Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
„Das ist dann das Ende des Kapitalismus“
Die Journalistin und Buchautorin Ulrike Herrmann erklärt, welche Auswirkungen eine konsequente Klimapolitik auf die Gesellschaft und insbesondere auf das Wirtschaftssystem hätte.
Frau Herrmann, alle reden über Klimaneutralität. Sie haben durchgerechnet, wie sich unser Leben und Wirtschaften ändern müsste, und darüber ein Buch geschrieben. Ihr Ergebnis: Die Überflussgesellschaft funktioniert nicht mehr. Muss nun der Kapitalismus enden?
Ulrike Herrmann: Das Kernproblem ist: Windkraft und Solarenergie werden nicht reichen, um unser gesamtes Wirtschaftssystem zu befeuern. Also wird es auf grünes Schrumpfen hinauslaufen. Das ist dann automatisch das Ende des Kapitalismus. Denn der Kapitalismus braucht Wachstum, um stabil zu sein. Nicht dass Sie denken, ich wäre eine Kapitalismuskritikerin. Ich finde ihn fantastisch, weil er Wohlstand und Wachstum ermöglicht hat. Aber ohne Wachstum kommt es sofort zu schweren Krisen. In einer endlichen Welt kann man jedoch nicht unendlich wachsen. Das ist eine Banalität. Momentan tun die Deutschen so, als könnten sie drei Planeten verbrauchen, aber es gibt nur eine Erde gibt nur eine Erde.
Sie sagen: Wir können noch so viele Windkraft- und Photovoltaikanlagen bauen – die werden nicht reichen, um unseren Energiehunger zu stillen. Wieso nicht?
Herrmann: Im Augenblick deckt die Windkraft erst 4,7 Prozent des deutschen Energieverbrauchs ab, die Solarenergie ist sogar nur bei zwei Prozent. Das heißt, wir müssen noch sehr viel Windkraft und Solarenergie installieren. Zudem scheint die Sonne nicht immer, und der Wind weht nicht immer. Also muss man enorme Mengen an Strom zwischenspeichern. Das ist extrem aufwendig und macht das ganze System so teuer.
Damit bedienen Sie die Argumente derer, die schon immer gesagt haben: Die Klimawende funktioniert doch nicht.
Herrmann: Nein. Es ist nun einmal eine bedauerliche Tatsache, dass grünes Wachstum nicht funktioniert. Es bringt nichts, die Augen davor zu verschließen, dass es auf grünes Schrumpfen hinaus laufen wird.
Viele Menschen denken ja, dass sie schon vorne dabei sind, wenn sie ein E-auto fahren. Stimmt aber nicht, sagen Sie.
Herrmann: Nein, das E-auto verschwendet zu viel Energie. Auch beim E-auto wird deutlich mehr als eine Tonne Material bewegt, um im Schnitt 1,3 Insassen zu transportieren. Diese Art der Energieverschwendung kann man sich nicht leisten, wenn der Ökostrom knapp und teuer ist. Das ist nicht das Ende der Mobilität. Man kann ja auch Bus fahren. Die Frage ist eher: Was macht man mit den Menschen, die bisher in der Automobilindustrie arbeiten? Das sind direkt und indirekt etwa 1,75 Millionen Beschäftigte in Deutschland.
Und, was wird daraus?
Herrmann: Viele Menschen werden ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn wir klimaneutral werden. Andererseits werden viele neue Arbeitsplätze entstehen – die Windanlagen müssen ja auch gebaut werden. Den Wald wird man wieder aufforsten müssen. In der ökologischen Landwirtschaft braucht man sehr viel mehr Menschen als heute, weil die schweren Maschinen, die man heute einsetzt, den Boden ruinieren. Die Arbeit geht nicht aus. Aber die Einkommen werden sinken. In einer schrumpfenden Wirtschaft werden weniger
Güter hergestellt – da kann man nicht mehr so viel verdienen wie heute.
Und wie sieht diese Lösung aus?
In der Geschichte gab es bereits einmal den Fall, dass eine Wirtschaft geschrumpft werden musste. Das war in Großbritannien ab 1939. Die Fabriken mussten freigeräumt werden, um Waffen für den Krieg gegen Hitler zu produzieren. Die Konsumgüter wurden also knapp. Der Staat gab vor, was noch produziert wird – und hat die Waren dann gerecht verteilt. Es wurde also rationiert, was ungemein populär war, weil Arme und Reiche das Gleiche bekamen. Die Briten haben damals eine völlig neue Wirtschaftsform erfunden: eine demokratische private Planwirtschaft. Es war ein völlig anderes System als der Sozialismus, denn die Fabriken wurden nicht verstaatlicht.
Ihr Buch hat mich schon ein bisschen deprimiert. Weil einem klar wird, wie schwer das wird. Das ist doch nicht durchsetzbar. Jede Partei, die diesen Kurs verfolgt, würde sofort abgewählt.
Herrmann: Es stimmt, dass die Wähler meinen Vorschlag momentan nicht unterstützen würden. Aber man muss einen Unterschied machen zwischen Analyse und politischer Durchsetzbarkeit. Wenn man nur denkt, wofür es Mehrheiten gibt, muss man gar nicht neu nachdenken – weil es die Mehrheit ja schon denkt. Fortschritt ist nur möglich, wenn man gängige Annahmen hinterfragt. Und ich habe mich eben mit der Frage beschäftigt, ob grünes Wachstum möglich ist. Leider ist es eine Illusion.
Machen Sie uns doch mal ein bisschen Mut. Sie sagen ja, wir würden immerhin nicht in der Steinzeit landen.
Herrmann: Genau. Falls wir auf 50 Prozent unserer Wirtschaftsleistung verzichten müssten, wären wir so reich wie im Jahr 1978. Alle, die dabei waren, wissen: Wir waren so glücklich wie heute. Damals wurde Argentinien Fußball-weltmeister und der erste Teil von „Star Wars“kam in die Kinos. Das Leben war nicht wirklich anders. Es gab nur keine Erdbeeren im Winter, und man ist auch nicht für zwei Tage nach Mallorca gejettet, sondern mit dem Auto drei Wochen nach Italien an den Strand gefahren. Ich glaube, dass viele sagen würden: So schlecht war es gar nicht in Italien am Strand.
> Ulrike Herrmann: „Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind und wie wir in Zukunft leben werden“, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten.