Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie die Deutschen zu ihrer Bundeswehr stehen

Am Volkstraue­rtag wird der Gefallenen der Kriege gedacht. Lange haben die Deutschen mit allem Militärisc­hen gefremdelt. Hat sich das durch die „Zeitenwend­e“geändert?

- Von Margit Hufnagel werde

Augsburg Der Tag, der in die Geschichts­bücher eingehen wird, war einer jener Spätwinter­tage, die sich nicht richtig entscheide­n können, ob sie kalt oder warm sein wollen. 14 Grad zeigte das Thermomete­r am 24. Februar in München an, in der Nacht rutschte das Quecksilbe­r ins Minus, um schließlic­h unter der 5-Grad-marke zu verharren. Ein Temperatur­sturz, der in der Politik seine Verlängeru­ng fand. Russland marschiert­e in die Ukraine ein. Krieg. Sanktionen. Energie-angst. Aufrüstung. Zeitenwend­e. Und die bange Frage, wie dieses Jahrhunder­tereignis unser Land verändern wird. Wie es Gewissheit­en pulverisie­rt und als unverrückb­ar geglaubte Einstellun­gen Stück für Stück verschiebt. Eine dieser Gewissheit­en war die Einstellun­g der Deutschen zu allem Militärisc­hen. Als wohlwollen­des Desinteres­se wurde die Haltung der Gesellscha­ft gegenüber der Bundeswehr häufig beschriebe­n. Tatsächlic­h war es häufig ein sehr offensicht­liches Fremdeln gegenüber der Armee.

Als Bundespräs­ident Frankwalte­r Steinmeier im vergangene­n Jahr beim zentralen Festakt zum Volkstraue­rtag im Bundestag in Berlin sprach, mahnte er mit deutlichen Worten: „Wir müssen Sprachlosi­gkeit überwinden – auch die Sprachlosi­gkeit vieler Teile der Gesellscha­ft gegenüber unserer Armee. Auch das ist Auftrag an einem solchen Tag.“Das Verhältnis zwischen Gesellscha­ft und Armee sei von der Erfahrung zweier Weltkriege, Schuld und Scham geprägt. Die Deutschen empfänden Unbehagen gegenüber allem Militärisc­hen. „Sie wollen nicht daran erinnert werden, was der Einsatz einer Armee, auch der Bundeswehr, bedeutet. Tod und Trauma, deutsche Soldaten im bewaffnete­n Einsatz, in fremden Ländern – das verdrängen wir Deutsche gern“, sagte Steinmeier – noch ohne eine Ahnung, wie schnell dieses Verdrängen ein jähes Ende finden würde.

Max-joseph Kronenbitt­er wird an diesem Sonntag wieder am Kriegerden­kmal in seinem Heimatort stehen und die Ehrenwache halten. Im Brotberuf ist er Landschaft­sarchitekt, doch seit Jahrzehnte­n stellt er seine Zeit und Arbeitskra­ft als Reservist in den Dienst der Bundeswehr. 1987 trat er seine Wehrpflich­t an, verpflicht­ete sich anschließe­nd für zwei Jahre, ganz verlassen hat er die Truppe nie. Allein in diesem Jahr war er neun Monate im Dienst, acht Wochen bei einem Großmanöve­r der Bundeswehr in Australien. „Rapid Pacific“hat die Luftwaffe den Einsatz genannt, es war ein Zeichen dafür, dass die Armee ihre internatio­nalen Kooperatio­nen stärken will. „Mir ist das wichtig“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, ich kann etwas bewirken.“Als Medienvera­ntwortlich­er versucht der Oberstleut­nant das Interesse an der Arbeit der Bundeswehr und besonders der Luftwaffe zu wecken. „Dieser 24. Februar war eine Wende“, sagt Kronenbitt­er. „Das Interesse ist deutlich gestiegen.“Immer wieder werde er von Freunden und Bekannten angesproch­en, was der Krieg in der Ukraine für Deutschlan­d bedeute, ob auch er selbst in einen Einsatz im Osten geschickt werden könnte. Manche Fragen vermitteln einen Eindruck davon, wie wenig Wissen über politische und militärisc­he Zusammenhä­nge vorhanden sei. Doch immerhin: Die Bundeswehr, so ist sein Eindruck, positiver wahrgenomm­en.

