Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die reinste Verschwendung
Die Weltklimakonferenz im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich ist ein irrwitziges Beispiel für Energieverbrauch. Einerseits. Andererseits zeigt sie, warum es beim Klimaschutz nur langsam vorangeht.
Scharm el Scheich Die Veranstalter der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich haben sich mit dem Logo der COP27 viel Mühe gegeben. Es stellt die Sonne, den Sonnengott Aton, den Horizont und den Globus in einem dar. Aber das eigentliche Symbol der Mammutveranstaltung am Roten Meer ist die Colaflasche. Der Brausehersteller ist einer von zahlreichen Unterstützern der COP27, für die Klimaaktivistin Greta Thunberg war das einer der Gründe, nicht nach Ägypten zu reisen. Die junge Schwedin will nichts zu tun haben mit großen Konzernen, die ihrer Meinung nach zur Erderhitzung beitragen. Aber es gibt auch noch eine andere Seite, wie die Cola-flasche zeigt.
Es sind tagsüber gerade um die 30 Grad im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich. Entlang der von vertrockneten Palmen gesäumten Hauptstraße steht eine riesige Hotelanlage neben der anderen. In den weitläufigen Anlagen machen in diesen Tagen viele Russen Urlaub, an einem Arm das All-inclusive-bändchen, in der Hand den Drink, die Füße baumeln im Pool, so lässt es sich aushalten in der Hitze. Scharm el Scheich ist eine Kunststadt, vor 30 Jahren standen hier drei kleine Hotels, in denen vor allem sonnengegerbte Surferinnen und Surfer nächtigten. Das Trinkwasser kostete unterschiedlich: je kühler, desto teurer. Heute wirkt kaltes Wasser wie eine Selbstverständlichkeit. Jedes Hotel hat mehrere Pools, überall laufen die Rasensprenger, um dem rötlich-grauen Sand zumindest etwas Grün zu entlocken. Mehrere hundert Zimmer pro Ferienanlage haben jeweils Duschen, die auch brüllend heißes Wasser liefern können, während hunderte Klimaanlagen die Räume runterkühlen. Das Tagungszentrum der COP27 liegt etwa 15 Kilometer entfernt – und der Energieverschwendungswahnsinn setzt sich dort fort.
Die Un-klimakonferenz dauert zwölf Tage, sie geht noch bis zum 18. November und wird in Spitzenzeiten 35.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben. Die drängeln sich in riesigen Kunststoffzelten, die teilweise mit Holz verkleidet sind, damit die Sache zumindest einigermaßen natürlich aussieht. Was nicht so ganz funktioniert, denn der Fußboden ist unter freiem Himmel über hunderte Quadratmeter mit einem Plastikteppichboden ausgelegt. Die Veranstaltungshallen werden ununterbrochen von riesigen Klimaanlagen heruntergekühlt. Es ist viel zu kalt. Wer sich hier länger aufhält, bekommt eine dicke Erkältung, die Profis tragen Schal und warme Jacke.
Für die ägyptische Regierung ist die Klimakonferenz ein Prestigeprojekt. Präsident Abdel Fattah al-sisi steht wegen der Missachtung von Menschenrechten international in der Kritik, was für Greta Thunberg ein weiterer Grund war, die Konferenz zu boykottieren. „Greenwashing“warf sie den Veranstaltern vor, also den Versuch, mit reinen Pr-effekten ein grünes Image zu erlangen, ohne die eigentlichen Probleme anzugehen. Und da kommt die Colaflasche ins Spiel.
Es gibt auf der COP27 drei Sorten von Sponsoren: Hauptpartner, Partner und Unterstützer. Die Coca-cola Company gehört zur letzten und damit kleinsten Kategorie, wie viel Geld fließt, ist nicht bekannt. Auffällig hingegen ist, dass die Flasche mit dem roten Logo überall präsent ist. Als Kanzler Olaf Scholz im Rahmen seines zweitägigen Besuchs Staats- und Regierungschefs aus aller Welt einlädt, um für seinen Klimaklub zu werben, wirbt Coca-cola mit: Die Brauseflaschen stehen gut sichtbar vorne auf dem Konferenztisch, solch ungenierte Werbung kennt man von Fußball-pressekonferenzen, nicht aber von politischen Konferenzen. Draußen funktioniert das Sponsoring nicht so gut. In der prallen Sonne Ägyptens stehen zahlreiche Kühlschränke mit dem bekannten Markenlogo schutzlos auf dem Konferenzgelände herum. Sie kühlen aber keine Cola-flaschen, sondern Orangensaft oder Sandwiches. Gleichwohl muss der Stromverbrauch gigantisch sein und der Eindruck verfestigt sich, dass die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, das Klima zu retten, und der Praxis offensichtlicher Energieverschwendung enorm ist.
„Die Tatsache, dass sich der Veranstaltungsort im Herzen der grünen Stadt Scharm el Scheich befindet, bietet der Nachhaltigkeit einen vorderen Platz im gesamten logistischen Vorbereitungsprozess der COP27. Die Durchführung einer nachhaltigen, kohlenstoffneutralen Konferenz hat für uns Priorität, um unser ehrgeiziges Streben nach Klimaschutz zu demonstrieren“, schreibt die ägyptische Regierung in einem recht dürftigen Kapitel zum Thema „Nachhaltigkeit“auf der Cop27-internetseite. Scharm el Scheich ist alles, aber nicht grün, auch die „ökologischen und sozialen Werte“, wie es weiter heißt, sind nicht wirklich sichtbar. Der Autor und Aktivist Alaa Abdel Fattah etwa sitzt als politischer Gefangener in einem ägyptischen Gefängnis, er befindet sich seit etwa sieben Monaten im Hungerstreik und verweigert seit dem Beginn der Konferenz zudem das Trinken. Den Offiziellen ist das keine Erwähnung wert.
