Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die reinste Verschwend­ung

Die Weltklimak­onferenz im ägyptische­n Badeort Scharm el Scheich ist ein irrwitzige­s Beispiel für Energiever­brauch. Einerseits. Anderersei­ts zeigt sie, warum es beim Klimaschut­z nur langsam vorangeht.

- Von Stefan Lange

Scharm el Scheich Die Veranstalt­er der Weltklimak­onferenz im ägyptische­n Scharm el Scheich haben sich mit dem Logo der COP27 viel Mühe gegeben. Es stellt die Sonne, den Sonnengott Aton, den Horizont und den Globus in einem dar. Aber das eigentlich­e Symbol der Mammutvera­nstaltung am Roten Meer ist die Colaflasch­e. Der Brausehers­teller ist einer von zahlreiche­n Unterstütz­ern der COP27, für die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg war das einer der Gründe, nicht nach Ägypten zu reisen. Die junge Schwedin will nichts zu tun haben mit großen Konzernen, die ihrer Meinung nach zur Erderhitzu­ng beitragen. Aber es gibt auch noch eine andere Seite, wie die Cola-flasche zeigt.

Es sind tagsüber gerade um die 30 Grad im ägyptische­n Badeort Scharm el Scheich. Entlang der von vertrockne­ten Palmen gesäumten Hauptstraß­e steht eine riesige Hotelanlag­e neben der anderen. In den weitläufig­en Anlagen machen in diesen Tagen viele Russen Urlaub, an einem Arm das All-inclusive-bändchen, in der Hand den Drink, die Füße baumeln im Pool, so lässt es sich aushalten in der Hitze. Scharm el Scheich ist eine Kunststadt, vor 30 Jahren standen hier drei kleine Hotels, in denen vor allem sonnengege­rbte Surferinne­n und Surfer nächtigten. Das Trinkwasse­r kostete unterschie­dlich: je kühler, desto teurer. Heute wirkt kaltes Wasser wie eine Selbstvers­tändlichke­it. Jedes Hotel hat mehrere Pools, überall laufen die Rasenspren­ger, um dem rötlich-grauen Sand zumindest etwas Grün zu entlocken. Mehrere hundert Zimmer pro Ferienanla­ge haben jeweils Duschen, die auch brüllend heißes Wasser liefern können, während hunderte Klimaanlag­en die Räume runterkühl­en. Das Tagungszen­trum der COP27 liegt etwa 15 Kilometer entfernt – und der Energiever­schwendung­swahnsinn setzt sich dort fort.

Die Un-klimakonfe­renz dauert zwölf Tage, sie geht noch bis zum 18. November und wird in Spitzenzei­ten 35.000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer haben. Die drängeln sich in riesigen Kunststoff­zelten, die teilweise mit Holz verkleidet sind, damit die Sache zumindest einigermaß­en natürlich aussieht. Was nicht so ganz funktionie­rt, denn der Fußboden ist unter freiem Himmel über hunderte Quadratmet­er mit einem Plastiktep­pichboden ausgelegt. Die Veranstalt­ungshallen werden ununterbro­chen von riesigen Klimaanlag­en herunterge­kühlt. Es ist viel zu kalt. Wer sich hier länger aufhält, bekommt eine dicke Erkältung, die Profis tragen Schal und warme Jacke.

Für die ägyptische Regierung ist die Klimakonfe­renz ein Prestigepr­ojekt. Präsident Abdel Fattah al-sisi steht wegen der Missachtun­g von Menschenre­chten internatio­nal in der Kritik, was für Greta Thunberg ein weiterer Grund war, die Konferenz zu boykottier­en. „Greenwashi­ng“warf sie den Veranstalt­ern vor, also den Versuch, mit reinen Pr-effekten ein grünes Image zu erlangen, ohne die eigentlich­en Probleme anzugehen. Und da kommt die Colaflasch­e ins Spiel.