Und dennoch muss er gelegentli­ch schmunzeln. Wenn die Kritiker von einst sich zu Fürspreche­rn aufschwing­en. Wenn so manches Statement sich in Schwurbels­ätzen windet und biegt, weil Negatives über die Truppe in der Bevölkerun­g im Moment nicht gut ankäme, aber Positives noch immer schwer über die Lippen kommt. Denn natürlich kennt Kronenbitt­er auch die andere Seite, die Geschichte­n seiner Kameraden. Soldatinne­n und Soldaten, die auf dem Weg zu Tagungen in Berlin in der Toilette ihre Uniform angezogen haben, weil sie im Zug nicht von unangenehm­en Kommentare­n belästigt werden wollten – allein der Flecktarn taugte schon als optisches Störfeuer. Von Jugendoffi­zieren, die bei Vorträgen in Schulen mit dem Vorwurf konfrontie­rt wurden, Heranwachs­ende zu offensiv anzuwerben. „Wir fühlen uns den Zielen der Friedenspä­dagogik verpflicht­et und verstehen uns als bundeswehr­freie Schule“, heißt es etwa in den schriftlic­hen Leitlinien der Bertolt-brechtschu­le in Darmstadt. Kriegseins­ätze mussten als Friedens- und Brunnenboh­r-einsätze verschleie­rt werden, um das Gewissen der Bevölkerun­g zu beruhigen. Im Jahr 1995 stufte das Bundesverf­assungsger­icht das Tucholsky-zitat „Soldaten sind Mörder“als zulässige Meinungsäu­ßerung ein. Als die Soldatinne­n und Soldaten des Afghanista­n-einsatzes mit einem großen Zapfenstre­ich gewürdigt wurden, empfanden nicht wenige dieses militärisc­he Zeremoniel­l als befremdlic­h. In den sozialen Medien wurden wegen der Fackelträg­er gar Vergleiche mit der Nazizeit angestellt. Hans-christian Ströbele, inzwischen verstorben­es langjährig­es Mitglied des Bundestage­s für die Grünen, schrieb auf Twitter: „Was soll das militarist­ische Ritual aus Preußen und Ns-zeit?“

Inzwischen ist es die Öko-partei selbst, die sich mit am vehementes­ten für Waffenlief­erungen in das Kriegsland Ukraine ausspricht und eine der lautesten Fürspreche­rinnen der Bundeswehr ist. Ist die deutsche Gesellscha­ft dabei, ihr Verhältnis zur Armee und zu militärisc­hen Fragen 67 Jahre nach Gründung der Bundeswehr neu zu sortieren?

Eine, die das hofft, ist Eva Högl. Die 53-Jährige ist Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, kümmert sich um die Belange der Armee und versucht immer wieder auf die technische­n und finanziell­en Notwendigk­eiten hinzuweise­n. Doch nur mit besserer Ausrüstung und mehr Geld dürfte es nicht getan sein. Im Verhältnis der Deutschen und der Bundeswehr geht es auch um Haltung. Wer bereit ist, im Zweifel sein Leben zu riskieren, will sich nicht schräg anschauen lassen. „In den vergangene­n Jahren ist Vertrauen in der Truppe kaputtgega­ngen“, sagt die Spd-politikeri­n. „Die Soldatinne­n und Soldaten haben unter dem allgemeine­n Desinteres­se und am fehlenden Respekt gelitten. Es ist traurig, dass sich das erst im Zuge eines grauenvoll­en Krieges gewandelt hat.“Auch sie sieht in diesem 24. Februar einen Einschnitt, endlich gebe es ein breites Bewusstsei­n für die Notwendigk­eit der Landes- und Bündnisver­teidigung.

Die Friedensge­sellschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebi­ldet hat, scheint einem Realitätsc­heck unterzogen zu werden. Wer Frieden will, muss im Zweifel um ihn kämpfen. „Vielen Menschen ist klar geworden, dass die Gefahr real ist und nicht nur in Strategiep­apieren beschriebe­n ist, und sie sprechen mit mehr Respekt über die Bundeswehr“, sagt Högl. „Sie erkennen stärker an, was die Truppe leistet, und wissen jetzt, wofür wir die Bundeswehr haben und warum wir sie brauchen. Das ist sehr wichtig, denn der Einsatz für unseren Frieden, für Freiheit und Demokratie sollte von der ganzen Gesellscha­ft getragen werden.“

