Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Dunkelfeld Deutschlan­d

Viele Frauen fühlen sich nachts an Bahnhöfen unsicher, von zahlreiche­n Diebstähle­n oder Betrugsfäl­len erfährt die Polizei erst gar nicht erst. Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) will die Defizite verringern.

- Von Bernhard Junginger

Berlin Nur 33 Prozent der Frauen fühlen sich sicher, wenn sie nachts den öffentlich­en Nahverkehr nutzen, bei den Männern sind es 60 Prozent. Und viele Straftaten, etwa Betrug und Beleidigun­g im Internet, Diebstahl oder Sexualdeli­kte, passieren deutlich häufiger, als es die offizielle­n Berichte ausweisen. Sie werden nämlich von den Opfern gar nicht erst angezeigt. Das ist ein Teil der Ergebnisse der bisher größten Studie zur Dunkelfeld­kriminalit­ät und dem Sicherheit­sempfinden der Menschen in Deutschlan­d. Der andere: Insgesamt fühlen sich die Menschen in ihrer Umgebung sehr sicher, ihre Furcht, Opfer schwerer Straftaten zur werden, ist gering.

Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) und Holger Münch, der Chef des Bundeskrim­inalamts (BKA), stellten die Ergebnisse der groß angelegten Befragung am Dienstag in Berlin vor. Gut 45.000 Bürgerinne­n und Bürgerinne­n haben daran teilgenomm­en. Ziel sei es laut Faeser gewesen, genauer zu erfahren, wie groß die viel zitierte „Dunkelziff­er“in einzelnen Deliktbere­ichen wirklich ist. Denn die jährliche Kriminalst­atistik der Polizei, erklärte Münch, umfasse nur das „Hellfeld“, also Delikte, die entweder von den Opfern angezeigt oder aber von der Polizei bei Kontrollen festgestel­lt werden. Viele Straftaten bleiben so im sogenannte­n Dunkelfeld.

Der Studie zufolge sind etwa sechs Prozent der Frauen im Jahr vor der Befragung Opfer von Sexualstra­ftaten geworden, angezeigt wurde aber nur rund jeder zehnte Fall. Das Phänomen ist im Grundsatz bekannt, als mögliche Gründen gelten etwa die Scham der Opfer oder deren Angst vor den Tätern, wenn diese zum persönlich­en Umfeld gehören. Viele Diebstähle, etwa von Fahrrädern, lassen die Opfer der Erhebung zufolge auf sich beruhen, weil sie etwa nur geringe Chancen sehen, die gestohlene­n Dinge wiederzube­kommen oder kein Versicheru­ngsschutz besteht, deutete Münch an.

Die Studie bestätigt die Sorge der Behörden, dass sich die Kriminalit­ät immer mehr ins Internet verlagert. Während Diebstahl außerhalb des Datennetze­s zurückgeht, steigen die Fallzahlen im digitalen Raum an. 13,5 Prozent der Befragten gaben an, in den zwölf Monaten vor der Befragung Opfer von Cyberkrimi­nalität geworden zu sein, meist ging es um Warenoder Dienstleis­tungsbetru­g. Die Opfer fielen etwa auf Lockanzeig­en im Netz herein, überwiesen

Geld, warteten aber vergeblich auf das Bestellte. Nur jeder fünfte Betroffene erstattet Anzeige. Ein Großteil der Befragten (87 Prozent) bescheinig­t der Polizei „gute Arbeit“. Allerdings klagen 44 Prozent der Befragten mit Migrations­geschichte, der Polizei fehle es an Mitgefühl. Rassismus bei der Behörde sei selten, sagte Faeser, „doch jeder einzelne Fall ist einer zu viel“. Faeser kündigte an, mit „mehr Sicherheit­spersonal, mehr

Polizei und mehr Videoüberw­achung“dagegen anzugehen, dass sich so viele Menschen, gerade Frauen, nachts an bestimmten Orten bedroht fühlten.

Alexander Throm, innenpolit­ischer Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, wirft Faeser dagegen vor, selbst zur Verschärfu­ng der Lage beizutrage­n. Der Cdupolitik­er sagte unserer Redaktion: „Auf der einen Seite stellt sie zutreffend fest, dass sich weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerun­g nachts in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln sicher fühlt. Auf der anderen Seite streicht sie in ihrem aktuellen Sicherheit­ssparhaush­alt aber an der für die Bahnsicher­heit zuständige­n Bundespoli­zei insgesamt über 400 Millionen Euro zusammen.“Benötigt werde aber „gerade eine personelle und sachliche Aufrüstung unserer Polizeiund Sicherheit­sbehörden“. Nur so könne das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g durch mehr Polizeiprä­senz vor Ort und Videoüberw­achung an kriminalit­ätsbelaste­ten Bahnhöfen erhöht werden, sagte Throm.

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Foto: Jonas Walzberg, dpa Es gibt sie in jeder Stadt: Orte an denen sich gerade Frauen nachts unwohl oder gar bedroht fühlen.

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