Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Das Bürgergeld an sich ist nicht das Problem
Leitartikel Die Union will das Projekt ausbremsen. Was an den Argumenten der Kritiker dran ist und warum die politische Debatte am eigentlichen Thema vorbeigeht.
Für die Rechten im Bundestag ist das neue Bürgergeld lediglich „aufgeweichtes Hartz IV“. Die Linke spricht abwertend von „Hartz V“. Dazwischen tummelt sich die Unionsfraktion, die das Thema nutzt, um der Regierung endlich eins auswischen zu können. Die daraus resultierende parlamentarische Debatte schürt Politikverdrossenheit, weil sie programmatische Leitlinien über die Bedürfnisse der Menschen stellt – und am eigentlichen Problem vorbeigeht.
Das Arbeitslosengeld II, Hartz IV also, wurde 2005 eingeführt und nach kurzer Zeit merkte die Politik, dass sie damit nur wenige Probleme gelöst, dafür andere geschaffen hatte. Neue Begrifflichkeiten – beispielsweise gab es statt Arbeitsämtern plötzlich die Bundesagentur für Arbeit und Jobcenter
– konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hartz IV ein Bürokratiemonster war und nicht wie vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder erhofft, für mehr Gerechtigkeit sorgte. Hartz IV wurde zum Klotz am Bein der SPD.
Der heutige Arbeitsminister Hubertus Heil (ebenfalls SPD) machte sich dann an die Arbeit, um das Arbeitslosengeld II zu reformieren. Aus Hartz IV sollte zunächst das „solidarische Grundeinkommen“werden. Der Begriff war aber in der öffentlichen Debatte bald so negativ besetzt, dass er durch „Bürgergeld“ersetzt wurde.
Neu ist: Es gibt etwas mehr Geld für Bedürftige. Außerdem werden das Vermögen und die eigene Wohnung, falls überhaupt vorhanden, nicht mehr so schnell angetastet. Die Union wittert da eine „eklatante
Gerechtigkeitslücke“und versucht in gespielter Empörung, die Ärmeren in der Gesellschaft gegen die Wohlhabenderen auszuspielen. Frei nach der Stammtisch-parole: Die gehen nicht arbeiten, bekommen Geld vom Staat und dürfen noch ihr ganzes Vermögen behalten. Das aber ist Stimmungsmache, die von der Statistik widerlegt wird. Denn die Gruppe derer, die Anspruch auf Bürgergeld haben und gleichzeitig über Vermögen oder gar noch ein Haus verfügen, ist klein. Und wenn sie durch eine Insolvenz ihrer Firma oder eine Krankheit nicht mehr arbeiten gehen können, ist es nur gerecht, wenn das zuvor hart Erarbeitete nicht gleich herangezogen wird.
Der zweite Kritikpunkt am Bürgergeld lautet, es gebe nur noch lasche Sanktionsmöglichkeiten, und da schwindeln sich Union und SPD zusammen in die eigene Tasche. Es gab bei Hartz IV Sanktionen, es gibt sie beim Bürgergeld weiterhin – es gibt aber nicht genug Personal, um sie durchzusetzen. In Berlin etwa ist um die Umgehung von
Hartz-iv-regeln eine regelrechte Kleinindustrie entstanden. Eine Erbschaft von zehntausend Euro gelangt bereits heute mit einem kleinen Kniff mühelos an den Hartz-iv-regeln vorbei aufs Konto – und der Leistungsbezug geht anschließend weiter.
Die Große Koalition aus Union und SPD hatte genügend Zeit, um das Personal in den Jobcentern spürbar aufzustocken und diese Entwicklung zu stoppen. Der Aufwuchs fiel indes viel zu gering aus. Teilweise müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehrere hunderte Fälle betreuen und sehen sich dabei noch Beleidigungen und Übergriffen ausgesetzt. So können sie nicht für die notwendige Gerechtigkeit sorgen und am Ende entsteht in der Bevölkerung das Gefühl, der Staat spanne den Faulen und Bequemen eine soziale Hängematte auf. Dieses Gefühl hat in den letzten Jahren offenbar zugenommen und das Bürgergeld als solches wird dem kein Ende machen. Es braucht eben auch Menschen, die die Regeln durchsetzen.
Regeln sind gut, aber sie müssen auch durchgesetzt werden