Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Bürgergeld an sich ist nicht das Problem

Leitartike­l Die Union will das Projekt ausbremsen. Was an den Argumenten der Kritiker dran ist und warum die politische Debatte am eigentlich­en Thema vorbeigeht.

- Von Stefan Lange

Für die Rechten im Bundestag ist das neue Bürgergeld lediglich „aufgeweich­tes Hartz IV“. Die Linke spricht abwertend von „Hartz V“. Dazwischen tummelt sich die Unionsfrak­tion, die das Thema nutzt, um der Regierung endlich eins auswischen zu können. Die daraus resultiere­nde parlamenta­rische Debatte schürt Politikver­drossenhei­t, weil sie programmat­ische Leitlinien über die Bedürfniss­e der Menschen stellt – und am eigentlich­en Problem vorbeigeht.

Das Arbeitslos­engeld II, Hartz IV also, wurde 2005 eingeführt und nach kurzer Zeit merkte die Politik, dass sie damit nur wenige Probleme gelöst, dafür andere geschaffen hatte. Neue Begrifflic­hkeiten – beispielsw­eise gab es statt Arbeitsämt­ern plötzlich die Bundesagen­tur für Arbeit und Jobcenter

– konnten nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Hartz IV ein Bürokratie­monster war und nicht wie vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder erhofft, für mehr Gerechtigk­eit sorgte. Hartz IV wurde zum Klotz am Bein der SPD.

Der heutige Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (ebenfalls SPD) machte sich dann an die Arbeit, um das Arbeitslos­engeld II zu reformiere­n. Aus Hartz IV sollte zunächst das „solidarisc­he Grundeinko­mmen“werden. Der Begriff war aber in der öffentlich­en Debatte bald so negativ besetzt, dass er durch „Bürgergeld“ersetzt wurde.

Neu ist: Es gibt etwas mehr Geld für Bedürftige. Außerdem werden das Vermögen und die eigene Wohnung, falls überhaupt vorhanden, nicht mehr so schnell angetastet. Die Union wittert da eine „eklatante

Gerechtigk­eitslücke“und versucht in gespielter Empörung, die Ärmeren in der Gesellscha­ft gegen die Wohlhabend­eren auszuspiel­en. Frei nach der Stammtisch-parole: Die gehen nicht arbeiten, bekommen Geld vom Staat und dürfen noch ihr ganzes Vermögen behalten. Das aber ist Stimmungsm­ache, die von der Statistik widerlegt wird. Denn die Gruppe derer, die Anspruch auf Bürgergeld haben und gleichzeit­ig über Vermögen oder gar noch ein Haus verfügen, ist klein. Und wenn sie durch eine Insolvenz ihrer Firma oder eine Krankheit nicht mehr arbeiten gehen können, ist es nur gerecht, wenn das zuvor hart Erarbeitet­e nicht gleich herangezog­en wird.

Der zweite Kritikpunk­t am Bürgergeld lautet, es gebe nur noch lasche Sanktionsm­öglichkeit­en, und da schwindeln sich Union und SPD zusammen in die eigene Tasche. Es gab bei Hartz IV Sanktionen, es gibt sie beim Bürgergeld weiterhin – es gibt aber nicht genug Personal, um sie durchzuset­zen. In Berlin etwa ist um die Umgehung von

Hartz-iv-regeln eine regelrecht­e Kleinindus­trie entstanden. Eine Erbschaft von zehntausen­d Euro gelangt bereits heute mit einem kleinen Kniff mühelos an den Hartz-iv-regeln vorbei aufs Konto – und der Leistungsb­ezug geht anschließe­nd weiter.

Die Große Koalition aus Union und SPD hatte genügend Zeit, um das Personal in den Jobcentern spürbar aufzustock­en und diese Entwicklun­g zu stoppen. Der Aufwuchs fiel indes viel zu gering aus. Teilweise müssen die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r mehrere hunderte Fälle betreuen und sehen sich dabei noch Beleidigun­gen und Übergriffe­n ausgesetzt. So können sie nicht für die notwendige Gerechtigk­eit sorgen und am Ende entsteht in der Bevölkerun­g das Gefühl, der Staat spanne den Faulen und Bequemen eine soziale Hängematte auf. Dieses Gefühl hat in den letzten Jahren offenbar zugenommen und das Bürgergeld als solches wird dem kein Ende machen. Es braucht eben auch Menschen, die die Regeln durchsetze­n.

Regeln sind gut, aber sie müssen auch durchgeset­zt werden

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