Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Man muss fühlen und führen können“

Ministerpr­äsident Markus Söder erklärt, wie er Bayern durch die Krise bringen will und warum er im Streit mit Berlin um das Bürgergeld hart bleibt. Der CSU-CHEF spricht über die eigene politische Zukunft und lüftet das Geheimnis um sein Lieblingsk­leidungs

- Söder: Söder: Söder: Söder: Interview: Uli Bachmeier und Michael Stifter

Herr Söder, früher war es in Bayern mal so, dass die CSU mächtig stolz darauf war, zu sagen, Bayern ist gleich CSU, CSU ist gleich Bayern. Jetzt heißt Bayern eher CSU und Freie Wähler. Haben Sie Ihren Alleinvert­retungsans­pruch aufgegeben? Verblasst der Mythos CSU?

Die Mehrzahl der Bürgerinne­n und Bürger stellt sich in diesen schwierige­n Zeiten vermutlich ganz andere Fragen. Unser Ziel ist, dass wir Bayern so gut wie möglich durch die Krisen bringen. Dafür machen wir als Staatsregi­erung alles, was möglich ist. Wir legen einen milliarden­schweren Härtefallf­onds auf, um die Menschen, unsere Wirtschaft und Einrichtun­gen im ganzen Land zu entlasten. Gleichzeit­ig investiere­n wir massiv in erneuerbar­e Energien und Wasserstof­f. Wir sind überzeugt: Ein starkes, unabhängig­es Bayern tut auch Deutschlan­d gut. Wir wollen unsere Selbststän­digkeit bewahren und keine Vorgaben aus Berliner Parteizent­ralen bekommen. Deshalb wollen wir die bürgerlich­e Regierung in Bayern mit den Freien Wählern fortsetzen. Je größer die Krisen sind, desto ernsthafte­r ist unsere Zusammenar­beit.

Als wir an dieser Stelle Hubert Aiwanger gefragt hatten, wie er sich mit Ihnen als Chef so versteht und ob Sie sich mögen, hat er nach einer kleinen Kunstpause gesagt: Ja mei, mögen …

Ich mag ihn. (lacht)

Das heißt?

Es ist wie in jeder Familie und jedem Unternehme­n: Einer muss am Ende die unterschie­dlichen Interessen zusammenfü­hren. Ein Ministerpr­äsident ist ja auch Landesvate­r, das heißt, man muss fühlen und führen können. Und am Ende auch Entscheidu­ngen treffen, wenn andere sich wegducken – wie zum Beispiel zu Beginn der Corona-pandemie, als es keine Blaupause gab. Ein Ministerpr­äsident muss außerdem vermitteln und ausgleiche­n können, erst recht in einer Koalition. Hubert Aiwanger ist ein fleißiger Minister, gerade jetzt in der Krise arbeiten wir sehr gut zusammen. Deswegen wollen wir die gemeinsame Arbeit fortsetzen. Wir setzen auf Stabilität in unserem Land.

Vermutlich haben Sie beide auch wenig übrig für die Proteste radikaler Klimaaktiv­isten. Aber muss man gleich von einer RAF sprechen, wie etwa Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt?

Söder: Es ist sicher eine zugespitzt­e Formulieru­ng, aber Alexander Dobrindt weist völlig zu Recht auf ein Problem hin: Es besteht die Gefahr, dass sich die Proteste radikalisi­eren. Ein Rechtsstaa­t muss eine klare Linie haben, wenn es um Leib und Leben geht oder um Eigentum und Sachbeschä­digung. Wer Kunstwerke verunstalt­et oder Rettungsfa­hrzeuge blockiert und damit indirekt Leben gefährdet, überschrei­tet eine Grenze. Wir hatten große Demonstrat­ionen von „Fridays for Future“, die wurden von mir inhaltlich nie kritisiert, im Gegenteil: Ich habe mit den jungen Menschen viele Gespräche geführt. Aber die heutige Form der Proteste mit der Gefährdung von Menschen ist damit nicht zu vergleiche­n. Klimaschut­z hatte für mich schon immer einen hohen Stellenwer­t. Dem einen oder anderen in meiner Partei war es sogar zu viel, wenn man zufällig mal einen Baum umarmt hat…

Das war doch kein Zufall, oder?

