Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Britannien­s Herz schlägt wieder

Nach jahrelange­n Renovierun­gsarbeiten wird Big Ben in London ab diesem Wochenende wieder zu hören sein. Für die Menschen auf der Insel ist das ein wichtiges Symbol.

- Von Susanne Ebner

London Seine Form ist ikonisch, sein Klang auf der ganzen Welt bekannt: der Big Ben. Doch fünf Jahre lang waren die Glocken beinahe komplett verstummt, seit 2017 wurde der Elizabeth Tower, der berühmte Londoner Uhrenturm, renoviert. Ab Sonntag sollen die Glocken des berühmtest­en Wahrzeiche­ns Londons wieder regelmäßig ertönen – nach über fünf Jahren. Das zweiminüti­ge Schweigen zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriege­s am kommenden Wochenende werde die Rückkehr des Geläutes mit zwölf Schlägen einleiten, teilte das britische Parlament mit.

Damit endet eine lange Phase der Stille, die seit 2019 nur an besonderen Feiertagen unterbroch­en wurde. Der Glockensch­lag wurde im August 2017 abgeschalt­et, um die Arbeiterin­nen und Arbeiter während nötig gewordenen Renovierun­gsarbeiten, die umgerechne­t über 90 Millionen Euro verschlang­en, vor der Lautstärke zu schützen. Der Turm war über vier Jahre eingerüste­t. Schäden an Dach und Fassade wurden ausgebesse­rt, die ursprüngli­chen Farben wieder hergestell­t. Seit Januar kann Big Ben wieder von Touristen bewundert werden. Der Name Big Ben bezeichnet die mit 13,5 Tonnen Gewicht schwerste der fünf Glocken des berühmten Uhrturms, wird aber im Volksmund für das ganze Gebäude verwendet.

„Die Stilllegun­g Big Bens wurde als Symbol für die unruhigen Zeiten in der britischen Politik angesehen“, sagte Pauline Maclaran, Professori­n für Marketing und Verbrauche­rforschung an der Royal Holloway Universitä­t in London, gegenüber unserer Redaktion. Seine Renovierun­g werde nun als positives Zeichen gewertet und nähre die Hoffnung auf einen Neuanfang – auch weil die Instandset­zung mit der Ernennung Rishi Sunaks zum neuen Premiermin­ister zusammenfä­llt.

Als Bestandtei­l dessen, was viele Briten dazu bringt, sich britisch zu fühlen, nimmt Big Ben einen besonderen Platz in den Herzen vieler Menschen auf der Insel ein. Bei einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stitutes Perspectus Global gaben 44 Prozent der Befragten an, stolz auf das Bauwerk zu sein, dicht gefolgt von Roastbeef und Tee mit jeweils 42 sowie Pubs mit 37 Prozent. Dazu beigetrage­n haben auch die Medien. Zu Silvester 1923 übertrug die BBC zum ersten Mal das Läuten von Big Ben live im Radio. Gemeinsam zu beobachten, wie die Minutenzei­ger die 12-Uhrpositio­n erreichen und die Glocken das Neue Jahr einläuten, ist für das Volk seit Jahrzehnte­n fester Bestandtei­l des Jahreswech­sels.

Außerdem wurde das Wahrzeiche­n oder die Ikone aus Viktoriani­scher Zeit auch in die Handlung vieler Filme eingewoben. In einem Disneyfilm aus den 50er Jahren landet Peter Pan auf dem Stundenzei­ger. Mary Poppins schwebt mit ihrem Regenschir­m von Big Ben herunter. In Actionfilm­en wie „Mars Attacks!“aus dem Jahre 1996 und „London Has Fallen“, welcher 2016 über die Kinoleinwä­nde flimmerte, wurde der Turm mindestens ein halbes Dutzend

Mal gesprengt. Überdies ist er auf Postkarten, Tassen, Schlüssela­nhängern und Kühlschran­kmagneten zu sehen und wurde sogar als riesiges Schokolade­n-kunstwerk verewigt.

In den 1840er und 1850er Jahren erbaut, sollte der neugotisch­e Stil des Werks als Teil des Palastes von Westminste­r mit seinen Türmen und Erkern an die Freiheit und Geisteskul­tur mittelalte­rlicher Städte erinnern. Der Neubau des Parlaments wurde nötig, nachdem der einstige Palast bei einem Brand im Jahre 1834 fast vollständi­g zerstört wurde. Erhalten geblieben ist beispielsw­eise Westminste­r Hall, jener Teil, in welchem Königin Elizabeth II. nach ihrem Tod im September für einige Tage aufgebahrt wurde.

Seit dem 19. Jahrhunder­t überragt der Elizabeth Tower damit das Parlament mit der weltweit ältesten Demokratie, wie Briten betonen. Die erste Glocke für den Turm wurde 1856 gegossen, ging jedoch bei Tests zu Bruch.

Das zweite Exemplar musste nach kurzer Zeit ebenfalls saniert werden. Wiederherg­estellt ertönte der Klangkörpe­r seit 1863 dann schließlic­h regelmäßig. Es wird vermutet, dass die Glocke in diesen Jahren ihren Spitznamen „Big Ben“erhielt, in Anlehnung an Benjamin Hall, der die Arbeiten beaufsicht­igte.

Über die Jahre wurden der Palast von Westminste­r und damit auch Big Ben jedoch baufällig. Der gelbe Kalkstein bröckelte. Es regnete durchs gusseisern­e Dach. Ratten besiedelte­n das Bauwerk. Während die Instandset­zung des Elizabeth Towers nahezu beendet ist, steht die Renovierun­g des Palastes von Westminste­r mit dem Unterund Oberhaus weiterhin aus – zum Leidwesen von vielen Beamten und Abgeordnet­en.

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Foto: Ralf Lienert Was der Eiffelturm für Paris ist, ist sicherlich der Turm mit Big Ben für London.

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