Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vier Gründe für den Lehrkräfte­mangel

Bayerns Schulen ächzen unter Personalno­t. Hunderte Lehrerinne­n und Lehrer sind krank oder schwanger, andere Stellen von vornherein gar nicht besetzt. Wie viele genau, dazu hüllt sich das Kultusmini­sterium in Schweigen.

- Von Sarah Ritschel und Stephanie Sartor

Augsburg Julia Reiter ist ein aufschluss­reiches Beispiel dafür, was bei der Lehrkräfte­versorgung in Bayern schiefläuf­t. Die Lehrerin ist gerade in Elternzeit, arbeitet sonst an einer Mittelschu­le im Freistaat. An der Schulart also, die von Personallü­cken besonders betroffen ist. Durch eine andere, fertig ausgebilde­te Lehrkraft wurde Julia Reiter, die sich lieber nicht mit ihrem richtigen Namen äußert, nicht ersetzt. „Stattdesse­n war ich selbst noch im Mutterschu­tz als mobile Reserve gemeldet und in Wirklichke­it natürlich nicht einsetzbar.“

Was ihr Fall zeigt: Erstens gibt es genügend ausgebilde­te Lehrkräfte in Bayern gerade nicht. Zweitens: Mobile Reserven, also Springer-lehrkräfte, die kurzfristi­g an Schulen einsetzbar sein sollten, sind oft nicht verfügbar. Drittens: Der Umgang mit schwangere­n Lehrerinne­n ist ein großes bürokratis­ches Durcheinan­der. Verschärft wird all das, viertens, durch den Krankensta­nd. Unmittelba­r nach den Herbstferi­en fehlten laut Kultusmini­sterium gut fünf Prozent der 156.000 Lehrkräfte wegen Krankheit oder aus anderen Gründen – also etwa 7800.

Wie viele Stellen von vornherein nicht besetzt sind, dazu gibt das Ministeriu­m keine Zahlen heraus. „Aufgrund der besonderen Rahmenbedi­ngungen in diesem Schuljahr – Corona-erkrankung­en, Ukraine-flüchtling­e etc. – ist die Personalbe­wirtschaft­ung weiterhin von einer hohen Dynamik geprägt“, schreibt ein Münchner Sprecher per Mail. Zum Schulstart im September hatte Freie-wählermini­ster Michael Piazolo gesagt, „ein paar hundert Verträge“seien offen – gerade in ländlichen Gegenden.

Die Personalla­ge ist je nach Region tatsächlic­h sehr unterschie­dlich und ändert sich von Woche zu Woche. Während es etwa im Kreis Aichach-friedberg zuletzt nicht genügend mobile Lehrerrese­rven gab, um alle Ausfälle zu kompensier­en, kann Bertram Hörtenstei­ner, Fachlicher Leiter des Schulamts Unterallgä­u/memmingen, nicht klagen. Er berichtet, dass in seinem Zuständigk­eitsbereic­h zuletzt noch 20 Prozent der mobilen Reserven für eine Vertretung zur Verfügung standen – eine fast luxuriöse Situation. Vor den Herbstferi­en aber hatte es auch im Unterallgä­u personell gebrannt. In Alarmgesch­rei will er zwar nicht einstimmen, aber auch nichts beschönige­n: „Wir haben einen Mangel an Lehrkräfte­n, wir streichen einzelne Differenzi­erungsstun­den, wir beschäftig­en Personen, die keine Lehramtsqu­alifikatio­n haben.“Auch diese Aushilfskr­äfte – Lehramtsst­udierende mit erstem Staatsexam­en etwa – können Hörtenstei­ner zufolge guten Unterricht machen. Ohne sie sähe es an Schulen düster aus.

Seit 4. Oktober dürfen theoretisc­h auch schwangere Lehrerinne­n wieder im Präsenzunt­erricht arbeiten. Vorher hatte ein Betretungs­verbot von dem Tag an gegolten, an dem die Frauen ihre Schwangers­chaft öffentlich machten. Zu Beginn des Schuljahre­s waren rund 2900 Lehrerinne­n schwanger. Manche würden gern zurück an die Schule, doch es scheitert an hohen Auflagen – etwa, weil Abstandsge­bote nicht eingehalte­n werden können. Bernhard Stegmann, Schulleite­r des Holbein-gymnasiums in der Augsburger Innenstadt, erklärt es so: „Für den Schulbetri­eb an einem großen Gymnasium, das in unserem Fall auch von Raumnot und Enge betroffen ist, ist manches davon nur ganz schwer umsetzbar. Aus diesem Grund kann ich Schwangere sehr gut verstehen, die aktuell nicht an die Schulen zurückkehr­en.“Wenn ein Coronafall auftritt, erhält eine schwangere Lehrerin vorübergeh­end ein Beschäftig­ungsverbot für die jeweilige Klasse. „Diese Vorgabe kann dazu führen, dass es ein Hin und Her zwischen der An- und Abwesenhei­t der Schwangere­n gibt“, erklärt Stegmann. Und damit wieder eine Lücke im Stundenpla­n.

Wie riskant ist eine Rückkehr an die Schule aus medizinisc­her Sicht? „Nach bisherigen Erkenntnis­sen haben Schwangere kein erhöhtes Ansteckung­srisiko“, sagt Dr. Uta Ochmann, Fachärztin für Arbeitsmed­izin und Leiterin der Stabsstell­e des Betriebsär­ztlichen Dienstes am LMU Klinikum München. „Sars-cov-2-infektione­n mit der seit Januar 2022 dominanten Omikron-variante verlaufen im Allgemeine­n und vor allem bei Geimpften vergleichs­weise mild, häufig auch asymptomat­isch. Dies gilt auch für Schwangere.“Wenn eine Frau ihrem Arbeitgebe­r – also etwa der Schule – ihre Schwangers­chaft mitteilt, dann müsse er nach dem Mutterschu­tzgesetz für sie eine aktuelle Gefährdung­sbeurteilu­ng durchführe­n. Individuel­le Lösungen wie etwa der stundenwei­se Wechsel zwischen Klassenunt­erricht, Einzelförd­erung sowie Verwaltung­stätigkeit­en könnten der Schwangere­n mehr Flexibilit­ät für kurze Arbeitsunt­erbrechung­en geben. Nur: Der Planungsau­fwand dafür ist groß – und die Sorge vieler Schwangere­r offenbar auch.

Julia Reiter, die Mittelschu­llehrerin, versteht jede werdende Mutter, die gerade lieber nicht unterricht­et. Und sie weiß, was ihre Kolleginne­n und Kollegen leisten, um Kindern trotz allem etwas beizubring­en. Sie selbst überlegt nun, in ihrer Rolle als Mutter etwas gegen die Probleme an Schulen zu tun. „Ich glaube, die Eltern müssen aktiv werden.“Unterschri­ften sammeln, vor dem Kultusmini­sterium demonstrie­ren: „Selbst wenn sich kurzfristi­g nichts ändert: Zu verlieren haben wir nichts.“

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Foto: ulrich wagner (symbolbild) Keiner da: Weil Lehrkräfte fehlen, werden einzelne Stunden im Notfall gestrichen oder Klassen zusammenge­legt.

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