Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Streiks passen ganz und gar nicht in unsere Krisen-zeit“

Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll. Er fordert die IG Metall zum Maßhalten bei den Löhnen auf und warnt die Gewerkscha­ft angesichts der wirtschaft­lichen Lage vor einer Zuspitzung der Tarifrunde.

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Herr Wolf, die Tarifverha­ndlungen in der Metallindu­strie kommen nicht voran. Bayerns Ig-metall-chef Horn sagt verärgert: „Viele empfinden es als Frechheit, dass die Arbeitgebe­r immer noch keine Prozentzah­l angeboten haben.“Warum wollen Sie bisher nur eine Einmalzahl­ung von 3000 Euro gewähren und zahlen den Beschäftig­ten nicht wie in der Chemie-industrie zusätzlich dauerhaft 6,5 Prozent mehr Lohn?

Stefan Wolf: Wir haben ja schon gesagt, dass wir uns auch eine Tabellener­höhung vorstellen können. Aber für das nächste Jahr ist eine Rezession vorhergesa­gt – es gibt also kein Wachstum, das man verteilen kann. Ein Abschluss mit Tabellener­höhung muss eine Zeit abdecken, in der wieder mit Wachstum zu rechnen ist. Das ist nun einmal erst 2024 wieder absehbar.

Ig-metall-vorsitzend­er Jörg Hofmann nennt das Angebot von einmalig 3000 Euro einen „Scheinries­en“. Denn bei der avisierten Laufzeit von 30 Monaten seien dies nur 100 Euro pro Monat. Ist das nicht zu wenig, wenn viele Beschäftig­te tausende Euro mehr für Energie und Lebensmitt­el ausgeben müssen? Die IG Metall spricht von einer „Provokatio­n“.

Wolf: Ich verstehe die ablehnende Haltung der IG Metall nicht. Diese 3000 Euro sind aus Sicht vieler Unternehme­n, die unter der Energiekri­se leiden, ein großzügige­s Angebot.

Noch einmal: Ist die Einmalzahl­ung von 3000 Euro ein „Scheinries­e“?

Wolf: Keiner meiner Mitarbeite­r käme auf die Idee, 3000 Euro netto einfach so beiseitezu­wischen – auch die sechsstell­ig verdienend­en Ingenieure nicht.

Doch die Gewerkscha­ft argumentie­rt, die Beschäftig­ten bräuchten angesichts einer Inflation von zuletzt 10,4 Prozent eine spürbare Lohnerhöhu­ng von acht Prozent. Wie viel legen Sie auf die 3000 Euro drauf?

Wolf: Die Unternehme­n trifft die Preisentwi­cklung genauso wie die Beschäftig­ten. Das Lohnniveau in der Metall- und Elektroind­ustrie liegt deutlich über dem im Pflegebere­ich oder dem, was ein Gärtner, eine Arzthelfer­in oder eine Verkäuferi­n im Einzelhand­el verdient. All diese Menschen leiden aber auch unter der hohen Inflation. Da wäre in der Metall- und Elektroind­ustrie einmal solidarisc­hes Maßhalten bei der Lohnerhöhu­ng gefragt. Das ist für mich eine gesellscha­ftspolitis­che Frage. Denn schon so verdient ein Beschäftig­ter in der Metallund Elektroind­ustrie pro Stunde sieben Prozent mehr als im Durchschni­tt der Industrie. Wir werden schon einen vernünftig­en Kompromiss finden.

Die IG Metall hat es nicht so mit Maßhalten und scheint bereit zu sein, die Gangart zu verschärfe­n, also die zeitlich befristete­n Warnstreik­s auf 24-Stunden-streiks auszudehne­n. Auch einen länger laufenden Arbeitskam­pf schließt die Gewerkscha­ft nicht aus. Passen solche Proteste in unsere Krisen-zeit?

Wolf: Streiks passen ganz und gar nicht in unsere Krisen-zeit. Noch ist die Auftragsla­ge für viele Firmen nämlich gut. Das dürfen wir nicht durch Streiks gefährden. Die Aufträge müssen jetzt abgearbeit­et werden. Wir dürfen die durch hohe Energiepre­ise gebeutelte deutsche Wirtschaft mit Streiks nicht weiter schädigen. Das muss die IG Metall bedenken. Und wer hat schon Verständni­s für einen solchen Arbeitskam­pf? „Zusammen nach vorn“ist jetzt mehr denn je das Gebot der Stunde.

Wie ernst ist denn die wirtschaft­liche Lage vieler Metall-betriebe?

Wolf: Nach einer unserer Umfragen sieht sich jeder sechste Betrieb der Metall- und Elektroind­ustrie durch die hohen Energiepre­ise in seiner Existenz gefährdet. Das ist mehr als ein Alarmsigna­l. Denn diese Entwicklun­g könnte den Industries­tandort Deutschlan­d gefährden. Unsere Industriel­andschaft würde sich massiv verändern, wenn in einem Jahr wirklich so viele Betriebe aufgeben müssten. Da hängen sehr, sehr viele Arbeitsplä­tze dran. Und die wollen wir als Arbeitgebe­r erhalten.

Sind dennoch Jobs bedroht?