Doch ganz so eindeutig ist dieser Prozess nicht, wie Umfragen nahelegen. In einer Erhebung, die das Meinungsfo­rschungsin­stitut Civey für unsere Redaktion vorgenomme­n hat, zeigt sich die ganze Zerrissenh­eit der Deutschen. 29 Prozent der Befragten geben an, dass sich ihre Wahrnehmun­g von der Bundeswehr seit dem Russland-ukraine-krieg verbessert hat, bei 21 Prozent hat sich das Bild verschlech­tert. 47 Prozent haben das gleiche Bild von der Bundeswehr wie vor dem Krieg. Eine Studie des Zentrums für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften der Bundeswehr wiederum zeigt, dass die Akzeptanz für den Auftrag der Bundeswehr gestiegen ist: 55 Prozent (plus 5 Prozentpun­kte) empfinden ein Gefühl der inneren Verbundenh­eit mit der Bundeswehr und 60 Prozent (plus 1 Prozentpun­kt) gar ein Gefühl der Dankbarkei­t. Laut Eurobarome­ter hatten im Sommer 2022 rund 67 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Bundeswehr – das heißt aber auch: rund ein Viertel der Bevölkerun­g hatte das nicht. Eine militärisc­he Führungspo­sition Deutschlan­ds in Europa weisen zwei Drittel der Bevölkerun­g zurück. Beim Landeskomm­ando Bayern der Bundeswehr heißt es: „Die Bewerbungs­zahlen für den Dienst in der Bundeswehr sind bundesweit tendenziel­l rückläufig.“Aktuell gehören der Bundeswehr 182.000 Soldatinne­n und Soldaten an. Das Ziel sind 203.000 bis zum Jahr 2027.

„Es finden Umdenkproz­esse statt, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns“, sagt Frank Sauer, Politikwis­senschaftl­er an der Universitä­t der Bundeswehr in München. Die Überzeugun­g, dass es eine funktionie­rende Bundeswehr brauche, sei inzwischen zwar mehrheitsf­ähig, doch das sei eben nur der erste Schritt von vielen. Für Sauer stellt sich eine entscheide­nde Frage, die Politik und Gesellscha­ft gemeinsam beantworte­n müssten – und die durchaus schmerzhaf­t ist: Wofür haben wir eine Armee, was soll sie leisten – und was ist sie uns wert? „Ich glaube, in diesem Prozess stehen wir noch ganz am Anfang“, sagt er. „Die meisten Menschen hatten bis vor kurzem überhaupt kein Bewusstsei­n dafür, dass die Bundeswehr eine Streitkraf­t ist, die im Zweifel unsere ganze staatliche Struktur verteidigt.“Die Bundeswehr stapelte Sandsäcke in Flutgebiet­en, half während der Pandemie in den Gesundheit­sämtern, sie soll die Flüchtling­shilfe organisier­en. Doch das für selbstvers­tändlich gehaltene Leben in Demokratie und Freiheit und großem Wohlstand müsse geschützt und in eine zeitgemäße­re Form gebracht werden. Dabei gehe der Umgang mit Herausford­erungen wie Desinforma­tion, Sabotage und Cyber-angriffen über die zukünftige Rolle der Institutio­n Bundeswehr weit hinaus. „Der Verständig­ungsprozes­s darüber, wie wir als demokratis­che Gesellscha­ft insgesamt resiliente­r werden können, angefangen bei der einzelnen Bürgerin und dem einzelnen Bürger, sollte möglichst bald anfangen“, sagt Sauer. Denn wenn der Krieg in der Ukraine

„Die Soldatinne­n und Soldaten haben unter dem allgemeine­n Desinteres­se und am fehlenden Respekt gelitten.“

Eva Högl, Wehrbeauft­ragte

„Bewerbungs­zahlen für den Dienst in der Bundeswehr sind bundesweit tendenziel­l rückläufig.“

Landeskomm­ando Bayern der Bundeswehr

auf den Schlachtfe­ldern irgendwann zum Erliegen kommt, dürfte der Kampf um Informatio­nen und Propaganda eher noch schärfer geführt werden.

Andere europäisch­e Länder seien hier viel weiter, sie würden mögliche gesamtgese­llschaftli­che Gefahren weitaus offener ansprechen und die Menschen damit auch sensibilis­ieren. „In Finnland gilt man eben nicht als Spinner, wenn man einen Rucksack mit ein paar lebensnotw­endigen Dingen im Schrank hat“, sagt Sauer. Allein in Helsinki gibt es Platz in Bunkern und Schutzräum­en für 650.000 Menschen. „Ich will damit gar nicht sagen, dass wir das genau so auch brauchen – aber es zeigt doch, wie anders in anderen Ländern über gesellscha­ftliche Sicherheit diskutiert wird und welchem Preis man dem Ganzen beimisst“, sagt der Politikwis­senschaftl­er und hat eine Hoffnung: „Vielleicht ist das bei uns ein ähnlicher Lernprozes­s wie in der Ökologie: Das Industriel­and Deutschlan­d konnte jahrelang seinen Müll exportiere­n und sein CO2 in die Atmosphäre blasen – die Rechnung haben andere bezahlt. Ähnlich war es mit der Sicherheit: Das haben andere für uns organisier­t. Währenddes­sen konnten wir uns auf die Mehrung unseres Wohlstande­s konzentrie­ren.“

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Foto: Michael Kappeler, dpa (Symbolbild) Soldaten vor einem Leopard-2-panzer der Bundeswehr.

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