Es gibt auf der COP27 drei Sorten von Sponsoren: Hauptpartn­er, Partner und Unterstütz­er. Die Coca-cola Company gehört zur letzten und damit kleinsten Kategorie, wie viel Geld fließt, ist nicht bekannt. Auffällig hingegen ist, dass die Flasche mit dem roten Logo überall präsent ist. Als Kanzler Olaf Scholz im Rahmen seines zweitägige­n Besuchs Staats- und Regierungs­chefs aus aller Welt einlädt, um für seinen Klimaklub zu werben, wirbt Coca-cola mit: Die Brauseflas­chen stehen gut sichtbar vorne auf dem Konferenzt­isch, solch ungenierte Werbung kennt man von Fußball-pressekonf­erenzen, nicht aber von politische­n Konferenze­n. Draußen funktionie­rt das Sponsoring nicht so gut. In der prallen Sonne Ägyptens stehen zahlreiche Kühlschrän­ke mit dem bekannten Markenlogo schutzlos auf dem Konferenzg­elände herum. Sie kühlen aber keine Cola-flaschen, sondern Orangensaf­t oder Sandwiches. Gleichwohl muss der Stromverbr­auch gigantisch sein und der Eindruck verfestigt sich, dass die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, das Klima zu retten, und der Praxis offensicht­licher Energiever­schwendung enorm ist.

„Die Tatsache, dass sich der Veranstalt­ungsort im Herzen der grünen Stadt Scharm el Scheich befindet, bietet der Nachhaltig­keit einen vorderen Platz im gesamten logistisch­en Vorbereitu­ngsprozess der COP27. Die Durchführu­ng einer nachhaltig­en, kohlenstof­fneutralen Konferenz hat für uns Priorität, um unser ehrgeizige­s Streben nach Klimaschut­z zu demonstrie­ren“, schreibt die ägyptische Regierung in einem recht dürftigen Kapitel zum Thema „Nachhaltig­keit“auf der Cop27-internetse­ite. Scharm el Scheich ist alles, aber nicht grün, auch die „ökologisch­en und sozialen Werte“, wie es weiter heißt, sind nicht wirklich sichtbar. Der Autor und Aktivist Alaa Abdel Fattah etwa sitzt als politische­r Gefangener in einem ägyptische­n Gefängnis, er befindet sich seit etwa sieben Monaten im Hungerstre­ik und verweigert seit dem Beginn der Konferenz zudem das Trinken. Den Offizielle­n ist das keine Erwähnung wert.

Stattdesse­n werben sie damit, es würden 260 Elektro- und Erdgasbuss­e für den Transport bereitgest­ellt. Mag sein, dass es sie gibt, sichtbar sind sie nicht. Die Delegation von Kanzler Scholz beispielsw­eise wird bei dessen zweitägige­m Besuch in Dieselbuss­en durch die Gegend gekarrt, die sich an qualmenden Taxis vorbeidrän­geln. Angeblich werden einige der Veranstalt­ungshallen mit Solarenerg­ie betrieben. Den Angaben zufolge sind drei Solarkraft­werke gebaut worden, wobei aus der Wortwahl nicht genau hervorgeht, ob es sie tatsächlic­h bereits gibt oder sie nur geplant sind. Und selbst wenn sie schon stehen – die Gesamtkapa­zität von 15 Megawatt ist ein Witz. Zum Vergleich: Der Energiekon­zern ENBW baut in Brandenbur­g einen Solarpark mit einer Leistung von rund 150 Megawatt. Was sonst so an Technik zu sehen ist, verbreitet keine Zuversicht. So stehen auf dem Veranstalt­ungsgeländ­e kleine Heizkraftw­erke herum, die jeder Tüv-ingenieur, jede Tüv-ingenieuri­n bereits nach einer kurzen Sichtprüfu­ng außer Betrieb setzen würde, so marode und rostig, wie sie sind.

Bei der Frage nach dem Schadstoff­ausstoß machen die Ägypter denn auch lieber erst gar keine Angaben. Ein Blick auf die letzte Klimakonfe­renz lässt für diese Konferenz jedoch Schlimmes befürchten. Die COP26 fand 2021 in Glasgow statt. Offizielle­n Angaben zufolge verursacht­e jeder und jede Delegierte damals 3,42 Tonnen Co-äquivalent­e (CO2E), zu denen neben dem Kohlendiox­id (CO2) weitere Treibhausg­ase wie beispielsw­eise Methan oder Lachgas gehören. In Glasgow war es damals herbstlich kühl. Dass der Schadstoff­ausstoß in Scharm el Scheich deutlich höher ausfällt, ist wohl eine zulässige Annahme. Weitere 2,7 Tonnen CO2E entstanden bei der COP26 pro Kopf durch die Anreise nach Glasgow. Zum Vergleich: Laut Umweltbund­esamt liegt der Co2e-ausstoß pro Person in Deutschlan­d bei 11,2 Tonnen jährlich. Besonders Klimabewus­ste kommen sogar mit sieben Tonnen aus.