Stattdessen werben sie damit, es würden 260 Elektro- und Erdgasbusse für den Transport bereitgestellt. Mag sein, dass es sie gibt, sichtbar sind sie nicht. Die Delegation von Kanzler Scholz beispielsweise wird bei dessen zweitägigem Besuch in Dieselbussen durch die Gegend gekarrt, die sich an qualmenden Taxis vorbeidrängeln. Angeblich werden einige der Veranstaltungshallen mit Solarenergie betrieben. Den Angaben zufolge sind drei Solarkraftwerke gebaut worden, wobei aus der Wortwahl nicht genau hervorgeht, ob es sie tatsächlich bereits gibt oder sie nur geplant sind. Und selbst wenn sie schon stehen – die Gesamtkapazität von 15 Megawatt ist ein Witz. Zum Vergleich: Der Energiekonzern ENBW baut in Brandenburg einen Solarpark mit einer Leistung von rund 150 Megawatt. Was sonst so an Technik zu sehen ist, verbreitet keine Zuversicht. So stehen auf dem Veranstaltungsgelände kleine Heizkraftwerke herum, die jeder Tüv-ingenieur, jede Tüv-ingenieurin bereits nach einer kurzen Sichtprüfung außer Betrieb setzen würde, so marode und rostig, wie sie sind.
Bei der Frage nach dem Schadstoffausstoß machen die Ägypter denn auch lieber erst gar keine Angaben. Ein Blick auf die letzte Klimakonferenz lässt für diese Konferenz jedoch Schlimmes befürchten. Die COP26 fand 2021 in Glasgow statt. Offiziellen Angaben zufolge verursachte jeder und jede Delegierte damals 3,42 Tonnen Co-äquivalente (CO2E), zu denen neben dem Kohlendioxid (CO2) weitere Treibhausgase wie beispielsweise Methan oder Lachgas gehören. In Glasgow war es damals herbstlich kühl. Dass der Schadstoffausstoß in Scharm el Scheich deutlich höher ausfällt, ist wohl eine zulässige Annahme. Weitere 2,7 Tonnen CO2E entstanden bei der COP26 pro Kopf durch die Anreise nach Glasgow. Zum Vergleich: Laut Umweltbundesamt liegt der Co2e-ausstoß pro Person in Deutschland bei 11,2 Tonnen jährlich. Besonders Klimabewusste kommen sogar mit sieben Tonnen aus.
Auf 26 Klimakonferenzen hat ein Großteil der Welt bislang versucht, die Klimakrise in den Griff zu bekommen. In Paris wurde das 1,5-Grad-ziel verabredet, mehr soll sich die Erde im Vergleich zu 1900 möglichst nicht erhitzen. Die Welt ist davon noch weit entfernt, Expertinnen und Experten sprechen von 2,6 Grad, die anstehen, wenn es keine weiteren Anstrengungen im Kampf gegen die Klimawandel gibt. Doch immerhin: Als die „Conference of the Parties“(COP) 2015 in der französischen Hauptstadt tagte, standen deutlich mehr als sechs Grad als Drohszenario auf dem Erdthermometer. Seitdem hat sich vieles getan und die 27. Un-klimakonferenz sollte eigentlich weitere Fortschritte bringen. Doch die Umstände haben sich geändert.
Russlands brutaler Krieg gegen die Ukraine stellt nicht nur die europäische und internationale Friedensordnung „fundamental infrage“, wie Kanzler Olaf Scholz auf der COP27 erklärte. Er hat auch den Klimaschutz in den Fokus der Sicherheitspolitik gerückt. Wenn sich Abhängigkeiten von anderen Staaten verringern – beispielsweise
Kühlschränke stehen in der prallen Sonne
Der Krieg in der Ukraine verschlechtert die Klimabilanz
Deutschlands Bedarf an russischem Gas –, hat das Einfluss auf die Sicherheitspolitik. Andererseits stehen nicht sofort die benötigten Mengen an Erneuerbaren zur Verfügung, und an dieser Stelle hat Moskau den Westen auf einen Pfad gezwungen, den er eigentlich verlassen wollte. Auf einmal müssen Atomkraftwerke länger laufen. Kohlekraftwerke bleiben am Netz, die eigentlich abgeschaltet werden sollten – und verschlechtern damit die Co2-bilanz.
Und dann ist da noch die Cola-flasche. In vielen armen Staaten dieser Erde steht sie als Zeichen für Wohlstand, für Luxus, für eine Annäherung an die reichen Industrienationen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Flasche eisgekühlt ist. Die Energieund Klimabilanz spielt für die Menschen vor Ort erst einmal keine Rolle. Sie wollen ein Stück vom Kuchen abhaben und weisen darauf hin, dass ihr Schadstoffkonto im Gegensatz zu den reichen Staaten noch kaum belastet ist. Viele afrikanische und asiatische Staaten stehen gerade am Anfang des Wegs, den Länder wie Deutschland schon hinter sich haben. Sie bauen Industrien auf und erschließen dafür Gas- und Ölfelder auf See oder im Regenwald.
Auf der COP27 in Scharm el Scheich ist diese Diskrepanz, dieser Widerspruch ein Hauptthema. So bizarr die Veranstaltung einerseits ist, so gut gibt sie andererseits die Zerrissenheit der Staatengemeinschaft im Kampf gegen den Klimawandel wieder. Das gilt auch für den Faktor Hoffnung. Der Klimawandel ist nicht aufgehalten, aber doch verlangsamt. Bei der COP27 liegen am dritten Tag zwar immer noch keine Cola-flaschen in den Kühlschränken. Aber es gibt Sprite.