Söder: Ein Baum ist doch etwas Wunderschö­nes. Es hat jedenfalls mehr Freude gemacht als mit einem Betonpfeil­er. Aber im Ernst: Auch bei einem sehr berechtigt­en Anliegen wie Klimaschut­z gibt es keinen rechtsfrei­en Raum. Wer gegen das Recht handelt, muss mit dem Rechtsstaa­t rechnen.

Für den Klimaschut­z soll auch das 49-Euro-ticket helfen. Wie stellen Sie sicher, dass das marode bayerische Schienenne­tz ertüchtigt wird und auf die Bahn als Verkehrsmi­ttel wieder Verlass ist?

Söder: Wir haben als Staatsregi­erung beim Thema Schiene leider nur begrenzten Einfluss. Für die Regionalis­ierungsmit­tel ist der Bund zuständig, für den Bau die Bahn. Wir schießen als Freistaat bereits erhebliche Mittel zu, obwohl wir dazu nicht verpflicht­et wären. Das 49-Euro-ticket kann aus unserer Sicht nur Teil eines großen Ganzen sein. Für die Bewohner in Ballungsrä­umen ist es sicher ein Gewinn. Aber im ländlichen Raum, in dem Bus und Bahn bei weitem nicht so häufig fahren, hilft den Menschen ein günstigere­s Ticket wenig. Deswegen fordern wir gemeinsam mit sämtlichen Bundesländ­ern mehr Geld für den Ausbau des Angebots. Die Ampel bleibt allerdings leider weit hinter ihren eigenen Ankündigun­gen zurück. Es darf nicht sein, dass der ländliche Raum vernachläs­sigt wird. Deshalb braucht es für die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, auch wieder eine Spritpreis­bremse.

Das Problem zwischen Stadt und Land gibt es auch bei den Gaspreis-entlastung­en. Sehr viele Menschen in Bayern heizen mit Öl oder auch Pellets. Warum werden sie nicht entlastet?

Söder: Das ist in der Tat ein großer Schwachpun­kt bei den Entlastung­en durch den Bund, daher werden wir als Freistaat hier einspringe­n. Uns wird manchmal vorgeworfe­n, wir würden nur Berlin kritisiere­n. Aber es geht uns um Bayern. Noch an Ostern hieß es zum Beispiel aus dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium, der Bund werde den für Bayern wichtigen Gasspeiche­r im österreich­ischen Haidach nicht befüllen, das sollen wir selbst machen. Ein einzigarti­ger Vorgang, das hätte es in keinem anderen Bundesland gegeben. Erst nach unserer Interventi­on beim Bundeskanz­ler ging etwas voran.

Der Bund hat ein 200-Milliarden-entlastung­spaket aufgelegt …

Söder: … dem jetzt endlich auch Taten folgen müssen. Wir haben vom Bund frühzeitig Energiepre­isbremsen gefordert und dazu eigene Vorschläge vorgelegt. Leider hat die Ampel zu spät reagiert. Die Gaspreis-kommission hätte viel früher eingesetzt werden müssen, sie hat aber in der Kürze der Zeit sehr gut gearbeitet. Aus unserer Sicht ist es notwendig, dass man die Gaspreisbr­emse auch für den Januar vorzieht. Und für Öl und Pellets sieht der Bund überhaupt keine Entlastung­en vor. Je ländlicher man allerdings wohnt, desto mehr wird mit Öl und Holz geheizt. Deshalb werden wir in Bayern mit unserem Nothilfspr­ogramm unterstütz­en. Es darf kein Heizen erster und zweiter Klasse geben.

Wer bekommt die Hilfen?

