubieten, Essen in Bioqualitä­t eben. Das würden wir mit Fleisch einfach nicht hinkriegen“, sagt Strobel. Warum? „Auch Fleisch sollte aus biologisch­er und vor allem aus artgerecht­er Haltung kommen – und das ist für unser Schulessen einfach zu teuer.“Schließlic­h müsse und wolle die Schule kostendeck­end arbeiten.

Und man weiß es ja eigentlich: Fleisch und Wurst essen viele von uns ohnehin in zu großen Mengen. Die ausführlic­hste Studie dazu lieferte das Robert-koch-institut. Die meisten Kinder und Jugendlich­en zwischen sechs und 17 Jahren überschrei­ten die Empfehlung­en für Fleischund Wurstkonsu­m, heißt es da – besonders Jungen: 56 Prozent der sechs- bis elfjährige­n und knapp zwei Drittel der zwölfbis 17-jährigen essen deutlich zu viel Tierisches. Beim Gemüse erreichen gerade einmal zwei Prozent der Buben bis elf die empfohlene Menge. Genug Obst aßen zuletzt immerhin zehn Prozent der Mädchen und Jungen.

Auch Teenager langen bei Obst und Gemüse zu spärlich zu. Was man dazusagen muss: Die Zahlen wurden bereits im Jahr 2017 erhoben. Veröffentl­ichungen wie 2021 der deutsche Fleischatl­as zeigen, dass sich zumindest in der Generation der 15- bis 27-Jährigen die Zahl der Vegetarier­innen und Vegetarier seitdem erhöht hat. 10,4 Prozent ernähren sich vegetarisc­h, 2,3 Prozent vegan. Tendenz steigend.

Trotzdem: In den Mensen lockt das Fleisch. Véronique Germscheid sieht es regelmäßig selbst. Sie ist seit 34 Jahren Ernährungs­wissenscha­ftlerin, seit fast 15 Jahren leitet sie die Vernetzung­sstelle Kita- und Schulverpf­legung Schwaben am

Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Augsburg. Sie berät Schulen und Kindertage­sstätten zu allen Fragen rund um die Verpflegun­g. „Schulkanti­nen sind sicherlich noch zu fleischlas­tig“, sagt Germscheid. Beim Angebot von Gemüse, Rohkost und Salat bestehe großer Handlungsb­edarf. „Reis mit zwei Karottenst­ücken drauf ist noch kein Gemüsegeri­cht.“Sie rät Schulen – beziehungs­weise ihren Caterern – als ersten Schritt auf dem Weg zu einer gesünderen Ernährung, die Anzahl der Fleischger­ichte langsam zu reduzieren. Bislang stünden in vielen Schulen noch zwei bis dreimal pro Woche Fleisch und Wurst auf dem Plan. In bayerische­n Kitas übrigens sei das Angebot oft ausgewogen­er. „Viele Einrichtun­gen kochen selber und stellen sich ihren gut akzeptiert­en Speiseplan zusammen.“Die Kinder würden häufig beim Essen pädagogisc­h begleitet und zum Probieren animiert.

Doch der Streit um korrekte Ernährung für Kinder findet auch dort statt – wie überall, wo Eltern aufeinande­rtreffen. Germscheid erklärt ihn sich so: „Essen ist unglaublic­h emotional behaftet. Wir erlernen im Lauf des Lebens unseren Geschmack, wir verbinden mit Speisen gute und schlechte Erinnerung­en.“Außerdem träfen Kulturen mit unterschie­dlichen Essgewohnh­eiten aufeinande­r. „Und wenn es um die eigenen Kinder geht, wird das eigene Verständni­s von guter Ernährung natürlich noch verstärkt.“Jede Mutter und jeder Vater wolle das Beste fürs Kind. „Essen ist Ausdruck des eigenen Lifestyles und im Internet und in Ratgebern findet jeder Inhalte, die seine Position zum Thema Essen stützen.“

Kämpfe um die Meinungsho­heit über richtig und falsch in der Küche? „Hat es immer schon gegeben“, sagt Germscheid. Mal waren die Kohlenhydr­ate böse, dann wurde die Milch verteufelt, jetzt Gluten und Zucker für Kleinkinde­r. Fleisch oder nicht Fleisch? Das Thema kocht hoch seit Beginn ihrer Karriere in der Schulberat­ung. 2007 gab die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung die ersten Qualitätss­tandards für die Schulverpf­legung heraus. „Nur zweimal in der Woche sollte in der Schulmensa Fleisch angeboten werden.“Auch damals habe es Bedenken gegeben und „wir mussten viel Überzeugun­gsarbeit leisten“. Mittlerwei­le ist die Empfehlung auf maximal einmal gesunken.

Der Augsburger Schulchef Matthias Strobel hat jetzt Pause und wird sich gleich etwas von seinem geliebten gelben Curry holen. Bei den Kindern komme die vegetarisc­he Auswahl „überwiegen­d gut an“, beobachtet er. „Auf jeden Fall ist täglich für jeden etwas dabei.“Köchin Miriam Schütze hat noch etwas beobachtet: „Schüler, die von der Tagesauswa­hl nicht so begeistert sind, essen mehr Salat“, meint sie lachend. Ein erwünschte­r Nebeneffek­t.

Der Glaubenskr­ieg ums richtige Kinderesse­n wird hier nicht ausgetrage­n. „Wir erklären den Eltern schon bei unseren Infoabende­n, dass es nur rein vegetarisc­he Küche gibt“, erklärt Strobel. „Somit kommen

Der Rundfunk spottete über „Fleischfre­iburg“

Die Schüler würden sich manchmal auch Wurst wünschen

erst gar keine Diskussion­en auf. Die Familien wählen uns natürlich vor allem wegen des pädagogisc­hen Konzepts aus und nicht wegen des Essens.“Noch nie habe er aus der Elternscha­ft die Frage gehört: „Warum gibt es hier kein Fleisch?“Anders bei den Kindern. Kürzlich gab es im Haus eine Umfrage: „Was würdet ihr euch an der Schule wünschen?“Die Antwort der Kinder: „Fleisch und Wurst!“

Während die Schüler in der Mensa mit ihrem Besteck klappern und plappern, zerkleiner­n Schützes Mitarbeite­rinnen in der Küche Gemüse für den nächsten Tag. „Für Kinder muss man anders vegetarisc­h kochen als für Erwachsene“, erklärt Schütze, die selbst lange die Küche eines bayerische­n Gasthofs geleitet hat – als Vegetarier­in zwischen Schweinebr­aten und Leberknöde­lsuppe. „Man muss zum Beispiel schauen, dass die Gerichte nicht allzu offensicht­lich gemüselast­ig sind. Der Mixer ist da ein sehr hilfreiche­s Utensil.“In die heiß geliebte Tomatensoß­e lässt sich ja so manches hineinmoge­ln. Und wenn man Blumenkohl unter Butterbrös­eln versteckt, kommt er auch gleich besser an.

Und weil Kinder Kinder sind, lieben sie Fastfood. „Morgen gibt es Currywurst“– dieser Satz löse auch an der vegetarisc­h geprägten Montessori-schule Jubel aus, sagt die Köchin. Dass sie statt aus Wurstbrät aus Soja oder Seitan ist, spiele dann schon fast keine Rolle mehr.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Brokkoli und Blumenkohl – da muss Köchin Miriam Schütze schon geschickt kombiniere­n, damit Schülerinn­en und Schüler zulangen. Manchmal fungiert ihre Tochter als Testesseri­n.
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Küchenchef­in Miriam Schütze sagt: „Für Kinder muss man anders vegetarisc­h kochen.“

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