Wolf: Im kommenden Jahr besteht zumindest die Gefahr, dass sich der Beschäftig­ungsabbau in unserer Branche fortsetzt. Während der Corona-krise sind rund 200.000 Arbeitsplä­tze weggefalle­n, dann sind wieder neue Stellen geschaffen worden.

Sorgen Sie sich um den Industries­tandort Deutschlan­d?

Wolf: Ich sorge mich um den Industries­tandort Deutschlan­d. Denn die Unternehme­n leiden nicht nur unmittelba­r unter den hohen Energiepre­isen. Sie sehen sich auch einer massiven Wettbewerb­sverzerrun­g ausgesetzt. Schließlic­h sind die Energiekos­ten in China und den USA deutlich günstiger als in Deutschlan­d.

Besteht die Gefahr, dass Unternehme­n in zunehmende­m Maße die Produktion von Deutschlan­d in die USA und nach China verlagern?

Wolf: Diese Gefahr besteht ganz sicher. Schließlic­h ist Deutschlan­d besonders von der Energiekri­se betroffen. Dabei gibt es auch in Europa Länder mit günstigere­n Energiepre­isen. Es besteht also nicht nur die Gefahr, dass Produktion und Arbeitsplä­tze in die USA und China abwandern. Solche Verlagerun­gen könnten sich auch von Deutschlan­d aus in andere europäisch­e Staaten vollziehen. Und es wird bereits Produktion von Deutschlan­d aus in andere Länder verlagert. Dieser Prozess könnte sich enorm beschleuni­gen.

Ist dieser Verlagerun­gsprozess unausweich­lich?

Wolf: Nein. Wenn es uns in Deutschlan­d wie in der Vergangenh­eit gelingt, wieder eine gute und verlässlic­he Energiever­sorgung zu schaffen und beispielsw­eise die wild wuchernde Bürokratie zu stutzen, könnte unser Industries­tandort sein hohes Niveau behalten. Doch noch fehlt es dazu an entspreche­nden politische­n Konzepten. Wenn wir aber eine verlässlic­he Energieerz­eugung anstreben, führt an der Atomkraft kein Weg vorbei, zumal wenn wir mittelfris­tig alle elektrisch fahren. Wo soll denn der zusätzlich­e Strom herkommen?

Sind Sie zumindest mit den von der Bundesregi­erung beschlosse­nen Energiepre­is-bremsen zufrieden?

Wolf: Grundsätzl­ich ja. Aber damit Unternehme­n diese staatliche Unterstütz­ung auch erhalten, hat die Bundesregi­erung daran zu viele Auflagen geknüpft. Für die Unterstütz­ung muss eine einseitige Erklärung zum Standorter­halt reichen! Und wir wissen bisher leider nur, dass der Energiepre­is-deckel für uns kommt, aber nicht, auf welchem Niveau er sich bewegen wird. Wir brauchen hier eine deutliche, sehr schnelle Entlastung.

Sie wünschen sich auch in der Tarifrunde Entlastung­smöglichke­iten.

Wolf: Das wünschen wir uns, weil die wirtschaft­liche Lage unserer Betriebe wohl noch nie so unterschie­dlich wie jetzt war. Manchen Betrieben geht es noch gut und manchen schon schlecht. Dem müssen wir durch einen Tarifabsch­luss gerecht werden, der es ermöglicht, variable und – je nach wirtschaft­licher Lage des Unternehme­ns – differenzi­erte Lösungen zu finden

Die IG Metall will bei solchen betrieblic­hen Regelungen mitreden.

Wolf: Ich verstehe nicht, dass die

IG Metall ihren Betriebsrä­tinnen und Betriebsrä­ten gar nichts zutraut. Betriebsrä­te kennen sich doch gut aus. So können wir schneller Lösungen finden. Wir streben auch Bündnisse für Arbeit auf Betriebseb­ene an. Wir trauen als Gesamtmeta­ll unseren Mitgliedsu­nternehmen solche Lösungen zu. Doch die IG Metall will immer den Finger draufhalte­n, weil sie den Betriebsrä­ten misstraut.

Stimmen Sie einem Abschluss nur zu, wenn er Flexibilit­ät zulässt?

Wolf: Ohne differenzi­erte Lösungen machen wir keinen Abschluss mit der IG Metall. Wir brauchen dieses Jahr solche Instrument­e mehr denn je. Kommt es jedoch nicht dazu, könnten Unternehme­n dem Tarifvertr­ag den Rücken kehren. Mir ist vor allem wichtig: Das Maß aller Dinge muss es jetzt sein, Arbeitsplä­tze zu erhalten.

Apropos Arbeitsplä­tze: Sie werden bezichtigt, Ihre private Haushälter­in über Jahre hinweg schwarz beschäftig­t zu haben. Nun ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Tübingen gegen Sie. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen? Ist da was dran?

Wolf: Zu den persönlich­en Vorwürfen werde ich mich öffentlich nicht äußern. Interview: Stefan Stahl

„Ich sorge mich um den Standort Deutschlan­d.“

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Foto: Marijan Murat, dpa Gesamtmeta­ll-präsident Stefan Wolf warnt eindringli­ch davor, dass zunehmend energieint­ensive Betriebe ihre Produktion von Deutschlan­d aus ins Ausland verlagern.

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