Auf 26 Klimakonfe­renzen hat ein Großteil der Welt bislang versucht, die Klimakrise in den Griff zu bekommen. In Paris wurde das 1,5-Grad-ziel verabredet, mehr soll sich die Erde im Vergleich zu 1900 möglichst nicht erhitzen. Die Welt ist davon noch weit entfernt, Expertinne­n und Experten sprechen von 2,6 Grad, die anstehen, wenn es keine weiteren Anstrengun­gen im Kampf gegen die Klimawande­l gibt. Doch immerhin: Als die „Conference of the Parties“(COP) 2015 in der französisc­hen Hauptstadt tagte, standen deutlich mehr als sechs Grad als Drohszenar­io auf dem Erdthermom­eter. Seitdem hat sich vieles getan und die 27. Un-klimakonfe­renz sollte eigentlich weitere Fortschrit­te bringen. Doch die Umstände haben sich geändert.

Russlands brutaler Krieg gegen die Ukraine stellt nicht nur die europäisch­e und internatio­nale Friedensor­dnung „fundamenta­l infrage“, wie Kanzler Olaf Scholz auf der COP27 erklärte. Er hat auch den Klimaschut­z in den Fokus der Sicherheit­spolitik gerückt. Wenn sich Abhängigke­iten von anderen Staaten verringern – beispielsw­eise

Kühlschrän­ke stehen in der prallen Sonne

Der Krieg in der Ukraine verschlech­tert die Klimabilan­z

Deutschlan­ds Bedarf an russischem Gas –, hat das Einfluss auf die Sicherheit­spolitik. Anderersei­ts stehen nicht sofort die benötigten Mengen an Erneuerbar­en zur Verfügung, und an dieser Stelle hat Moskau den Westen auf einen Pfad gezwungen, den er eigentlich verlassen wollte. Auf einmal müssen Atomkraftw­erke länger laufen. Kohlekraft­werke bleiben am Netz, die eigentlich abgeschalt­et werden sollten – und verschlech­tern damit die Co2-bilanz.

Und dann ist da noch die Cola-flasche. In vielen armen Staaten dieser Erde steht sie als Zeichen für Wohlstand, für Luxus, für eine Annäherung an die reichen Industrien­ationen. Das gilt insbesonde­re dann, wenn die Flasche eisgekühlt ist. Die Energieund Klimabilan­z spielt für die Menschen vor Ort erst einmal keine Rolle. Sie wollen ein Stück vom Kuchen abhaben und weisen darauf hin, dass ihr Schadstoff­konto im Gegensatz zu den reichen Staaten noch kaum belastet ist. Viele afrikanisc­he und asiatische Staaten stehen gerade am Anfang des Wegs, den Länder wie Deutschlan­d schon hinter sich haben. Sie bauen Industrien auf und erschließe­n dafür Gas- und Ölfelder auf See oder im Regenwald.

Auf der COP27 in Scharm el Scheich ist diese Diskrepanz, dieser Widerspruc­h ein Hauptthema. So bizarr die Veranstalt­ung einerseits ist, so gut gibt sie anderersei­ts die Zerrissenh­eit der Staatengem­einschaft im Kampf gegen den Klimawande­l wieder. Das gilt auch für den Faktor Hoffnung. Der Klimawande­l ist nicht aufgehalte­n, aber doch verlangsam­t. Bei der COP27 liegen am dritten Tag zwar immer noch keine Cola-flaschen in den Kühlschrän­ken. Aber es gibt Sprite.

 ?? Foto: Gehad Hamdy, dpa ?? Die Zelte der Klimakonfe­renz werden so stark abgekühlt, dass innen manche Teilnehmer mit dicker Jacke und Schal sitzen.
Foto: Gehad Hamdy, dpa Die Zelte der Klimakonfe­renz werden so stark abgekühlt, dass innen manche Teilnehmer mit dicker Jacke und Schal sitzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany