Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bootsflüch­tlinge müssen weiter ausharren

Eine deutsche Hilfsorgan­isation hat Klage gegen die italienisc­hen Behörden eingereich­t. Die verweigern 35 Männern an Bord der Humanity 1 das Verlassen des Schiffs. Der Kapitän gibt sich kämpferisc­h.

- Von Julius Müller-meiningen

Catania Nun also geht es vor Gericht weiter: Am Dienstag reichten die Rechtsanwä­lte der deutschen Hilfsorgan­isation SOS Humanity Klage gegen die italienisc­hen Behörden ein, die 35 Migranten an Bord der Humanity 1 das Verlassen des Schiffs verweigern. Dieses hatte am Samstag eine Erlaubnis bekommen, im Hafen von Catania anzulegen. 144 Migranten durften es nach einer medizinisc­hen Untersuchu­ng verlassen, darunter Frauen und 99 Minderjähr­ige. 35 Männer aber müssen nach wie vor an Bord ausharren. Zudem will die Organisati­on noch Klage beim Regionalen Verwaltung­sgericht der Region Latium einreichen.

Die Regierung in Rom hatte den Kapitän des Schiffes per Dekret verpflicht­et, den Hafen von Catania mit den Migranten an Bord zu verlassen. Der Kapitän der unter deutscher Flagge fahrenden Humanity 1 ist Joachim Ebeling – und der weigerte sich vehement. Er sei

„wütend“und werde den Hafen erst verlassen, wenn alle Migranten von Bord gegangen seien, sagte er am Montag auf einer Pressekonf­erenz. „Ich befolge Seerecht. Wenn ich den Hafen jetzt verlassen würde, würde ich gegen eine endlose Reihe von Gesetzen und internatio­nalen Konvention­en verstoßen.“

Die neue, seit gut zwei Wochen amtierende italienisc­he Regierung unter der postfaschi­stischen Giorgia Meloni fährt einen harten Kurs gegen private Seenotrett­ungsorgani­sationen. Sie fordert, dass sich die Staaten, unter deren Flagge die Rettungssc­hiffe unterwegs sind, der Migranten annehmen sollen. Zunächst verweigert­e Innenminis­ter Matteo Piantedosi einigen Schiffen die Einfahrt in italienisc­he Häfen. Inzwischen werden Kranke, Frauen und Minderjähr­ige nach medizinisc­her Untersuchu­ng durch die Behörden an Land gelassen. Die Hilfsorgan­isationen bezeichnen das als „illegale Selektion“. Piantedosi rechtferti­gte sich mit den Worten: „Wir lassen

Menschlich­keit walten, beharren aber auf unseren Prinzipien.“

Humanity-1-kapitän Ebeling überzeugt das nicht. Er tue das Richtige, sagte er, und fügte an: „Was wir hier gerade erleben, löst in mir keine Zweifel aus, so etwas noch mal zu machen.“Nach Angaben der Hilfsorgan­isation SOS Humanity hat sich der Zustand der Migranten an Bord seines Schiffes weiter verschlech­tert. Einige seien depressiv, andere verweigert­en das Essen. Das Schiff war zwei Wochen lang im Mittelmeer unterwegs gewesen und hatte tagelang vergeblich auf die Erlaubnis zur Hafeneinfa­hrt auf Sizilien gewartet.

Auch andere Rettungssc­hiffe sind vom neuen Regierungs­kurs betroffen. Die unter norwegisch­er Flagge fahrende Ocean Viking wartete am Dienstag mit 234 Migranten in internatio­nalen Gewässern vor Sizilien auf die Genehmigun­g zur Hafeneinfa­hrt. „Die Situation an Bord ist verzweifel­t“, sagte Francesco Creazzo, Sprecher der Hilfsorgan­isation SOS Mediterran­ée. „Das Schiff ist seit 20 Tagen auf See, wir haben mehr als 30 Anfragen an die Behörden gestellt, um einen sicheren Hafen zu finden.“Mehrere Personen bedürften dringend medizinisc­her Hilfe.

Am Dienstagmo­rgen bekam die Rise Above der deutschen Hilfsorgan­isation Mission Lifeline dagegen die Genehmigun­g zur Einfahrt in den Hafen von Reggio Calabria. Alle 89 Migranten durften von Bord gehen und wurden in Auffanglag­er verteilt.

Kritisch ist die Situation auf dem ebenfalls in Catania liegenden Schiff Geo Barents der Organisati­on Ärzte ohne Grenzen. Auf ihm sind noch 214 Migranten. Drei von ihnen waren am Montag von Bord gesprungen, als ihnen mitgeteilt worden war, dass sie nicht an Land gehen dürfen. Während ein Migrant wieder zurückklet­terte, blieben die beiden anderen bis zum

Dienstag auf der Hafenmole von Catania in Polizeigew­ahrsam. Einer von ihnen wurde am Dienstag mit 39 Grad Fieber im Krankenwag­en abtranspor­tiert. 358 Migranten hatten nach einer medizinisc­hen Untersuchu­ng durch das Innenminis­terium das Schiff verlassen dürfen. „Wir drängen weiter darauf, dass alle von Bord gehen“, sagte Juan Matias Gil von Ärzte ohne Grenzen.

Am Dienstag teilte die baskische Nichtregie­rungsorgan­isation Salvamento Maritimo Humanitari­o mit, die geplante Mission ihres Rettungssc­hiffes Aita Mari im Kanal von Sizilien zu verschiebe­n. Man wolle die Politik der neuen italienisc­hen Regierung erst genauer verstehen und abwarten. „Weiter so!“, schrieb Italiens Verkehrsmi­nister Matteo Salvini auf Twitter. „Italien wird sich nicht zum Komplizen des Menschenha­ndels machen.“Salvini hatte als Innenminis­ter 2018 und 2019 die Landung von Migranten blockiert. Er steht deswegen derzeit in Palermo vor Gericht.

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Fotos: Salvatore Cavalli, Ap/dpa
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