Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tödlicher Anschlag mit Ansage

Nach der Messeratta­cke auf zwei Streifenbe­amte in Brüssel muss sich die Polizei viele Fragen gefallen lassen. Der mutmaßlich­e Täter war nicht nur als gewaltbere­iter Extremist registrier­t, er hatte sich sogar im Vorfeld bei der Polizei gemeldet – und mit e

- Von Katrin Pribyl

Brüssel Auch am Tag danach war die Gegend um den Brüsseler Nordbahnho­f mit blau-weißen Flatterbän­dern abgesperrt, Polizisten standen an jeder Ecke. Es herrscht Schock in der belgischen Hauptstadt, nachdem am Donnerstag­abend ein Polizist bei einem Messerangr­iff getötet und ein weiterer Beamter verletzt worden war. Die beiden hatten in ihrem Streifenwa­gen an einer roten Ampel gewartet, als ein Mann gegen 19 Uhr erst den 29-jährigen Beamten Thomas M. mit einem Messer attackiert­e und ihn so schwer am Hals traf, dass dieser kurze Zeit später im Krankenhau­s seinen Verletzung­en erlag. Dann sei der mutmaßlich­e Täter laut offizielle­n Angaben auf die Beifahrers­eite gelaufen und war auf den 23-jährigen Beamten Jason P. losgegange­n. Er wurde aufgrund einer Armverletz­ung notfallmäß­ig in eine Klinik gebracht und in der Nacht operiert, schwebe aber nicht mehr in Lebensgefa­hr, bestätigte die Bundesstaa­tsanwaltsc­haft am Freitag.

Jason P. habe über Funk um Hilfe gerufen und dabei noch erklärt, dass der Angreifer „Allahu Akbar“(„Gott ist groß“) gerufen habe. Ein zur Verstärkun­g herbeigeei­lter Kollege schoss auf den Verdächtig­en und setzte ihn „außer Gefecht“, wie bekannt wurde. Der zuständige Richter leitete am gestrigen Freitag eine Untersuchu­ng „wegen Mordes und versuchten Mordes in einem terroristi­schen Kontext“ein.

Der mutmaßlich­e Täter ist der 1990 in Belgien geborene Yassine M. Er war den Justizbehö­rden wegen mehrerer Verstöße gegen allgemeine Gesetze bekannt, derentwege­n er zwischen 2013 und 2019 eine Haftstrafe verbüßte. Das prekäre Detail, weshalb sich die Beamten nun viele Fragen gefallen lassen müssen: Der belgische Staatsbürg­er war auch beim nationalen Anti-terror-stab Ocam als „potenziell gewaltbere­iter Extremist“registrier­t.

„Heute wacht das Polizeikor­ps an einem besonders traurigen Tag auf“, sagte der Polizeiche­f des Bezirks, Olivier Slosse, und kondoliert­e der Familie und den Freunden des Opfers. Der belgische Ministerpr­äsident Alexander De Croo sprach ebenfalls sein Mitgefühl aus und erklärte: „Unsere Polizeibea­mten riskieren täglich ihr Leben, um für die Sicherheit unserer Bürger zu sorgen. Die heutige Tragödie demonstrie­rt dies einmal mehr.“

Wie aber konnte die Tat trotz der Vorgeschic­hte passieren, noch dazu, nachdem Yassine M. sie am selben Tag angekündig­t hatte? Handelte es sich um ein Polizeiver­sagen? M. hatte nach Angaben des zuständige­n Staatsanwa­lts erst am Donnerstag­vormittag auf einer Wache damit gedroht, einen Anschlag auf die Polizei zu verüben, und von Hass auf die Polizei gesprochen. Zudem hatte er um psychologi­sche Betreuung gebeten, woraufhin die Beamten ihn in die psychiatri­sche Notaufnahm­e einer Klinik brachten.

Als sich die Beamten später in der Einrichtun­g über den Zustand von Yassine M. erkundigte­n, habe sich herausgest­ellt, dass dieser das Krankenhau­s wieder verlassen hatte. Die rechtliche­n Kriterien für eine Zwangseinw­eisung seien nicht erfüllt gewesen, der Verdächtig­e sei dort lediglich in „freiwillig­e“Behandlung übergeben worden, betonte ein Sprecher gestern. Warum aber wurde er nicht weiterbeob­achtet?

Die Tat weckt schrecklic­he Erinnerung­en bei der Bevölkerun­g. Am 22. März 2016 hatten drei Selbstmord­attentäter der Terrororga­nisation Islamische­r Staat am Brüsseler Flughafen Zaventem sowie in der Metro-station Maelbeek im Eu-viertel 32 Menschen getötet, Hunderte wurden teils schwer verletzt. Doch auch der Tatort dürfte die Diskussion­en befeuern. Der Bahnhof Gare du Nord ist einer der drei großen Stationen Brüssels und liegt unweit von Molenbeek, jenem Stadtteil, der seit den Anschlägen in Frankreich 2015 als Dschihadis­ten-hochburg in den Schlagzeil­en war. Abdelhamid Abaaoud, der Drahtziehe­r der Anschläge von Paris, stammte wie auch einer seiner Mittäter, Salah Abdeslam, aus der Brüsseler Gegend.

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Foto: Geert Vanden Wijngaert, AP, dpa Belgische Polizeibea­mte sichern den Ort ab, an dem ein Polizist erstochen und ein weiterer verletzt wurde.

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