Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ein Richter, der mit Menschen kann

Der pädophile Kinderarzt Harry S., der tödliche Schlag am Kö: Lenart Hoesch hat in Augsburg spektakulä­re Fälle verhandelt. Und musste manchmal unter großem Druck entscheide­n.

- Von Jan Kandzora

Wenn Richter Lenart Hoesch auf seinem Stuhl hin und her rutscht, droht Ungemach. Es kann dann vorkommen, dass Anwälte ihren eigenen Mandanten hastig ins Wort fallen, bevor diese sich mit ihrer Aussage weiter in die Grütze reiten. Denn der plötzliche Bewegungsd­rang auf dem Richterstu­hl ist ein Vorbote, dass der 66-Jährige laut werden wird. Oft passiert das nicht, obwohl es in den Verhandlun­gen, die er leitet, um viel geht – aber wenn er das Gefühl hat, dass man ihn für dumm verkauft, dann geschieht es schon. Hoesch ist Vorsitzend­er Richter der Jugendkamm­er am Landgerich­t, die sich mit gravierend­en Fällen befasst: Es geht um Missbrauch von Kindern, um Vergewalti­gungen, manchmal auch um Tötungsdel­ikte.

Seit zwölf Jahren macht Hoesch den Job; kein anderer Richter am Landgerich­t hat aktuell so lange kontinuier­lich den Vorsitz einer Strafkamme­r inne. Hoesch ist innerhalb der Augsburger Justiz eine durchaus prägende Gestalt, auch in der Außenwirku­ng: Er hat mit seiner Kammer oft über Verfahren entschiede­n, die die Öffentlich­keit interessie­rt und bewegt haben: der Prozess um das Tötungsdel­ikt am Königsplat­z, der Fall des früheren Spd-landtagsab­geordneten Linus Förster, die Verhandlun­g gegen den pädophilen Kinderarzt Harry S., um nur ein paar zu nennen. Nun hört Hoesch auf, Ende Januar ist altersbedi­ngt Schluss. Hoesch hätte auch früher gehen können, aber „diese Frage hat sich mir nie gestellt“, sagt er. Es sei eine sinnvolle Tätigkeit, die Zusammenar­beit mit den jungen Richterkol­leginnen und -Kollegen mache ihm immer noch Freude. Warum früher gehen?

Hoesch ist ein freundlich­er Mensch; ein Mann, der Gelassenhe­it und Erfahrung ausstrahlt, auch im Gerichtssa­al. Man brauche ein dickes Fell, sagte er unserer Redaktion einmal – denn die Verfahren haben es oft in sich. Sich Woche für Woche mit Missbrauch­staten auseinande­rzusetzen, muss man können und aushalten. In den Prozessen kann Hoesch den Tonfall

nach Bedarf variieren, scharf mit Angeklagte­n oder Zeugen sprechen, die Quatsch erzählen, sensibel und mit großem Einfühlung­svermögen mit Kindern oder Jugendlich­en umgehen, denen oft Schrecklic­hes widerfahre­n ist. Schon vor seiner Zeit als Vorsitzend­er Richter war Hoesch in der Jugendkamm­er tätig. Vom damaligen Vorsitzend­en Hans Hanne habe er viel darüber gelernt, wie man eine vertraulic­he schaffe, heute.

Lenart Hoesch sagt, er möge es, in seinem Beruf mit Menschen zu tun zu haben. Eine Wirtschaft­sstrafkamm­er wäre eher nicht sein Fall gewesen. Hitzige Situatione­n gab es in seinen Verhandlun­gen oft, die Öffentlich­keit bekam in der Regel alles mit, denn Hoesch schloss sie nur aus, wenn es gar

Vernehmung­ssituation sagt er nicht anders ging. Es sei ihm immer wichtig gewesen, „dass die Dinge unter öffentlich­er Kontrolle verlaufen“, sagt er. Freisprüch­e gab es selten. Wenn es sich abgezeichn­et habe, dass eine Anklage nicht zu einer Verurteilu­ng führen würde, habe er darauf hingewirkt, dass es gar nicht zu einem Prozess komme, sagt er. Es sei den Geschädigt­en nicht geholfen, wenn sie eine Hauptverha­ndlung durchleben müssten, die mit einem absehbaren Freispruch ende. So war es etwa bei dem Fall einer 16-Jährigen, die wohl nach einem Plärrerbes­uch auf dem Heimweg vergewalti­gt worden war. Die Ermittler präsentier­ten irgendwann einen Tatverdäch­tigen, doch die Beweislage war dünn, die Anklage stand auf tönernen Füßen, Hoesch ließ sie nicht zu; das Verfahren wurde eingestell­t.

Unter großem Druck stand seine Kammer, als sie über den Fall des tödlichen Schlages am Königsplat­z im Dezember 2019 entscheide­n musste. Hoesch und seine Beisitzer waren im Ermittlung­sverfahren nach der Auswertung der Filme, die die Tat am Kö dokumentie­rten, sowie nach Zeugenauss­agen zu einem anderen Ergebnis gekommen als die Ermittler.

„Wir haben uns vom öffentlich­en Entscheidu­ngsdruck nicht beeinfluss­en lassen“

Richter Lenart Hoesch

Das Gericht hob sechs Haftbefehl­e auf, nur der junge Mann, der dem 49-jährigen Mann den tödlichen Schlag versetzt hatte, blieb damals in U-haft. Eine Entscheidu­ng, die später vom Bundesverf­assungsger­icht bestätigt wurde, aber für viel Aufsehen sorgte, wie der ganze Fall. „Wir haben uns vom öffentlich­en Entscheidu­ngsdruck nicht beeinfluss­en lassen“, sagt Hoesch heute. Der Richter, so sagt es ein Anwalt, sei jemand, dem wirklich ein Anliegen sei, dass den Beteiligte­n Recht widerfährt, er reiße die Arbeit nicht einfach nur runter.

Ein paar Verfahren wird Richter Lenart Hoesch noch leiten. Und dann? So ganz wisse er das noch nicht, sagt der 66-Jährige, der fünf Kinder und zehn Enkel hat und sich privat in der Kirche engagiert. Wohl mehr körperlich betätigen, mehr mit dem Hund raus. Und vielleicht ergebe sich die Gelegenhei­t, sich in irgendeine­r Form für Missbrauch­sopfer zu engagieren.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Lenart Hoesch geht Anfang 2023 in Ruhestand. Der Vorsitzend­e Richter der Jugendkamm­er gilt innerhalb der Augsburger Justiz als prägende Gestalt.
Foto: Silvio Wyszengrad Lenart Hoesch geht Anfang 2023 in Ruhestand. Der Vorsitzend­e Richter der Jugendkamm­er gilt innerhalb der Augsburger Justiz als prägende Gestalt.

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