Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Und immer wieder Dieter
Vor 20 Jahren lief die erste Folge von „Deutschland sucht den Superstar“. Die Show prägte das deutsche Fernsehen, doch der Mythos bröckelte bald. Die nächste Staffel soll die letzte sein.
Köln Deutschland Anfang der 2000er Jahre: Regiert wird das Land von Kanzler Gerhard Schröder. Aber der wahre Herrscher über die Massen ist das Fernsehen. Es macht aus Nobodys plötzlich so etwas wie Berühmtheiten, wie aus dem redseligen Automechaniker Zlatko, der bei „Big Brother“in einem Container haust. Oder es macht einen Alex aus der Kleinstadt Sendenhorst zum „Superstar“.
Millionen Deutsche verfolgen damals, wie sich der Schüler zum Sieg in einer Fernsehshow singt, die völlig neu ist. 60.000 Bewerber hat es in der ersten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“(DSDS) gegeben. Die Castingshow von mischte das deutsche Fernsehen auf. Vor genau 20 Jahren, am 9. November 2002, wurde die erste Folge ausgestrahlt.
Dabei muss man sich vergegenwärtigen, was DSDS am Anfang war. Zwar nicht die erste Castingshow, aber wohl die, die den breitbeinigsten Auftritt wagte. Vorbild war das englische Format „Pop Idol“, das sagenhafte Quoten erzielt hatte. DSDS war große Bühne, Drama – vor allem dank Juror Dieter Bohlen, der nicht gerade für leise Töne bekannt war und ist.
„Der Versuch, großes Entertainment zu machen, eine große Geschichte zu erzählen – das war in Deutschland neu. Das war anders“, sagt Marcus S. Kleiner, Professor für Medienwissenschaft an der
SRH Berlin University of Applied Sciences. „Es brachte internationalen Flair in die doch etwas provinzielle deutsche Fernsehunterhaltung von damals.“Und: DSDS verkaufte – zumindest am Anfang – den klassischen Tellerwäscherzum-millionär-traum: Jeder kann es schaffen, wenn er Talent hat und hart an sich arbeitet.
Die erste Staffel 2002/2003 verfolgten bis zu 15 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. In der Jury saßen Bohlen, Plattenboss Thomas M. Stein, Journalistin Shona Fraser und Moderator Thomas Bug. Am Ende setzte sich Alexander
Klaws durch. Eigentlicher Star war allerdings Daniel Küblböck (1985–2018), der nicht sonderlich gut singen konnte, aber mit Eigenwilligkeit auffiel und rasch eine große Fan-gemeinde hinter sich versammelte, die für ihn anrief. Das war immer wichtig: anrufen, anrufen, anrufen.
„Es war wirklich einschlagend. Der Zuschauer war nicht nur rezipierend – also konsumierend – dabei, sondern er wurde Teil der Handlung“, sagt Katrin Döveling, Professorin für Kommunikationswissenschaften und Medienkommunikation in Darmstadt. „Er hatte das Gefühl, dass er über das Schicksal der Kandidaten mitbestimmen kann.“
In den Jahren darauf bröckelte der Mythos, dass wirklich ein neuer „Superstar“gekürt wird. Seifenoper-elemente wurden deutlicher. Maskottchen dafür wurde der glücklose Dauerkandidat Menderes Bagci, der immer wieder vergeblich versuchte, bei DSDS durchzustarten. 2016 schaffte er immerhin den Sieg im
Viele andere Kandidatinnen und Kandidaten traf es härter. Ihnen warf Bohlen oft einen gehässigen Spruch hinterher. So etwas wie: „Vielleicht kannst du versuchen, mit der Stimme den Leuten die Beine zu enthaaren.“Manche soll das nachhaltig verstört haben.
Rückblickend lässt sich wohl streiten, ob Bohlen eher Fluch (für die Kandidaten) oder Segen (für DSDS) war. Professor Kleiner sagt es so: „Wenn man Mainstream-unterhaltung machen will, dann braucht man Kontroverse.“Auch die Jury-besetzung selbst wurde mitunter zum Thema. Zeitweise saßen die Skandal-sänger Michael Wendler und Xavier Naidoo am Jury-tisch. 2022 tauschte dann die ganze Jury aus – inklusive Bohlen, der von Florian Silbereisen ersetzt wurde. In der kommenden Staffel ist Bohlen wieder dabei. Sie soll zugleich die letzte Staffel überhaupt werden. Das Kapitel DSDS wäre nach mehr als 20 Jahren dann zu Ende.