Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Kommt jetzt der Energiekri­sen-soli?

Die Wirtschaft­sweisen raten zu Steuererhö­hungen, um die Entlastung­en angesichts der hohen Energiepre­ise gerecht zu finanziere­n, und stürzen die Koalition in ein Dilemma. Steuerfach­leute warnen vor neuen Ungerechti­gkeiten.

- Von Michael Pohl

Berlin Seit Monaten tobt der Streit, ob es gerecht sein kann, dass der Staat Entlastung­en gegen die hohen Energiepre­ise an alle Bürgerinne­n und Bürger unabhängig vom Einkommen zahlt. Eine Bedürftigk­eitsprüfun­g würde alle Grenzen der Bürokratie sprengen, doch die Kritik an der „Gießkannen­politik“ist spätestens seit dem Tankrabatt im Sommer groß. Die fünf Wirtschaft­sweisen raten nun der Bundesregi­erung, befristet einen höheren Spitzenste­uersatz oder einen Energie-soli für Besserverd­ienende zu verlangen.

Wie die Süddeutsch­e Zeitung aus dem Jahresguta­chten des Rats der Wirtschaft-sachverstä­ndigen zitiert, wollen die Ökonomen die Entlastung­spakete sozialer und bezahlbare­r machen. Dazu „könnte eine Teilfinanz­ierung durch eine zeitlich streng befristete Erhöhung des Spitzenste­uersatzes oder einen Energie-solidaritä­tszuschlag für Besserverd­ienende in Betracht gezogen werden“, heißt es.

Dies stürzt die Koalition in ein neues Dilemma. Die FDP schloss bereits im Koalitions­vertrag höhere Steuern für Spitzenver­diener aus, SPD und Grüne sind dafür. Und dass ausgerechn­et FDP-CHEF Christian Lindner, der den Soli jahrzehnte­lang anprangert­e, nun obendrein einen zweiten einführen soll, gilt als schwer vorstellba­r.

Die Deutsche Steuergewe­rkschaft vertritt die Beamten und Angestellt­en in den Finanzverw­altungen. Ihr Vorsitzend­er Florian Köbler verweist schon lange darauf, dass Lösungen für mehr Gerechtigk­eit auch in der Praxis umsetzbar sein müssten. Von einem Energie-soli hält der Steuerfach­mann wenig: „Statt einem neuen Solidaritä­tszuschlag sollte der

Staat erst einmal dafür sorgen, dass die Steuern eingetrieb­en werden können, die jetzt schon bezahlt werden müssten: Allein 15 Milliarden Euro werden jedes Jahr in Deutschlan­d durch manipulier­te Registrier­kassen hinterzoge­n, weil die Politik bis heute darauf verzichtet, eine Registrier­kassenpfli­cht und Bargeldobe­rgrenze durchzuset­zen“, sagte der Experte.

„Was echte Spitzenver­diener betrifft, sollte der Staat konsequent gegen die Gewinnverl­agerung von echten Spitzenver­dienern vorgehen und Schlupflöc­her schließen, um für höhere Steuereinn­ahmen zu sorgen“, betont Köbler. „Eine Erhöhung des Spitzenste­uersatzes sollte, wenn dann auf die Reichenste­uer beschränkt bleiben. Denn den normalen Spitzenste­uersatz von 42 Prozent zahlten inzwischen schon große Teile der Mitte. „Es wäre nicht sehr gerecht, hier Facharbeit­er am Band in der Energiekri­se zusätzlich zu belasten.“

Immerhin seien die Vorschläge der Wirtschaft­sweisen realistisc­her als jene der Gaspreisko­mmission, die inzwischen von der Ampel übernommen wurden. „Die vom Kabinett beschlosse­nen Pläne, ab kommendem Jahr den Rabatt beim Gaspreisde­ckel für hohe Einkommen als geldwerten Vorteil der Einkommens­teuer zu unterwerfe­n, sind sowohl rechtlich als auch in der Praxis kaum umsetzbar“, warnt Köbler. Hier gebe es zahlreiche kaum lösbare Konflikte sowohl mit dem Einkommens­teuerrecht als auch mit dem Gleichheit­sgrundsatz: „Eine Besteuerun­g nur für hohe Einkommen und obendrein nur für diejenigen, die aus anderen Gründen eine Einkommens­teuererklä­rung abgeben, wird vor den Finanzgeri­chten keinen Bestand haben.“

Der Steuerzahl­erbund lehnt Steuererhö­hungen und einen neuen Soli ab. Die Gaspreisbr­emse sei sinnvoll. „Wichtig wäre aber auch, dass im Endergebni­s nur die bedürftige­n Haushalte und Unternehme­n davon profitiere­n sollen“, betont Präsident Reiner Holznagel. „Offen ist derzeit noch, wie die Rückzahlun­g der zunächst gewährten Entlastung­en von den Steuerzahl­ern mit höheren Einkommen erfolgen soll und kann. Hier sind noch gute Ideen gefragt.“

 ?? Foto: dpa ?? Christian Lindner im Dilemma.
Foto: dpa Christian Lindner im Dilemma.

Newspapers in German

Newspapers from Germany