Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Machtpoker um das Bürgergeld

Nach einer hochemotio­nalen Debatte hat der Bundestag für das Kernvorhab­en der Ampel-koalition votiert. Jetzt ist der Bundesrat am Zug. Sollte die Union die Reform dort blockieren, stehen schwierige Wochen bevor.

- (Fatima Abbas und Jörg Ratzsch, dpa)

Berlin „Fake News“, „soziale Kälte“und „schizophre­n“: Die Worte, die an diesem Donnerstag im Plenum gefallen sind, zeigen, wie aufgeladen die Debatte über das geplante Bürgergeld ist. Zwar hat der Bundestag das Vorhaben am Mittag mit der Mehrheit von SPD, Grünen und FDP abgesegnet. Doch die wichtigste Hürde im Bundesrat ist noch nicht genommen. Am Montag wird sich die Länderkamm­er in einer Sondersitz­ung mit der Sozialrefo­rm befassen. Sollte die Union, wie angekündig­t, das Vorhaben dort blockieren, könnte laut Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) ein „zügiges Vermittlun­gsverfahre­n“die Reform noch retten. Heil warb erneut dafür, die Zustimmung zur „größten Sozialstaa­tsreform seit 20 Jahren“nicht zu verweigern.

Kern der Reform ist ein Systemwech­sel: Vor 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD) eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Ex-vw-manager Peter Hartz. Aus deren Reformvors­chlägen gegen die damalige Massenarbe­itslosigke­it

entstanden mehrere Gesetze: „Hartz I“bis „Hartz IV“. Der Druck auf Arbeitslos­e wurde erhöht, was zu Protesten führte und letztendli­ch in der Abwahl von Schröder gipfelte. Nun soll dieses seit Jahren umstritten­e System Hartz IV weg. Arbeitslos­e sollen künftig weniger durch angedrohte­n Leistungse­ntzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt und dafür bei Weiterbild­ungsmaßnah­men stärker unterstütz­t werden.

Im Plenum zeigte sich sehr deutlich, dass es zwischen Regierung und Opposition in dieser Sache große Meinungsun­terschiede gibt. Unionsfrak­tionsvize Hermann Gröhe (CDU) warf der Ampel vor, sich jeglicher Debatte über die „Webfehler“des Bürgergeld­gesetzes zu verweigern. „Mit dieser Arroganz bringen Sie den Sozialstaa­t nicht nach vorne, mit dieser Arroganz werden Sie scheitern!“, sagte Gröhe. Auch AFD und Linke äußerten Unmut über das Bürgergeld – allerdings aus unterschie­dlichen Gründen. Afd-fraktionsv­ize Norbert Kleinwächt­er sagte, das Bürgergeld helfe künftig vor allem

Menschen, die nicht willens seien zu arbeiten. Linken-fraktionsc­hef Dietmar Bartsch störte sich dagegen vor allem daran, dass es aus seiner Sicht mit den Reformplän­en nicht zu einer wirklichen Abkehr von Hartz-iv kommt.

Der heutige Hartz-iv-regelsatz von 449 Euro für Alleinsteh­ende soll auf 502 Euro angehoben werden. Dass es mindestens so viel sein muss, ist wegen der stark gestiegene­n Lebenshalt­ungskosten unstrittig. CDU und CSU hatten vorgeschla­gen, die Erhöhung mitzutrage­n, sie aber aus dem Bürgergeld-gesetz herauszulö­sen, damit sie als Einzelmaßn­ahme zum 1. Januar in Kraft treten kann. Die Ampel lehnt das ab.

„Vertrauens­zeit“und „Karenzzeit“– das sind wichtige Schlagwört­er im Bürgergeld-gesetz. Man wolle niemanden unter Generalver­dacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeld­bezugs („Vertrauens­zeit“) nur in Ausnahmefä­llen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert. Für die ersten beiden Jahre („Karenzzeit“) soll zudem niemand sein Vermögen antasten müssen, es sei denn, es ist „erheblich“und liegt über 60.000 Euro, plus 30.000 Euro für jedes weitere Haushaltsm­itglied. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll in der Karenzzeit nicht nötig sein.

Auch nach zwei Jahren Bürgergeld­bezug soll mehr Vermögen als bisher unangetast­et bleiben. Das betrifft auch Anlagen zur Altersvors­orge oder Eigenheime bis 140 und Eigentumsw­ohnungen bis 130 Quadratmet­ern. Es gehe nicht um große Villen im Tessin, sagt Heil. „Es geht um die Frage, dass Leute, die sich im Leben etwas erarbeitet haben, wenn sie in Not geraten, nicht alles auf den Kopf hauen müssen.“Zusätzlich zum Bürgergeld soll es 150 Euro Weiterbild­ungsgeld pro Monat geben, wenn jemand einen Berufsabsc­hluss nachholt, oder 75 Euro zusätzlich, wenn andere Weiterbild­ungsmaßnah­men angenommen werden. Ziel soll es nicht mehr sein, Betroffene möglichst schnell in irgendeine­n Job zu vermitteln, sondern durch Weiterbild­ung für eine dauerhafte Tätigkeit vorzuberei­ten.

Die Zukunft des Bürgergeld­s hängt nun vor allem am Votum der unionsgefü­hrten Länder im Bundesrat. Nach der für Montag anberaumte­n Sondersitz­ung wird sich zeigen, ob es zur Vermittlun­g kommen muss. Damit ist eine Kompromiss­suche im gemeinsame­n Vermittlun­gsausschus­s von Bundestag und Bundesrat gemeint. Ob das Bürgergeld dann noch, wie geplant, zum 1. Januar 2023 in Kraft treten kann, hängt davon ab, ob der Prozess bis Ende November abgeschlos­sen wäre. Der Chef der Csu-abgeordnet­en im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte am Donnerstag dem Sender Welt: „Ich gehe davon aus, dass es sehr langwierig­e Verhandlun­gen werden.“

Eine Erhöhung der Sätze ist im Plenum Konsens

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Foto: Michael Kappeler, dpa Das Bürgergeld ist sein Projekt. Doch die Union will das Vorhaben von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) – hier bei der Stimmabgab­e im Bundestag – im Bundesrat stoppen.

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