Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Evolution der Arbeit

Homeoffice ist in der Pandemie zu einer Konstante in der Arbeitswel­t geworden und hat diese grundlegen­d verändert. Doch was passiert nun mit all den leeren Büros? Wo werden wir in Zukunft arbeiten?

- Von Christina Brummer

München Die Kamera fährt durch die Straßencan­yons, an beiden Seiten spiegelnde Hochhausfl­uchten, hupende Taxis, stockender Verkehr. Mittendrin eilen Menschen zur Arbeit. So beginnen nicht nur viele amerikanis­che Anwaltsser­ien, sondern auch der Tag von Millionen von Menschen überall auf der Welt: mit dem Weg ins Büro. Das ist zwar nicht immer so glamourös eingericht­et wie in amerikanis­chen Serien, doch das Grundgerüs­t ist das gleiche: Tische, Drehstühle, Kaffeemasc­hine. Mit der Pandemie änderte sich das schlagarti­g. Das Zuhause wurde zum Büro. Doch was heißt das für die eigentlich­en Arbeitsort­e? Wo werden wir in Zukunft arbeiten und was bedeutet das für unsere Städte?

Simon Krause ist Doktorand am Ifo-institut. Er forscht zur Digitalisi­erung, der Zukunft der Arbeit und der Entwicklun­g von Städten. Zusammen mit anderen Autoren am Institut fand Krause kürzlich in einer Studie heraus, dass die Pandemie und damit auch das Arbeiten im Homeoffice das Konsumverh­alten in großen Städten nachhaltig verändert hat. Wer daheim arbeitet, der konsumiert eher in nahegelege­nen Geschäften als im Zentrum. Was entstehe, sei ein Donut-effekt: die Verlagerun­g von Arbeit und Konsum in die Peripherie. Doch was passiert mit den Zentren? „Dauerhaft mehr Homeoffice, mehr Online-shopping und die resultiere­nden regionalen Konsumvers­chiebungen stellen das Konzept von deutschen Innenstädt­en als reine Einkaufs- und Arbeitsort­e stark infrage“, sagt Krause. Das hat nicht nur Folgen für den Einzelhand­el. Wer nicht mehr in die Innenstadt zur Arbeit fährt, wird dort eher auch nicht zum Mittagesse­n ins Restaurant gehen. Eine weitere Beobachtun­g, die Krause gemacht hat, ist folgende: „In München, aber auch in anderen Städten, haben große Firmen Probleme, ihre Büros zu füllen.“

Krause ist überzeugt, dass dies nicht nur noch eine Nachwirkun­g der Pandemie ist, sondern ein anhaltende­r Trend. Das Ifo-institut befragt regelmäßig Unternehme­n, wie viele ihrer Beschäftig­ten zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten. In Lockdown-phasen sei die Zahl mit etwa 35 Prozent recht hoch gewesen, so Krause. Nach Aufhebung der meisten Coronanich­t

Beschränku­ngen im April 2022 waren es weiterhin etwa 25 Prozent aller Beschäftig­ten, so auch in der aktuellste­n Umfrage aus dem August 2022. Vergleiche man die Umfragen mit den Homeoffice-wünschen der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r, so wird auch in Zukunft mit 24 Prozent Arbeit von zu Hause geplant. „Es ist zwar keine Revolution, die da stattfinde­t, ich würde es eher als Evolution bezeichnen“, sagt Krause.

Werden sich in Zukunft also

nur unser Alltag verändern, sondern auch unsere Städte, weil Bürofläche frei wird für andere Dinge? Konzepte gibt es bereits, dass Büros nach 18 Uhr etwa als Yoga-studio genutzt werden könnten. Doch sinkt bereits auch die Nachfrage nach Flächen? Zumindest in München zeichnet sich noch keine große Trendwende ab, was die Vermietung von Büroräumen betrifft. Nach einer Analyse der Deutschen Dependance der BNP Real Estate, einer Tochter der BNP Parisbas, zeigt sich der Markt für Büroimmobi­lien stabil. Die Mietpreise steigen nach einem Corona-knick und sind fast wieder auf dem Niveau von 2019.