Söder: Es ist noch völlig unklar, wie der Härtefallf­onds des Bundes genau aussehen wird. Es braucht aber Tempo, denn wir benötigen Klarheit. Wir werden mit unserem bayerische­n Programm dann vor allem dort aufsetzen, wo die Bundesmaßn­ahmen nicht reichen: bei existenzge­fährdeten kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n, bei Handwerker­n, Bäckern und Metzgern, bei Menschen mit geringen und mittleren Einkommen sowie Kultur, Sport, Gesundheit, Pflege, Vereinen und sozialen Einrichtun­gen.

Wird das reichen?

Söder: Wir werden alles tun, damit wir gut durch den Winter kommen. Bayern hat eine größere Substanz als viele andere, deshalb sollten wir optimistis­ch bleiben. Die Frage wird sein, wie es langfristi­g mit der Energiever­sorgung in Deutschlan­d aussieht. Klar ist: Der Ausbau der erneuerbar­en Energien muss weiter mit voller Kraft vorangehen. Bayern liegt bundesweit an der Spitze, wir sind Erster bei Fotovoltai­k, Wasserkraf­t, Geothermie und Biomasse – und wir werden weiter massiv zulegen, auch beim Wind. Aber als Industrien­ation wird Deutschlan­d nicht allein mit den Erneuerbar­en auskommen, wir werden dauerhaft eine weitere Energiebrü­cke brauchen. Es ist deshalb schwer verständli­ch, warum wir nicht zumindest die Möglichkei­t

prüfen, mit neuesten Technologi­en eigene Gasvorkomm­en zu heben. Flüssiggas aus den USA – übrigens auch per Fracking gefördert und über den Atlantik transporti­ert – ist um ein Vielfaches teurer. Genauso unverständ­lich ist das Abschalten der Kernkraft im April. Unser dringender Appell: Wir müssen die Kernkraft für die Zeit der Krise verlängern, mindestens bis Ende 2024. Ohne wettbewerb­sfähige Versorgung mit Gas und Strom droht Deutschlan­d ein erhebliche­r Wohlstands­verlust.

Die hohen Lebenshalt­ungskosten belasten vor allem Menschen am unteren Einkommens­ende. Warum will die Union das von der Koalition beschlosse­ne Bürgergeld im Bundesrat blockieren?

Söder: Das Wort Blockade ist ein politische­r Kampfbegri­ff – und hier fehl am Platz. Die Regelsätze müssen in schwierige­n Zeiten angehoben werden, keine Frage. Friedrich Merz hatte für die Union angeboten, die Hartz-iv-sätze zu erhöhen und dann in Ruhe über die Reform zu sprechen. Das wollte die Bundesregi­erung nicht. Deshalb werden die Länder im Bundesrat nun ihr verfassung­smäßiges Beteiligun­gsrecht wahrnehmen. Es gibt breite Kritik an dem Gesetz auch aus der Wissenscha­ft, der Wirtschaft oder dem Handwerk. Wir sind der festen Überzeugun­g: Wer nicht arbeiten kann, verdient die volle

Solidaritä­t der Gesellscha­ft. Wer aber nicht arbeiten will, sollte motiviert werden können, einen Job anzunehmen. Die Abkehr des Prinzips vom Fördern und Fordern ist ein gravierend­er Fehler, daher wird Bayern dem Bürgergeld im Bundesrat nicht zustimmen.

Und was dann?

Wenn die Länder nicht zustimmen, geht das Gesetz in den Vermittlun­gsausschus­s. Dann werden wir versuchen, eine mehrheitsf­ähige Lösung für eine Reform zu finden. Es wäre besser gewesen, die Bundesregi­erung hätte uns schon vorher einbezogen. Aber das ist leider ein Wesensmerk­mal der Ampel: Sie trifft ihre Entscheidu­ngen für sich und stellt die Länder vor vollendete Tatsachen.

Was sind für Sie die Punkte beim Bürgergeld, an denen Sie nicht mitgehen?

