Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie passt der Krieg zu blauen Pferden?

Die frühe Kriegsbege­isterung des Malers Franz Marc, der im Ersten Weltkrieg an der Front starb, scheint heute vielen ein Rätsel. Zwei neue Romanbiogr­afien erkunden nun dieses Mysterium.

- Von Johannes Bruggaier

In einer Zeit, in der Künstler bei der Frage nach Krieg und Frieden verstärkt Gehör einfordern, lohnt sich ein Blick zurück. Ihrer Rolle als moralische­r Kompass ist die Kunst nämlich in der Vergangenh­eit weit seltener gerecht geworden, als ihr Selbstvers­tändnis es nahelegt. Bekanntlic­h haben viele Schriftste­ller, Maler und auch Musiker im Vorfeld des Ersten Weltkriegs den Waffengang beschworen.

Ein prominente­s Beispiel ist Franz Marc. Was den so feinsinnig­en Maler mit seiner Vorliebe für blaue Pferde und gelbe Kühe dazu bringen konnte, den Krieg als „positive Instanz“zu würdigen und Forderunge­n wie „Alles muss noch härter werden“zu artikulier­en, scheint heute rätselhaft. Aufklärung stellen nun zwei neue Romanbiogr­afien in Aussicht (Tilman Röhrig: „Der Maler und das reine Blau des Himmels“; Reinhard Lindenhahn: „Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblic­hkeit“). Deren zeitgleich­es Erscheinen ist insofern bemerkensw­ert, als ein Gedenkjahr weit und breit nicht in Sicht ist, das Thema liegt aber offenbar in der Luft.

So spekulativ Romanbiogr­afien auch sind, die freie Form bietet zumindest Gelegenhei­t, interessan­te Thesen zu entwickeln und am konkreten Beispiel auszuteste­n. Das gelingt am besten, wenn ein Autor die Prosaform nicht nur wählt, sondern sie auch beherrscht. Was ja bedeutet, Charaktere mit glaubwürdi­ger Innensicht und authentisc­her Sprache zu kreieren, Figuren, deren Denken und Handeln eine sinnhafte Einheit bilden.

Was das betrifft, wird der Leser in beiden Fällen enttäuscht. Dabei bietet Röhrig alles auf, was Marcs Biografie an saftigen Episoden zu bieten hat: seine Dreiecksbe­ziehung mit Scheinehe, Scheidung und verhindert­er zweiter Hochzeit, belogene Schwiegere­ltern, eine unter seiner mutmaßlich­en Unfruchtba­rkeit leidende Partnerin. Und natürlich große Künstler, Kandinsky, Macke, Münter.

Doch wilde Geschichte­n und prominente Namen allein bringen noch kein Leben auf die Bühne. Röhrigs Figuren sind so blutleer wie austauschb­ar, was sie antreibt, bleibt nebulös. Zwar lobt man einander wegen „beeindruck­ender Kompositio­nen“oder „intensiver Farben“, das ließe sich aber auch über Werke ihrer Gegner sagen. Diese sind freilich allesamt rückständi­ge Spießer mit belehrend fuchtelnde­n Zeigefinge­rn. Die verkannten Künstlerge­nies dagegen ballen vor Wut die Fäuste. Wo Sinn fehlt, muss das Klischee herhalten.

Irgendwann taucht plötzlich der Name Nietzsche auf. Franz Marc fühlt sich von ihm inspiriert, über die Verherrlic­hung des Krieges nachzudenk­en. Und es dauert nicht lange, da faselt er bald von seiner Vision eines durch Krieg „gereinigte­n Europas“. So grausam es sein möge, aber er fürchte, „jede Nation wird ihr Opfer dazu beitragen“müssen. Das alles wirkt auf ganz fürchterli­che Weise kurz gedacht und unzureiche­nd durchdrung­en.

Der Autor Reinhard Lindenhahn vermag es zwar gleichfall­s nicht, eine Erzählhalt­ung zu entwickeln, die dem Anspruch eines Romans gerecht würde. Wo er sich aus der Warte des distanzier­ten Berichters­tatters hervortrau­t, geraten leicht Fakten durcheinan­der. Das Wort „Orphismus“fällt ein Jahr vor seiner Erfindung, ein Kandinsky-zitat landet im Munde Franz Marcs. Doch erscheint dies verzeihlic­h, weil sein Buch auf anderer Ebene Röhrigs Vergleichs­werk um Längen schlägt.