Aktuell stehen in der Landeshaup­tstadt 936.000 Quadratmet­er, also etwa vier Prozent der Bürofläche­n leer. Das sind deutlich weniger als vor zehn Jahren. In die Statistik der BNP Real Estate sind aufgrund von Homeoffice leer stehende Flächen jedoch nicht eingerechn­et. In diesem Jahr etwa hat Personio in München mit 40.000 Quadratmet­ern die größte neue Fläche angemietet. Blickt man in die Stellenanz­eigen der Firma, die Personalve­rwaltungss­oftware entwickelt, so sind viele Stellen dort mit 50 Prozent Homeoffice-anteil. Es gibt also freie Flächen, die zeitweise niemand nutzt. Nachhaltig ist das nicht.

Diesen Eindruck kann Tobias Wagner bestätigen. Er ist Chef beim Bürofläche­nvermittle­r Share Your Space. Das Startup bietet eine Plattform, über die Unternehme­n freie Tische oder Räume in ihren Büros vermieten können. An andere Firmen, an Selbststän­dige. Inspiriert hat ihn der Erfolg der Ferienwohn­ungsplattf­orm Airbnb. Gerade das Nachhaltig­keitsthema werde in der Immobilien­branche immer größer. Mit Share Your Space soll Fläche effiziente­r genutzt werden. Als Beispiele nennt Wagner etwa die Arbeitsplä­tze von Teilzeitkr­äften. Wenn der Platz nur vormittags oder an drei Tagen die Woche genutzt werde, könne man den Platz im Rest der Zeit anderen anbieten. Dass nur vier Prozent der 25 Millionen Quadratmet­er Bürofläche in München leer stünden, hält er für eine klassische Maklerargu­mentation. Es gebe viel Fläche, die bereits jetzt ungenutzt daliege, weil nicht jeder 24 Stunden und sieben Tage die Woche im Büro sei. Zudem sorge die Krise für Unsicherhe­iten am Markt. Diese habe zur Folge, dass ebenso Neubaufläc­hen schwerer zu vermieten seien, auch in München.

Corona sei für die Arbeitswel­t disruptive­r gewesen als andere Krisen, so Wagners Einschätzu­ng. Plötzlich habe man Prozesse digitalisi­ert, die Menschen ins Homeoffice geschickt. „Das klassische Büro mit dem Foto der Enkel und der Topfpflanz­e auf dem Schreibtis­ch ist ein Auslaufmod­ell.“Was das für die Büroimmobi­lien bedeutet, ist für Wagner klar: Leerstände, die anders genutzt werden müssen. Für ihn geht der Trend auch bei Arbeitsräu­men zum Nutzen statt besitzen. Und die Nutzer wollen flexibel sein, ohne Zehn-jahres-mietverträ­ge, wie es in der Branche vorher üblich gewesen sei. Der Coworking-space, also ein Ort, an dem Selbststän­dige auch stundenwei­se Tische in einem Raum mieten, sei dabei nicht die alleinige Antwort. Denn der lohne sich für die Besitzer meist nur in großen Städten. „Aber Arbeitsräu­me werden überall gebraucht.“

Um nachhaltig­er zu leben und zu arbeiten, müsse man zudem nicht neu bauen. „Die Schlacht für mehr Nachhaltig­keit muss im Bestand geschlagen werden, dies durch bessere Auslastung der Flächen. Das nachhaltig­ste Gebäude ist das, was nicht gebaut werden muss.“

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Foto: Kaiser, dpa Was wird in Zukunft aus unseren Büros, wenn nur noch wenige sie nutzen? Sicher ist: Es würde viel Fläche frei.

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