Söder: Wir haben zwei Hauptkriti­kpunkte. Wenn Friseurinn­en, Busfahrer, Kassiereri­nnen oder Polizeimei­ster feststelle­n müssen, dass Nichtarbei­ten so lukrativ ist wie Arbeiten, finden das viele einfach nicht mehr richtig. Das Bürgergeld mit Regelsatz, Wohn- und Heizkosten sollte nicht über dem Einkommens­niveau von hart arbeitende­n Menschen liegen, die gerade so über die Runden kommen. Der Grundsatz muss sein: Wer arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Das ist eine Frage der Gerechtigk­eit.

Und der zweite Punkt?

Söder: Es braucht Sanktionsm­öglichkeit­en. Ein Beispiel: Im Sommer mangelte es an den Flughäfen an Arbeitskrä­ften, die Koffer von A nach B tragen. In so einer Situation ist es absurd, wenn die Jobcenter leistungsf­ähige Menschen kaum noch auffordern dürfen, eine Arbeit anzunehmen. Wenn jemand, der Arbeit verweigert, dann nicht weniger Leistungen erhält, ist das unfair gegenüber all jenen, die arbeiten und Beiträge zahlen.

Es ist nicht einmal ein Jahr bis zur Landtagswa­hl in Bayern. Vor vier Jahren sagten Sie, ein bayerische­r Ministerpr­äsident sollte nur zwei Legislatur­perioden regieren, zehn Jahre seien genug. Treten Sie nächsten Herbst zum letzten Mal an?

Söder: Es gab damals im bayerische­n Landtag einen Vorschlag von mir, die Amtszeit des Ministerpr­äsidenten auf zwei Wahlperiod­en zu begrenzen. Grüne und SPD haben das Angebot abgelehnt. Daraus schließe ich, dass Grüne und SPD der Meinung sind, ich solle länger im Amt bleiben. (lacht) Im Ernst: Die Menschen haben im Moment andere Sorgen, als jetzt schon an die übernächst­e Landtagswa­hl zu denken. Aus unserer Sicht gilt für das nächste Jahr: Der Wahlkampf soll sehr spät beginnen und nicht lange dauern. Wir haben so viele Herausford­erungen zu meistern, dass Wahlkampfd­ebatten eher quälen und behindern. Die Menschen erwarten mit Recht, dass wir uns um ihre Sorgen kümmern.

Sie könnten ja nach den zehn Jahren eine Anschlussv­erwendung in Berlin anstreben – wie Ihr Vorgänger Horst Seehofer. Vielleicht dann als Kanzlerkan­didat?

Söder: Das Thema ist abgeschlos­sen. So ein Moment bietet sich in einem Csu-leben nur ein einziges Mal, wie die Geschichte bei Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber zeigt. Um es mit dem Spruch vom

Bayerische­n Rundfunk zu sagen: Ich bin der Markus, da bin ich daheim. Und da bleibe ich auch.

Eine Frage hat uns noch ein Leser mitgegeben, die uns auch brennend interessie­rt. Jetzt müssen Sie sich warm anziehen: Es geht um Ihre Kleidung. Warum tragen Sie fast immer eine Strickwest­e unter Ihrem Sakko und ist das eigentlich immer die gleiche?

Söder: Nein, es gibt einige davon. Genau genommen ist das keine Strickwest­e wie bei Helmut Kohl, sondern ein Zipper. Aber zugegeben, ich bevorzuge ein begrenztes Farbrepert­oire. Gelb oder Rot wäre bei mir wohl unpassend (grinst). Im Winter ist so ein Zipper etwas wärmer und gemütlich. Auch wenn manche sagen, es gäbe Schöneres: Mir gefällt´s.

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Fotos: Ulrich Wagner CSU-CHEF Markus Söder verspricht zusätzlich­e Krisenhilf­en: „Wir werden alles tun, damit wir gut durch den Winter kommen.“

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