Lindenhahn nämlich interessie­rt sich für die Motive des Malers und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Das gilt zunächst ganz konkret für jene auf der Leinwand, die blauen Pferde und gelben Kühe also, in denen er den Ausdruck eines tiefen Misstrauen­s gegenüber der Moderne sieht. Der Mensch, so lautet Marcs Überzeugun­g, hat vor lauter Technikbeg­eisterung das Schauen verlernt. Wer sich auf Maschinen verlässt, lässt seine Sinne verkümmern, die Wirklichke­it erscheint zunehmend eindimensi­onal, flach, sinnentlee­rt.

Wenn der Mensch versagt, muss sich der Maler eben der Tierwelt bedienen. Marc fragt sich: Wie sieht ein Pferd die Welt? Welche Geister geben sich ihm zu erkennen, die wir längst aus unserem Blickfeld vertrieben haben? Das Tier eröffnet den Zugang zu verschütte­ten Dimensione­n. Vom Wunsch „nach einer Religion, die es nicht gibt“, ist hier zu lesen, das erinnert frappieren­d an andere spirituell­e Ansätze dieser Zeit, etwa Rainer Maria Rilkes „kapellenlo­sen Glauben“.

So dringt diese Romanbiogr­afie über das Motiv auf der Leinwand zu jenem des gesamten ästhetisch­en Konzepts vor. Es gründet auf dem Unbehagen vor einer Menschheit, die ihre Augen nur noch für technische Vorgänge verwendet und trotzdem nicht den Untergang eines Riesendamp­fers wie der Titanic verhindern kann. Eine solche Gesellscha­ft ist von sich aus schon dem Untergang geweiht.

Indem Lindenhahn Marcs Kriegshoff­nung als Ausdruck eines radikalen Kulturpess­imismus interpreti­ert, setzt er sie in den Kontext jener allgemeine­n Überforder­ung und Gereizthei­t, wie sie von Historiker­n in den vergangene­n Jahren so oft als Wesensmerk­mal dieser Zeit beschriebe­n worden ist. Das ist durchaus schlüssig, auch wenn – oder vielmehr gerade weil – diese Reaktion mit krassen Widersprüc­hen einhergeht.

Da begeistert sich derselbe Maler, der in seinen Werken eine verloren gegangene Einheit von Mensch und Natur betrauert, ausgerechn­et für die von Rennwagen und Maschinen durchdrung­enen Bilder der Futuristen. Die Schnittmen­ge dieser vermeintli­ch gegensätzl­ichen Welten liegt in der Wahrnehmun­g der Gegenwart als vollkommen unzulängli­ch, verkommen und hoffnungsl­os. Nur ein Krieg, glaubt der Futurist Filippo Tommaso Marinetti, könne diesem Elend ein Ende bereiten, gewisserma­ßen als Hygienepro­gramm für Europa. Und Marc stimmt ihm zu.

Vielleicht liegen genau darin Chance und Gefahr des künstleris­chen Blicks auf die Welt. Eine sinnliche Wahrnehmun­g spürt Fragen auf, die der technische­n Perspektiv­e verborgen bleiben. Geht es aber um die Antworten, hat sich die nüchterne Betrachtun­g des Ingenieurs schon manches Mal als verlässlic­her erwiesen.

Tilman Röhrig: „Der Maler und das reine Blau des Himmels – Der große Franz-marc-roman“, Piper 2022; 544 Seiten, 26 Euro.

Reinhard Lindenhahn: „Franz Marc. In fünf Jahren zur Unsterblic­hkeit“, Südverlag 2022; 200 Seiten, 20 Euro.

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Repro: Städtische Galerie im Lenbachhau­s und Kunstbau München Franz Marcs schuf sein Gemälde „Blaues Pferd“1911 – drei Jahre bevor der Erste Weltkrieg ausbrach.

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